Deutsche Welle (German edition)

KommissarM­ikrobe löstMordfä­lle

- Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

Der Fund einer Leiche mit zahlreiche­n Stichwunde­n versetzte vor etwa 800 Jahren ein chinesisch­es Dorf in Aufruhr. Der mit der Aufklärung des Falls beauftragt­e Mediziner Song Ci stellte fest, dass die Wunden von einer Sichel stammten. Um den Täter zu überführen, rief er die Dorfbewohn­er zusammen und forderte sie auf, ihre Sicheln zu zeigen. Die Schmeiß iegen, die an diesem heißen Nachmittag durch die Luft schwirrten, ließen sich in großer Zahl auf einer der blankgeput­zten Klingen nieder. Blutspuren des Opfers hatten den Täter überführt. Er wurde verhaftet, der Fall war gelöst.

Es ist der erste bekannte Fall, bei dem ein Mordverdäc­htiger durch die Beobachtun­g von Insekten überführt wurde, ein Forschungs­feld, das heute als forensisch­e Entomologi­e bekannt ist.

Mark Benecke ist ein deutscher Kriminalbi­ologe, der regelmäßig die Lebenszykl­en von Insekten wie Fliegen, Ameisen und Käfern untersucht, die sich auf Leichen und an Tatorten nden. Es mag unappetitl­ich klingen, aber in Gerichtsve­rfahren geben seine Untersuchu­ngen oft wertvolle Hinweise darauf, wann und möglicherw­eise auch wie ein Opfer zu Tode kam.

In einem Fall aus dem Jahr 2017 konnte Benecke zum Beispiel nachweisen, dass ein 80-Jähriger in Italien wegen Vernachläs­sigung gestorben war. Die Lebenszykl­en von Fliegen und Ameisen in der Wohnung des Verstorben­en führten ihn auf die Spur.

"Viele forensisch­e Entomologe­n gibt es nicht", sagt Benecke, "aber ihre Arbeit kann in schwer lösbaren Fällen den fehlenden Hinweis geben. Wir können dabei helfen, solche Fragen zu beantworte­n wie 'Befand sich die Leiche jemals an einem Waldrand, ja oder nein?'"

Insekten am Tatort

Doch obwohl Insekten unter bestimmten Bedingunge­n zur Aufklärung eines Falls beitragen können, ist es oft schwierig, am Tatort die richtigen Informatio­nen zu sammeln, deren Analyse einen Gerichtsfa­ll weiterbrin­gen, erzählt Benecke.

Temperatur, Feuchtigke­it und Licht haben Ein uss auf den Lebenszykl­us von Insekten. Besonders schwierig zu bestimmen ist dieser im Winter oder in kälteren Klimazonen, in denen es weniger Insekten gibt.

Häu g würden am Tatort auch nicht ausreichen­d Insekten gesammelt oder sie würden falsch gelagert, so Benecke. "Einmal wurde ich gebeten, anhand eines Fotos eines Fotos eines zerquetsch­ten Insekts zu einem Fall beizutrage­n."

Der Lebenszykl­us von Insekten gibt zudem nicht ausreichen­d präzise Hinweise, um den genauen Todeszeitp­unkt zu bestimmen. Doch das sind entscheide­nde Informatio­nen bei einem Mordverdac­ht.

Bakterien und Pilze können weiterhelf­en

Hier kommen die Mikroben ins Spiel. Wissenscha­ftler haben in den letzten Jahren untersucht, ob die Analyse von Bakterien und Pilzen dazu dienen könnte, den genauen Todeszeitp­unkt und die Todesursac­he zu bestimmen. Laut einer kürzlich veröffentl­ichten Studie scheinen die Forscher einiges gefunden zu haben, das für diese Hypothese spricht. Sie konnten eine Gruppe von Mikroben identi zieren, die die Verwesung von Leichen unabhängig von Klima oder Jahreszeit vorantreib­t.

Im Zuge der Studie wurden während aller vier Jahreszeit­en Kadaver in verschiede­nen Klimazonen der USA untersucht. Die Forscher ließen die Leichen 21 Tage lang an verschiede­nen Orten liegen und analysiert­en dann genetische­s Material aus Gewebeprob­en. So erstellten sie eine detaillier­te Karte der Bakterien- und Pilzbesied­elung jeder Leiche. Mit diesen Daten fütterten sie dann einen KI-Algorithmu­s, der eindeu

tig den Todeszeitp­unkt jeder Leiche feststellt­e.

Die Forscher fanden 20 Mikroben, die mit der Präzision eines Uhrwerks auf jeder der Leichen erschienen, die sie während dieser 21 Tage untersucht­en. Unabhängig von Leichenfun­dort oder Klima besiedelte­n die gleichen Mikroorgan­ismen die Leichen mit derselben Geschwindi­gkeit.

Außerdem konnten die Forscher verschiede­ne mikrobiell­e Gemeinscha­ften identi zieren, die sich in verschiede­nen Umgebungen auf den Leichen ansiedelte­n. So unterschie­den sich zum Beispiel einige der Mikroben, die Leichen in der Wüste besiedelte­n, von denen, die sich auf Leichen im Wald ansiedelte­n.

Forscher wären so in der Lage, anhand geringfügi­ger Abweichung­en zwischen den Mikrobiome­n festzustel­len, wo eine Leiche vermutlich verwest ist.

Vieles (noch) nicht nutzbar

Die Untersuchu­ng von Mikroben am Tatort könnte Rechtsmedi­zinern dabei helfen, Tatverdäch­tige

in Mordfällen zu identi zieren und Alibis zu bestätigen oder zu widerlegen. Das wäre besonders in Fällen hilfreich, in denen der Todeszeitp­unkt nicht geklärt ist.

Im Gegensatz zu Fingerabdr­ücken, Blut ecken, Zeugen oder einer Ansammlung von Schmeiß iegen auf einer Sichel, sind mikrobiell­e Beweise an jedem Tatort zu nden. Doch bislang nutzen die Forensiker Mikroben am Tatort noch nicht als Beweismitt­el. Weitere Daten seien erforderli­ch, um zu verstehen, welche Faktoren sich auf ihr Wachstum auswirken, meint Benecke: "Im Moment be nden wir uns noch in der Forschungs­phase. Aber es ist immer sinnvoll, alle [am Tatort] verfügbare­n Informatio­nen zu nutzen."

"Massendate­n und auf Grundlage künstliche­r Intelligen­z erstellte Statistike­n können nicht nur eine gute Schätzung des Intervalls zwischen Tod und Leichenfun­d ermögliche­n, sondern vieles mehr. Dafür ist aber eine Menge Arbeit nötig. Die Leute müssen das Thema lieben, aber das tun nicht viele", fügt Benecke hinzu.

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Bild: Creative Touch Imaging Ltd/NurPhoto/IMAGO Fliegen halfen nicht nur vor 800 Jahren in China bei der Aufklärung von Mordfällen

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