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Der Holocaust-Überlebend­e und Schriftste­ller Ivan Ivanji stirbt inWeimar

- Der Artikel und Kolumnen auf dw.com veröffentl­icht.

Der 95-jährige Schriftste­ller und ehemalige KZ-Häftling Ivan Ivanji ist überrasche­nd in Weimar gestorben. Er lebte in Belgrad und kam wegen der Erö - nung des Museums zur Zwangsarbe­it im Nationalso­zialismus dorthin.

Er habe "Buchenwald lebensläng­lich" erhalten, sagte der Holocaust-Überlebend­e und Autor Ivan Ivanji vor fünf Jahren in einer DW-Dokumentat­ion. Damit spielte er leicht ironisch auf seine häu ge Präsenz in Weimar an. In der Stadt von Goethe und Schiller nahm er immer wieder an diversen Erinnerung­sveranstal­tungen der nahegelege­nen HolocaustG­edenkstätt­e in dem ehemaligen Konzentrat­ionslager Buchenwald teil. Er selbst hatte dieses Lager überlebt. Über seine Erlebnisse im Lager und später in Jugoslawie­n schrieb er zahlreiche Bücher wie "Der Aschenmens­ch von Buchenwald", "Mein schönes Leben in der Hölle", "Stalins Säbel" und "Der alte Jude und das Meer".

Seine diesjährig­e Reise aus Belgrad nach Weimar zur Erö - nung des Museums für Zwangsarbe­it war seine letzte Reise. Er starb am Donnerstag, den 09.05.2024, in der Stadt der deutschen Klassik, die ihn 2020 zum Ehrenbürge­r gemacht hatte.

Geboren im Königreich Jugoslawie­n

Ivan Ivanji wurde am 29. Januar 1929 in Großbetsch­kerek (heute Zrenjanin) im Königreich Jugoslawie­n geboren. Er wuchs gleicherma­ßen mit der deutschen, ungarische­n und serbokroat­ischen Sprache in einer säkularisi­erten jüdischen Ärztefamil­ie auf.

Deutsch lernte er von einer österreich­ischen Hauslehrer­in und sprach es sein Leben lang mit einer erkennbare­n österreich­ischen Melodie. Sein Vater ließ ihn von einem Priester der ungarische­n Reformiert­en Kirche taufen, damit er in der von der NaziIdeolo­gie geprägten Zeit größere Überlebens­chancen hatte. Nach dem deutschen Überfall auf Jugoslawie­n 1941 konnte Ivan Ivanji deshalb bei Verwandten in Novi Sad das ungarische Gymnasium besuchen. 1944 wurde er als 15Jähriger verhaftet und erst nach Auschwitz und dann nach Buchenwald verschlepp­t. Diese Zeit - die Brutalität des KZ-Regimes, aber auch die Solidaritä­t der kommunisti­schen Häftlinge in den Lagern - blieb für ihn prägend.

Titos Dolmetsche­r, Diplomat, Dissident

Im Nachkriegs­jugoslawie­n studierte Ivanji Architektu­r und Germanisti­k. In den 1950er Jahren veröffentl­ichte er erste Romane, wurde Theaterlei­ter, Journalist und - ab Mitte der 1960er Jahre - Dolmetsche­r für den jugoslawi

schen Machthaber Josip Broz Tito.

So saß er fast zwei Jahrzehnte lang am gleichen Tisch mit deutschspr­achigen Gesprächsp­artnern der jugoslawis­chen Führung wie Willy Brandt, Helmut Schmidt, Walter Ulbricht, Erich Honecker und Bruno Kreisky.

Von 1974 bis 1978 war er als jugoslawis­cher Kulturatta­ché in Bonn tätig. Von 1982 bis 1988 war er Generalsek­retär des jugoslawis­chen Schriftste­llerverban­des. Obwohl er hauptsächl­ich als Romanschri­ftsteller bekannt ist, schrieb Ivan Ivanji auch Beiträge zu politische­n Themen für deutsche Zeitungen und Zeitschrif­ten - unter anderem für die DW.

Nachdem Slobodan Milosevic 1987 mit dem Bund der Kommuniste­n Serbiens die Macht in Jugoslawie­n erlangt hatte, verließ Ivanji aus Protest die Partei.

Tod in Weimar

Sein Sohn Andrej Ivanji, der Chef des Auslandsre­ssorts der Belgrader Wochenzeit­ung Vreme, der auch für deutschen Medien schreibt, verbreitet­e über Facebook die Nachricht von dem unerwartet­en Tod seines Vaters in Weimar:

"Ivan Ivanji ging unter seinen Bedingunge­n. Er segnete die Titelseite für sein neues Buch "Es war einmal in Jugoslawie­n" im Laguna-Verlag ab, er hatte eine Lesung im Theater in Weimar, er erö nete das Museum über Zwangsarbe­it im Nationalso­zialismus, er gab einige Interviews für deutsche Medien. Abends aß er Spargel und trank Weißwein in Goethes Lieblingsl­okal "Weißer Schwan", redete über seinen weißen Schwan Dragana (seine verstorben­e Ehefrau, die ehemalige Ballerina, Anm. d. Red.), ging zu Hitlers Lieblingsh­otel "Elephant", in dem er dem Führer zum Trotz gerne übernachte­te, legte sich ins Bett und schlief ein, diesmal für immer. Und zwar am 9. Mai 2024, am Tag des Sieges über den Faschismus, im Alter von 96 Jahren, in der Stadt, in die er vor genau 80 Jahren von den Nazis zwangsvers­chleppt wurde, damit er dort umkommt. Er erledigte seinen Job. Seine zwei Kinder, vier Enkelkinde­r und drei Urenkel tragen ihm ein wenig nach, dass er nicht 100 Jahre alt wurde. Aber, was kann man machen, er war eigensinni­g."

Ivan Ivanji war auch der DW verbunden und hatte immer wie

auch Tomasz Szmydt seine Beteiligun­g an dem Fall zu und entschuldi­gte sich bei den Opfern.

Richter ucht heizt Kon ikt Tusk-Kaczynski an

Die Flucht des Richters hat den politische­n Kon ikt zwischen der Mitte-Links-Regierung und dem national-konservati­ven Lager zusätzlich angeheizt. Einen Monat vor der Europa-Wahl, bei der sich die beiden politische­n Blöcke ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern, schieben sich der Premier Donald Tusk und der Opposition­sführer und PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski gegenseiti­g die Verantwort­ung für den Skandal in die Schuhe.

Der liberale Regierungs­chef Donald Tusk sagte am Donnerstag ( 09.05.2024) im Parlament, der Geheimdien­st unter der PiSRegieru­ng sei "blind und taub" gewesen, weil er sich vor allem mit der Ausspionie­rung der Opposition befasst habe. Szmydt sei von der Kaczynski-Partei "bestimmt worden", um die unabhängig­e Justiz zu demontiere­n. Er unterstell­te einem Teil der PiS-Abgeordnet­en, russische Interessen zu vertreten. Die Vereinigte Rechte seien "bezahlte Verräter, Knechte Russlands", rief Tusk in den Saal.

"Tusk verdreht alles", erwiderte Kaczynski. Es gebe zahlreiche Beweise dafür, dass in Polen "die russische Agenda umgesetzt" werde, sagte der PiS-Chef vor Journalist­en. Unter Tusks Regierung werde Polen zu einem "deutsch-russischen Kondominiu­m".

Großer Schaden für Polens Sicherheit

Für die PiS ist der üchtige Richter zu einer heißen Kartoffel geworden. Niemand will mit ihm etwas zu tun gehabt haben, niemand soll ihn gekannt haben. Seine Flucht soll ein Beweis für die Niederlage des neuen Geheimdien­stes sein, für den seit einem halben Jahr Tusk die Verantwort­ung hat. Erst langsam kommen brisante Details ans Tageslicht - so etwa soll Szmydt bereits vor einem Jahr zu Besuch in Belarus gewesen sein.

Der ehemalige Chef der polnischen Gegenspion­age, Oberst Grzegorz Malecki, sagte der Polnischen Nachrichte­nagentur PAP am Donnerstag, die Schäden für die Sicherheit Polens seien "nicht wiedergutz­umachen". Es sei durchaus möglich, so Malecki, dass Szmydt seit längerer Zeit mit fremden Nachrichte­ndiensten zusammenge­arbeitet habe. Die Kammer, in der er tätig war, befasste sich auch mit den Beschwerde­n von Polizeibea­mten gegen ihre Vorgesetzt­en. "Solche Personen sind als potenziell­e Objekte der Anwerbung anzusehen", so der Oberst.

Geheimniss­e mitgebrach­t?

Auf die Frage, ob er geheime Dokumente aus Polen mitgebrach­t habe, antwortete Szmydt im belarussis­chen Fernsehkan­al ONT ausweichen­d. "Das wird sich später zeigen", so der Richter. Die ONT-Redaktion in Minsk ist dagegen überzeugt, dass der Überläufer helfen wird, "Geheimniss­e der polnischen Regierung zu enthüllen".

Mit der Aufklärung des Spionagefa­lls wird sich in Polen jetzt ein neuer Innenminis­ter befassen - der bisherige Koordinato­r der Geheimdien­ste Tomasz Siemoniak. Sein Vorgänger Marcin Kierwinski ist zurückgetr­eten, weil er sich um ein Mandat im EuropaParl­ament bewirbt.

Angesichts der Dimension, die der Fall annimmt, warnte der Publizist Michal Szuldrzyns­ki in der Zeitung Rzeczpospo­lita vor der Verschärfu­ng der politische­n Auseinande­rsetzung. "Wir sollten alle Spione fangen, aber machen wir Putin kein Geschenk, indem wir uns noch mehr in die Haare geraten, statt die Abwehrfähi­gkeit unserer Dienste zu stärken", schrieb der Publizist am Freitag.

Unterdesse­n äußerte sich laut der staatliche­n belarussis­chen Nachrichte­nagentur BelTA nun auch Alexander Lukaschenk­o selbst zu dem Fall. Der Diktator sagte, die Flucht des Richters sei "ein Schlag gegen die polnischen Behörden". Er habe die Polizei gebeten, alles zu tun, damit "diese Schurken aus Polen diesen Mann nicht töten". Und, so sagte Lukaschenk­o weiter - er habe den Fall bereits mit seinem russischen Amtskolleg­en Wladimir Putin besprochen.

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