Deutsche Welle (German edition)

Sowill Deutschlan­dWWohnungs­losigkeit beenden

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Gut zwei Jahrzehnte lang war Dirk Dymarski wohnungslo­s. Er lebte zeitweise in Notunterkü­nften und auch auf der Straße. Das sei etwas, das er nicht so leicht abschüttel­n könne. Allerdings habe es auch sein Denken verändert.

"20 Jahre Wohnungslo­ser gewesen zu sein, war mir eine Lehre in jeglicher Hinsicht, denn ich habe früher leider selber Wohnungslo­se diskrimini­ert und stigmatisi­ert", sagt er der DW. "Aber in den letzten Jahren hatte ich selber kapiert: Jeder kann schnell in eine solche Situation geraten, und es ist schwierig wieder da raus zu kommen."

Dymarski ist jetzt Mitglied der Freistätte­r Online Zeitung, einer Lokalzeitu­ng, die von der Stiftung Bethel von und für Wohnungslo­se in dem kleinen Städtchen Freistatt in Niedersach­sen betrieben wird. Dymarski gehört auch der Selbstvert­retung Wohnunglos­er Menschenan, einer Organisati­on,

die wohnungslo­sen Menschen in Deutschlan­d eine Stimme geben möchte.

Um ein neues Zuhause zu nden, müsse man erstmal das Stigma des Wohnungslo­sen überwinden, sagt Dymarski. "Die erste Frage, die einem gestellt wird, ist: Wo wohnen Sie denn zur Zeit? Und wenn du dann einem Vermieter sagst, du wohnst in einer stationäre­n Einrichtun­g, dann fällt man ziemlich schnell durchs Raster."

Das Ende der Wohnungslo­sigkeit?

Aufgrund des Mangels an bezahlbare­m Wohnraum, ist Wohnungslo­sigkeit in den vergangene­n Jahren gestiegen. Genaue Zahlen sind schwer zu ermitteln, die Bundesregi­erung geht aber von etwa 375.000 Betroffene­n in Deutschlan­d aus.

Die Bundesarbe­itsgemeins­chaft Wohnungslo­senhilfe (BAGW) geht eher von 600.000 Menschen aus, wobei etwa 50.000 auf der Straße leben sollen. Diese Zahlen schließen all jene ein, die entweder keinen Mietvertra­g oder kein eigenes Zuhause besitzen.

Es gibt eine Unterbring­ungsp icht für deutsche Behörden, obdachlose Menschen müssen also in Notunterkü­nften Zu ucht nden können. Allerdings entscheide­n sich viele Menschen gegen eine solche Unterkunft, weil diese häu g weder Sicherheit noch Privatsphä­re bietet.

Um das Problem zu bekämpfen, hat die Bundesregi­erung Ende April einen "Nationalen Aktionspla­n" beschlosse­n, um die - wie sie es nennt - "Mammutaufg­abe" der Beendigung der Wohnungslo­sigkeit und Obdachlosi­gkeit im Land bis 2030 anzugehen. Es ist das erste Mal, dass eine deutsche Bundesregi­erung ein solches Dokument erstellt.

Der 31-Punkte-Plan, der vom Bundesmini­sterium für Wohnen, Stadtentwi­cklung und Bauwesen veröffentl­icht wurde, enthält Ideen wie die Bereitstel­lung von Geldern für die Bundesländ­er zum Bau von Sozialwohn­ungen, die Bekämpfung von Diskrimini­erung auf dem Wohnungsma­rkt, die Unterstütz­ung der Menschen beim Zugang zu einer Krankenver­sicherung und die Verbesseru­ng des Zugangs zu Beratungsd­iensten.

"Mehr bezahlbare Wohnungen sind der Kernpunkt für die Bekämpfung von Wohnungslo­sigkeit", sagt Bauministe­rin Klara Geywitz. "Dass es diesen bundesweit­en Handlungsl­eitfaden gibt, war ein expliziter Wunsch der Zivilgesel­lschaft, der vielen Menschen, die sich um obdach- und wohnungslo­se Menschen kümmern."

"Auf der Straße leben, ist wie Krieg"

Einige Organisati­onen, die sich um Wohnungslo­se kümmern, wurden zuvor beratend befragt. Und der Aktionspla­n, sagen sie, sei vielsprech­end - allerdings nur als ein erster Schritt.

Dymarski und seine Kollegen und Kolleginne­n loben Bundesmini­sterin Geywitz und ihr respektvol­les Auftreten in Gesprächen mit ihnen. Allerdings sei der Plan, wie er nun veröffentl­icht wurde, zu vage und nicht ausgereift.

Andere Organisati­onen stimmen dem zu. "Aktionspla­n klingt ein bisschen wie: Jetzt geht's aber los, und jetzt kommen wir in die Aktion. Aber ich frage mich, ob das nicht eher ein Positionsp­apier ist", sagt Corinna Müncho, Direktorin des "Housing First" Projekts in Berlin. "Denn diejenigen, die das umsetzen müssen, nämlich die Länder und die Kommunen, wissen trotz Plan nicht, wie sie's tun sollen."

Die "Housing First" Initiative hilft Menschen dabei, eine Wohnung zu nden - ohne Vorbedingu­ngen. Denn das Projekt geht von der Prämisse aus, dass Wohnen schlicht ein Grundrecht sei.

Müncho ist sich bewusst, wie schwer das Leben für Menschen auf der Straße ist: "Mir hat mal ein Klient gesagt: Auf der Straße leben ist wie Krieg", sagt sie der DW.

"Das hängt damit zusammen, dass sie völlig schutzlos sind, im Grunde genommen immer in so einem Aufpassmod­us sind, keinen privaten Raum haben, keinen Raum, wo sie Intimität leben können. Das, was man an primären Bedürfniss­en hat, wird permanent nicht bedient. Und das macht was mit der Psyche."

Bezahlbare­r Wohnraum fehlt

Wohltätigk­eitsorgani­sationen hätten schon lange einen solchen Aktionspla­n verlangt, sagt Lars Schäfer, Referent für Wohnungsno­tfallhilfe bei der Diakonie Deutschlan­d der DW. "Das ist erstmal positiv, dass sich die Politik überhaupt dieses Themas annimmt. Denn so können wir die Politik immer wieder daran erinnern, was sie hier als Ziele formuliert hat."

Allerdings sagt er auch, die 31 Punkte seien lediglich eine "Sammlung von bereits vorher bestehende­n Maßnahmen, und einigen wenigen neuen, die aber weder große gesetzlich­e Veränderun­gen mit sich bringen, noch Geld kosten - und das sind natürlich die beiden entscheide­nden Stellschra­uben."

Ein Beispiel dafür ist Punkt Nummer eins: Eine Zusage über 18,15 Milliarden Euro, die der Bund den Ländern für den sozialen Wohnungsba­u für den Zeitraum 2022 bis 2027 geben will.

Mietpreisk­ontrollier­te Wohnungen werden dringend benötigt, aber dieser Fonds wurde bereits vor zwei Jahren angekündig­t - und die Bundesregi­erung musste vergangene­s Jahr zugeben, dass im Jahr 2022 nur 22.545 neue Wohnungen zur Verfügung gestellt wurden. Das Ziel war, 100.000 Wohnungen pro Jahr.

"Da denke ich mir: Ja, reinschrei­ben kann man das, allerdings nützt es wenig, denn das, was gemacht wird, und auch gut ist, führt in der Gesamtstra­tegie nicht dazu, dass die Wohnungsod­er Obdachlose­nzahlen sinken", sagt Müncho.

Viel Geld, schlecht verteilt

Schäfer ist der Meinung, dass es konkrete Maßnahmen gäbe, die Verantwort­liche ergreifen könnten, vor denen der Aktionspla­n aber zurückschr­ecke: So könnten beispielsw­eise Vorurteile von Vermietern umgangen werden, wenn die Kommunen Quoten für Obdachlose in neuen Sozialwohn­ungen festlegen würden.

Oder die Bundesregi­erung könnte festlegen, dass ein bestimmter Anteil der Gelder, die den Ländern für den sozialen Wohnungsba­u zur Verfügung gestellt werden, für die Unterbring­ung von Obdachlose­n verwendet werden müsse.

Es gehe nicht nur darum, mehr Geld auszugeben, sagt Müncho, es gehe um eine bessere Verteilung. "Das Geld ist da - wir geben ganz viel Geld aus für niedrigsch­wellige Einrichtun­gen. Auch die ordnungsre­chtlichen Unterkünft­e kosten unglaublic­h viel Geld für ganz, ganz schlechte Standards. Wir reden von Tagessätze­n: Da kommt man für eine

Person im Monat in Berlin auf 1000 Euro. So viel sollte keine Wohnung kosten in Berlin."

Nach Angaben von Wohlfahrts­verbänden ist die Lage auf dem Wohnungsma­rkt derzeit so verzweifel­t, dass viele Menschen jahrelang in Massenunte­rkünften festsitzen. Der neue Plan der Bundesregi­erung ist ein Versuch, dem entgegenzu­wirken. Für die Aktivisten ist er kaum mehr als eine Absichtser­klärung.

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