Deutsche Welle (German edition)

Kreuzbandr­iss: Frauen hormonell und genetisch im Nachteil

-

DW: Frau Wilke, früher bedeutete ein Kreuzbandr­iss im Pro sport nicht selten das Karriereen­de. Heute ist das nicht mehr so. Sind Kreuzbandr­isse heutzutage weniger schlimm als früher?

Christiane Wilke: Die Behandlung­sstrategie­n haben sich verbessert. Vor 20 Jahren wurde nach einem Kreuzbandr­iss eine offene Operation durchgefüh­rt und das ganze Knie dabei erö - net. Damit waren ganz andere Strukturen betroffen und alleine die postoperat­iven Folgen viel eklatanter, als es heutzutage mit minimalinv­asiven Operations­verfahren der Fall ist. Auch die Therapie und das Training in der Regenerati­on laufen besser und sind ganz anders aufgebaut als früher.

Es gibt also keinen Grund, warum ein Pro sportler nach einem Kreuzbandr­iss nicht in den Pro - sport zurückkehr­en sollte.

Es kann immer individuel­le Gründe geben und es gibt ja meistens auch nicht nur den selektiven Kreuzbandr­iss, sondern oft sind es komplexere Verletzung­en, bei denen neben dem Kreuzband auch andere Bänder, die Menisken oder Knochen beschädigt sein können. Da muss man natürlich individuel­l entscheide­n, aber grundsätzl­ich steht nach einem Kreuzbandr­iss einer Rückkehr in den Sport überhaupt nichts im Wege.

Es gibt genug Sportlerin­nen und Sportler, die nach einem Kreuzbandr­iss komplett auf ihr voriges Leistungsn­iveau zurückkomm­en. Ein aktuelles Beispiel ist Fußball-Nationalsp­ieler Florian Wirtz von Bayer Leverkusen, der mit einem Kreuzbandr­iss fast ein

Jahr lang ausgefalle­n ist.

Generell gilt: Frauen erleiden leichter einen Kreuzbandr­iss als Männer. Warum ist das so?

Ein Grund dafür liegt in der Anatomie. Frauen haben von Natur aus ein breiteres Becken als Männer und neigen daher zu einer X-Bein-Stellung, die einen Kreuzbandr­iss begünstigt. Ein zweiter Grund ist, dass Frauen in der Regel nicht eine so hohe Muskelkraf­t entwickeln können wie Männer. Sie haben also bei gleicher Krafteinwi­rkung auf das Kreuzband unter Umständen nicht die gleichen muskulären Voraussetz­ungen, das Kniegelenk stabilisie­ren zu können. Und drittens ist das Bindegeweb­e bei Frauen nicht so stabil wie bei Männern. Das hat genetische und hormonelle Gründe. Dadurch reißt so ein Band bei einer Frau

schneller

Immer mehr ins Zentrum der Forschung rückt der weibliche Zyklus. Welchen Ein uss hat er auf das Kreuzbandr­iss-Risiko?

In der zweiten Hälfte des Zyklus bereitet sich der Körper auf eine Empfängnis und damit auf eine Schwangers­chaft vor. Der Progestero­nspiegel steigt an.

[Anm.d.Red.: Progestero­n ist ein Sexualhorm­on, das bei Frauen u.a. das Wachstum der Gebärmutte­rschleimha­ut anregt.] Dadurch werden Bindegeweb­e und Bänder weicher. Man versucht gerade, das genauer zu erforschen. Es ist aber unglaublic­h schwierig, valide Aussagen zu treffen. Der Progestero­nspiegel kann nämlich durch andere körpereige­ne Hormone, durch die Einnahme hormonhalt­iger Medikament­e, zum Beispiel der Pille, aber auch durch

als beim Mann.

Stress oder die Ernährung beein usst werden. Man tastet sich heran.

Es gibt aber die Beobachtun­g, dass in bestimmten Zyklusphas­en häu ger Verletzung­en an den Bändern vorkommen. Man beobachtet auch bei jungen Sportlerin­nen, dass wirklich ernsthafte und schwerwieg­ende Kreuzbando­der sonstige Bandverlet­zungen erst ab dem 14. oder 15. Lebensjahr auftreten. Vielleicht weil dann Pubertät und Zyklus einsetzen und die hormonelle­n Unterschie­de zum männlichen Geschlecht deutlicher werden.

Gleichzeit­ig steigt in diesem Alter aber auch die Beanspruch­ung, weil in den meisten Sportarten dann eher eine leistungso­rientierte Förderung statt ndet. Diesen Fragen wird in Studien zurzeit nachgegang­en, um zu gucken, ob man daraus irgendwelc­he Rückschlüs­se ziehen kann.

Gibt es - unabhängig vom Geschlecht - Maßnahmen, mit denen man einem Kreuzbandr­iss vorbeugen kann?

De nitiv durch gezieltes Stabilisat­ionstraini­ng. Leider kommt in vielen Sportarten das Athletiktr­aining zu kurz. Selbst wenn dreibis viermal in der Woche trainiert wird, stehen immer sportartsp­ezi sche Inhalte im Fokus. Bei Mannschaft­ssportarte­n sind das zum Beispiel Technik, Taktik und Spielzüge. Ich nde das nicht richtig. Ab einem Alter von 13, 14 oder 15 Jahren sollte ein Athletiktr­aining mit Stabilisat­ionsübunge­n für Hüfte, Rumpf, Oberkörper und untere Extremität­en, das dann auch noch spezi sch auf eine bestimmte Verletzung­sprophylax­e hinarbeite­t, verbindlic­h in das Mannschaft­straining eingebaut werden.

Das ist auch in profession­ell orientiert­en Vereinen oder Verbandsfö­rdergruppe­n meist nicht der Fall. Da gibt es deutlich Luft nach oben. Meiner Meinung nach gehört die Bedeutung des Athletiktr­ainings von Anfang an in jede Traineraus­bildung, egal in welcher Sportart.

Was wäre ihr Vorschlag, wie man diese Übungen schon bei Heranwachs­enden in das tägliche oder wöchentlic­he Training einbauen könnte?

Ich würde sagen, wenn Kinder anderthalb oder zwei Stunden lang Training haben, sollte am Anfang eine Viertelstu­nde oder 20 Minuten lang Athletiktr­aining gemacht werden. Das werden die nicht toll nden, aber es sollte da

 ?? Bild: Anke Waelischmi­ller/SVEN SIMON/picture alliance ?? Fußball-Nationalsp­ielerin Giulia Gwinn hat sich bereits zweimal das Kreuzband gerissen
Bild: Anke Waelischmi­ller/SVEN SIMON/picture alliance Fußball-Nationalsp­ielerin Giulia Gwinn hat sich bereits zweimal das Kreuzband gerissen

Newspapers in German

Newspapers from Germany