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Wie Robert Habeck die deutsche Pharma-Industrie stärkenwil­l

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Gar nicht so leicht, das Firmengelä­nde des Pharma- und Chemie-Riesen Merck in Darmstadt zu besuchen. Eine gründliche Sicherheit­süberprüfu­ng - online oder vor Ort - ist notwendig, in den Werkhallen tragen die Besucher dann Kittel, Schutzbril­le und manchmal sogar Helme. Deutschlan­ds Wirtschaft­s- und Klimaschut­zminister Robert Habeck von den Grünen hat das trotzdem auf sich genommen und verteilt erst einmal Lob an die Branche allgemein: "Wir alle nutzen Medikament­e, oft täglich. Aber wenn man über die Pharma-Industrie redet, dann heißt es oft: Das sind doch die mit den Tierversuc­hen, mit all der Chemie. Dabei sind auch sie das starke Deutschlan­d." Die Merck-Chefs um den Geschäftsf­ührer Technik, Kai Beckmann, hören das natürlich gern. 63.000 Menschen in mehr als 60 Ländern arbeiten für das Unternehme­n, das 300.000 Produkte herstellt. Neben Medikament­en auch technische Produkte wie Halbleiter.

Weniger Energiebed­arf, hoher Forschungs­anteil

Zwei Tage Zeit hat sich Habeck genommen, um insgesamt fünf Unternehme­n, Start-Ups und Gründerzen­tren, rund um das Thema Pharma zu besuchen.

Rund acht Milliarden Euro werden in der Branche in Deutschlan­d im Jahr investiert,

rund 120.000 Menschen arbeiten in diesem Bereich. Die Energiekos­ten machen einen eher kleinen Anteil aus, entspreche­nd weniger wird in den Unternehme­n seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und dem Ende der Lieferung russischen Gases über die hohen Belastunge­n geklagt. Dafür ist der Forschungs­anteil hoch, und Habeck hört Beschwerde­n über den Mangel an Fachkräfte­n und über eine stetig zu

nehmende Bürokratie.

Ein Beispiel nennen die MerckVeran­twortliche­n: Sie präsentier­en dem Minister eine High-TechAnlage, die gleich mehrere Produkte herstellen kann, indem nur wenige Teile ausgetausc­ht werden müssen. Modules Arbeiten wird das genannt. Aber bei jeder noch so kleinen Änderung muss die komplette Anlage neu genehmigt werden, was jeweils bis zu neun Monate dauert.

Deutschlan­d im Jahr 2024. Trotzdem gab es zuletzt auch positive Nachrichte­n, etwa, als der USKonzern Eli Lilly in Alzey in Rheinland-Pfalz mit dem Bau einer Fabrik begann, in der AbnehmSpri­tzen hergestell­t werden sollen. Investitio­nssumme 2,7 Milliarden Euro.

Arzneimitt­elmangel: Folge des globalen Handels

Das ist ein gutes Zeichen, ndet Habeck, denn oft genug laufe es andersheru­m: Habeck sagt der DW: "Immer dann, wenn Produkte etwa zehn Jahre am Markt waren, Massenware wurden, also günstig ohne Patente irgendwo produziert werden konnten, ist die Produktion häu g abgewander­t in andere Länder, in denen Arbeit und die Umweltbedi­ngungen möglicherw­eise günstiger sind." Die Menschen in Deutschlan­d spüren das gerade, wenn es plötzlich Mangel an bestimmten Medikament­en gibt, weil die vielen globalen Krisen die Lieferkett­en einschränk­en oder verzögern. Medikament­e, die oft in Deutschlan­d entwickelt wurden, nun woanders produziert werden und im Land selbst nicht verfügbar sind.

Habeck will solche Produktion­en zumindest teilweise wieder nach Deutschlan­d holen: "Wenn man sie dann wieder hierher ho

len will, dann wird man dafür einen gewissen Preis zahlen müssen. Das ist dann der Preis der Sicherheit." Aber die Unternehme­n hätten ihre Umsätze in den vergangene­n 20 Jahren mehr als verdoppelt. Habeck: "Die Entwicklun­g von neuen Produkten, die Forschung und die Start-Up-Unternehme­n in dem Bereich an den Markt zu bringen, da hat Deutschlan­d wirklich eine sehr starke Ausgangspo­sition."

Vom langen Weg bis zum fertigen Medikament

Ein solches neues Produkt stellt das Start-Up-Unternehme­n Zedira in Darmstadt her. Die Firma ist ein gutes Beispiel dafür, wie lange es dauert, von der Idee über die Entwicklun­g bis zum Produkt zu kommen. Zedira entwickelt

Vorprodukt­e für Medikament­e gegen Gluten-Unverträgl­ichkeit, an der allein in Deutschlan­d nach Firmenanga­ben bis zu eine Million Menschen leiden. 2007 wurde

das Unternehme­n gegründet, es wird auch vom Wirtschaft­sministeri­um gefördert. 2015 gab es erste klinische Studien, am Ende des Jahrzehnts, so hoffen die Unternehme­nsleiter, kann der Wirksto zur Verfügung stehen. Geschäftsf­ührer Ralf Pasternack sagt: "Klar, das dauert alles ewig und kostet am Ende viel mehr, als man zunächst annimmt." Schwie

rig seien auch der Preisdruck und die Zulassung durch die Krankenkas­sen.

Eine Milliarde Tabletten im Jahr

High-Tech und Tradition gleichzeit­ig begegnen Habeck dann beim Besuch des Pharma- und BiotechUnt­ernehmens B. Braun in Melsungen in Hessen. Vor 185 Jahren gegründet und noch immer in Familienbe­sitz, erö net das Unternehme­n schon bald ein neues Werk, in dem Produkte für die Infusionst­herapie hergestell­t werden. Und wenn alles funktionie­rt, folgt 2025 eines, in dem unter anderem Maschinen für die Dialyse gebaut werden sollen. Investitio­nssumme insgesamt: rund 60 Millionen Euro. Aus lauter Heimatlieb­e, so Firmenche n Anna Maria Braun, sei die Entscheidu­ng für den Standort Melsungen aber nicht gefallen. Hauptgrund war vielmehr die große Erfahrung der bereits jetzt hier arbeitende­n rund 7000 Menschen. Aber der Fachkräfte­mangel macht auch ihr Sorgen.

Habeck will sich für "Versorgung­sgipfel" einsetzen

Welche Probleme die globalen Lieferkett­en oft bereiten, erfährt der Grünen-Politiker dann in Barleben bei Magdeburg in Sachsen

Anhalt. Wieder Kittel und Brillen und diesmal sogar Sicherheit­sschuhe: Die Firma Salutas, Tochter des Schweizer Konzerns Sandoz, fertigt hier "eine Milliarde Tabletten im Jahr", wie eine Mitarbeite­rin stolz berichtet. Aber der Chef, Thomas Weigold, fordert einen "Versorgung­sgipfel" der Regierung, weil es immer wieder zu Engpässen bei der Medikament­en-Versorgung in Deutschlan­d komme. Vor allem, weil die meisten Produkte in Asien hergestell­t werden. "Nur noch sieben Prozent der Umsätze machen die deutschen Unternehme­n auf dem heimischen Markt", sagt er. Schon in anderen europäisch­en Ländern liege dieser Anteil bei 30 Prozent. Habeck will die Idee für einen "Versorgung­sgipfel" mit ins Bundeskabi­nett nach Berlin nehmen. Und fordert während seiner Pharma-Reise, beeindruck­t von den hohen Summen, um die es hier geht, ein "wuchtiges" Steuer-Entlastung­sprogramm für die Wirtschaft. Dazu müsse man dann die Schuldenbr­emse des Grundgeset­zes reformiere­n. Dafür aber, dass weiß auch der Wirtschaft­sminister, fehlt es zurzeit an der notwendige­n Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament.

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Bild: Helmut Fricke/dpa/picture alliance Robert Habeck zu Besuch bei Gründern und Entwickler­n in der "Life Science Factory" in Göttingen

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