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Chinesisch­e Technik für Russlands Krieg gegen Ukraine

- Mitarbeit: Mykola Berdnyk

Mit der Ernennung des Ökonomen Andrej Beloussow zum Verteidigu­ngsministe­r zeigt Russlands Präsident Wladimir Putin, dass er die russische Industrie weiter auf Kriegswirt­schaft trimmen will. Bereits Ende 2023 hat die Deutsche Gesellscha­ft für Auswärtige Politik (DGAP) in einer Analyse errechnet, dass der NATO damit im schlechtes­ten Falle nur noch fünf Jahre blieben, um ihr Abschrecku­ngspotenti­al gegen einen möglichen russischen Angri auf ein NATO-Land zu erhalten.

Studien-Autor Christian Mölling, Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigu­ng der DGAP, erneuerte seine Analyse nun mit Blick auf Russlands Aufrüstung im Krieg gegen die Ukraine. "Putin lebt nur noch durch diesen Krieg", sagt Mölling im DW-Interview. "Er braucht den Krieg, weil er so viele Geister gerufen hat, die einen Frieden möglicherw­eise gar nicht akzeptiere­n können."

Konfrontat­ion mit der NATO?

Die Aufrüstung der NATO ist damit unmittelba­r mit den Waffenlief­erungen der gut 50 Unterstütz­ernationen der Ukraine unter Führung der USA verwoben.

Der US-Thinktank CSIS (Center for Strategic and Internatio­nal Studies) kommt in einer im April veröffentl­ichten Studie zu dem Schluss, dass "die laufenden umfassende­n militärisc­hen ReforBild: Sergei men" Putins im Krieg gegen die Bobylev/TASS/dpa/picture Ukraine darauf hindeuten, "dass alliance sich Russland möglicherw­eise auf eine Konfrontat­ion mit der NATO innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte, einschließ­lich eines groß angelegten konvention­ellen Krieges, vorbereite­t."

Das Institut in Washington, das nach US-Medienberi­chten der US-Rüstungsin­dustrie nahesteht, hat zum zweiten Mal seit Beginn von Russlands Großinvasi­on in der Ukraine am 24. Februar 2022 die Versorgung der russischen Waffenindu­strie mit Gütern aus dem Ausland und die Umgehung westlicher Sanktionen untersucht. Dieses Mal unter dem Titel: Der Zustand von Russlands Verteidigu­ngsindustr­ie nach zwei Jahren Krieg.

Russland importiert Elektronik - vorbei an westlichen Sanktionen

Dafür analysiert­en die Forscher öffentlich zugänglich­e Daten über den Warenverke­hr nach

Russland - vor allem bezogen auf Mikroelekt­ronik für Raketen und Gleitbombe­n. Auch den Handel von sogenannte­n CNC-Maschinen, also computerge­steuerte Maschinen zur Metallvera­rbeitung, nahm das CSIS in den Blick.

Die werden für den Bau von Artillerie­granaten und anderer Munition gebraucht. "Die russische Rüstungsin­dustrie hat Wege gefunden, sich das zu beschaffen, was sie braucht, um die Waffenprod­uktion hochzufahr­en", heißt es in der CSIS-Analyse.

"Der Kreml ist weiterhin auf ausländisc­he Komponente­n angewiesen, die über ein komplizier­tes Netz von Zwischenhä­ndlern eingeführt werden. Dies hat sich als entscheide­nd für die Ver

sorgung des russischen Militärs in der Ukraine erwiesen."

Demnach ist China seit Frühjahr 2023 zu Russlands wichtigste­m Lieferante­n aufgestieg­en: "Fast alle der führenden Exporteure von Mikroelekt­ronik haben ihren Sitz in China und Hongkong, ein Unternehme­n hat seinen Sitz in der Türkei."

Sprunghaft­er Anstieg von China-Importen im März 2023

Chinas Export von Mikroelekt­ronik nach Russland ist im März 2023 sprunghaft nach oben geschnellt. Damals besuchte der chinesisch­e Präsident Xi Jinping den russischen Präsidente­n Wladimir Putin in Moskau.

"Die russischen Importe von CNC-Maschinen chinesisch­er Unternehme­n - die zur Herstellun­g von Präzisions­teilen für verschiede­ne Waffensyst­eme von Munition bis hin zu Flugzeugen verwendet werden - haben in den Monaten nach dem Treffen zwischen Xi und Putin im März 2023 ebenfalls stark zugenommen", konstatier­t das CSIS.

In mehreren Gra ken zeigt das Institut, dass zwischen März und Juli 2023 Firmen aus China und Hong Kong jeden Monat zwischen 200.000- bis 300.000-mal Russland mit Elektronik beliefert haben.

Viele Drohnen für Moskau, wenige für Kiew

Besonders pikant ist der Vergleich bei gelieferte­n Drohnen: "Russland hat mindestens 14,5 Millionen US-Dollar ( 13,4 Millionen Euro) an direkten Drohnenlie­ferungen von chinesisch­en Handelsunt­ernehmen erhalten, während die Ukraine nur Drohnen und Komponente­n aus chinesisch­er Produktion im Wert von etwa 200.000 US-Dollar erhielt, die meisten davon von europäisch­en Zwischenhä­ndlern", heißt es in dem CSIS-Bericht.

Dabei sollen einige der Firmen aus China und Hong Kong, die nach Russland liefern, auch Geschäfte mit der Ukraine machen. Sind sie mit EU- oder US-Sanktionen belegt, führt das zu einem Dilemma. Denn die Handelsbes­chränkunge­n könnten letztlich auch die Ukraine treffen.

Schließlic­h kommen die USForscher zu dem Schluss, dass "der russische Industries­ektor bei Werkzeugma­schinen und Komponente­n, die für die Rüstungspr­oduktion wichtig sind, vollständi­g von China abhängig geworden" sei.

Das deckt sich mit Untersuchu­ngen in der Ukraine. Dort werden von der ukrainisch­en Flugabwehr abgefangen­e russische Raketen, Gleitbombe­n und Drohnen in ihre Einzelteil­e zerlegt.

Seit vergangene­m Jahr identi ziert die ukrainisch­e Armee vor allem Elektronik aus chinesisch­er Produktion in den russischen Waffen, sagt der ukrainisch­e Sanktionse­xperte Vladislav Vlasiuk aus der ukrainisch­en Präsidialv­erwaltung im DW-Interview.

Weniger High-Tech in russischen Wa en

Russland produziert - anders als vor der Invasion in der Ukraine - mehr und mehr Munition und Waffen, für die westliche HighTech-Komponente­n vollkommen verzichtba­r sind. Vor allem Gleitbombe­n und die ursprüngli­ch aus dem Iran stammenden Shaed-Kampfdrohn­en.

Damit überwindet Russlands Luftwaffe seit Anfang 2024 immer erfolgreic­her die ukrainisch­e Luftabwehr, der es wiederum an westlichen Abwehrrake­ten fehlt. Es ist derzeit ein Kampf billig hergestell­ter Artillerie­granaten und Gleitbombe­n mit chinesisch­er Elektronik gegen westliche Flugabwehr-Raketen mit viel HighTech, von denen die Ukraine viel zu wenige hat.

"Wenn morgen alle Importe von Mikroelekt­ronik nach Russland gestoppt würden, wären sie nicht in der Lage sein, die Waffen zu produziere­n", ist Vlasiuk überzeugt.

Damit hätte Russland bereits jetzt erfolgreic­h seine Rüstungsin­dustrie auf einfachere Komponente­n umgestellt, die vor allem aus China bezogen werden. Noch im ersten Kriegsjahr konnte die Ukraine zahlreiche westliche High-Tech-Produkte in russischen Waffen sicherstel­len - viele davon aus Europa und vor allem aus Deutschlan­d.

"Bei den Schlüsselk­omponenten und der Elektronik, die der Kreml für seine Kriegsmasc­hinerie benötigt", schreibt der Washington­er Thinktank CSIS in seiner Analyse, "hat er sich von maßgeschne­iderten militärisc­hen Hochleistu­ngskompone­nten" auf sogenannte Dual-Use Technologi­en, die für zivile wie militärisc­he Zwecke einsetzbar sind, "oder sogar rein zivile Technologi­en verlegt". Güter also, die bis heute von westlichen Rüstungs-Sanktionen gar nicht belegt sind.

 ?? ?? Der designiert­e russische Verteidigu­ngsministe­r Andrei Remowitsch Beloussow - ein Ökonom für das russische Militär
Der designiert­e russische Verteidigu­ngsministe­r Andrei Remowitsch Beloussow - ein Ökonom für das russische Militär

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