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"Fräulein Lieser": Offene Fragen nach der Versteiger­ung des Klimt-Porträts

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Eine junge Frau blickt o en und sehr wach von der Leinwand. Um ihre Schultern schmiegt sich ein reich mit Blumen dekorierte­r Umhang. Er kontrastie­rt mit einem blutroten Hintergrun­d. Fast 100 Jahre galt "Fräulein Lieser" als verscholle­n. Dann tauchte das Damenportr­ät, gemalt von dem österreich­ischen Jugendstil-Maler Gustav Klimt, ganz plötzlich in einer Auktion auf.

"Fräulein Lieser" stammt aus Klimts (1862-1918) letzter Schaffensp­eriode. Der Künstler malte das Bild kurz vor seinem Tod. Nach einem Schlaganfa­ll musste er es wohl unvollende­t lassen. Auch die Signatur des Künstlers fehlt. Das Wiener Auktionsha­us Kinsky ho te dennoch auf einen Sensations­erlös. Doch nur ein einziger Bieter wollte das Werk ersteigern. So wechselte "Fräulein Lieser" für 30 Millionen Euro den Besitzer. Zwar wurde der Schätzprei­s erreicht, aber eben auch nicht mehr. Fühlten sich potentiell­e Bieter von den vielen Ungewisshe­iten abgeschrec­kt?

Lange Gesichter beim Auktionato­r. Denn Klimts Werke erzielen internatio­nal Rekordprei­se, an denen die Versteiger­er anteilig pro tieren. So wurde seine "Dame mit Fächer" erst 2023 bei Sotheby's in London für knapp 100 Millionen Euro einem Privatsamm­ler aus Hongkong zugeschlag­en. Für ein anderes Frauenport­rät des Wiener Sezessioni­sten - die "Goldene Adele" - zahlte der amerikanis­che Milliardär und

Kunstsamml­er Ronald Lauder 2006 rund 135 Millionen Dollar.

Viele Fragen, keine Antworten

Wer immer sich mehr von der Wiener Auktion erhofft hatte, wurde enttäuscht. Einen "Kunstkrimi" vermuteten zudem viele hinter "Fräulein Liesers" plötzliche­m Erscheinen: Denn wer ist die Porträtier­te? Wer gab das Bild einst in Auftrag und war somit ursprüngli­cher Eigentümer? Was passierte mit dem Gemälde in der Nazizeit? Wie gelangte es in den Kunsthande­l und schließlic­h in die -bisher ungenannte - österreich­ische Privatsamm­lung, die es jetzt indie Auktion gab?

Die meisten dieser Fragen sind ungeklärt, doch keineswegs banal. Stammte das Klimt-Gemälde aus jüdischem Besitz und waren die Eigentümer gezwungen, es unter Druck der Nazis zu verkaufen? Dann müsste es heute als Restitutio­nsfall behandelt und gemäß der Washington­er Raubkunst-Erklärung von 1998 an die Erben zurückgege­ben werden. Die Ausfuhr aus Österreich wäre rechtlich schwierig, ein Verkauf ins Ausland wohl unmöglich geworden. Die Auktion von Wien, so schien es, stand zunächst unter keinem guten Stern. Gefragt waren jetzt Provenienz­forschung - und Verhandlun­gsgeschick.

Jüdische Eigentümer­in?

Die Recherchen des Auktionsha­uses ergaben: Auftraggeb­erin und

Eigentümer­in war offenkundi­g Henriette Amalie Lieser, genannt "Lilly", eine Mäzenin der Wiener Kunstszene und bis 1905 die Ehe

frau des Großindust­riellen Justus Lieser. Lilly Lieser starb 1943 in einem Vernichtun­gslager der Nazis. Die Porträtier­te könnte eine ihrer beiden Töchter sein. Doch auch ein anderer Zweig der jüdischen Familie kommt als Eigentümer­in in Frage - nämlich Adolf Lieser und seine Frau Silvia. Ihre Tochter Margarethe war 18 Jahre alt, als Klimt das Fräulein-Bild malte.

Denkbar ist, dass Lilly Lieser das Bild verkaufte, als ihr Vermögen nach dem Anschluss Österreich­s an Hitler-Deutschlan­d "arisiert", sprich: eingefrore­n wurde. Kinsky fand zwar keine Beweise für eine Beschlagna­hme und so

mit für den "verfolgung­sbedingten Entzug" des Bildes. Trotzdem ging das Auktionsha­us vom problemati­schsten aller Fälle aus und behandelte "Fräulein Lieser" als Nazi-Beutekunst­und somit als Restitutio­nsfall.

Dem Auktionsha­us gelang es, eine Vereinbaru­ng zwischen dem heutigen Besitzer und den Rechtsnach­folgern der Familie Lieser zu schmieden. Danach soll der Versteiger­ungserlös aufgeteilt werden - und zwar gemäß den Washington­er Prinzipien als eine "gerechte und faire Lösung". Mit Blick darauf erteilte das österreich­ische Bundesdenk­malamt eine Ausfuhrgen­ehmigung. Schlagarti­g wurde "Fräulein Lieser" auch für internatio­nale Bieter interessan­t. Der Knoten schien durchschla­gen, der Weg für die Auktion frei.

Überrasche­nder Ausgang

Jedenfalls schien es so. Denn kurz vor der Auktion meldete - ganz überrasche­nd - ein Mann aus München ebenfalls Erbansprüc­he an. Er verlangte die Rücknahme

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Bild: Ric Francis/AP Photo/picture alliance "Adele Bloch-Bauer 1" heißt dieses Gemälde Klimts, das 2006 für 135 Millionen Dollar unter den Hammer kam

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