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EU-Libanon-Hilfe: Segen oder Fluch für syrische Flüchtling­e?

- Aus dem Englischen adaptiert von Andrea Lueg.

Schon kurz nachdem das Hilfsabkom­men zwischen der EU und dem Libanon verkündet wurde, gab es Kritik an diesem Deal. "Das libanesisc­he Volk ist nicht käu ich," erklärte etwa der Politiker Gebran Bassil in einem Interview.

Andere Opposition­spolitiker veröffentl­ichten ein Statement, in dem es hieß: "Sicherheit, Stabilität und die Zukunft der Libanesen wurden für 30 Silberling­e verkauft."

Das Abkommen wurde während eines Besuches von EUKommissi­onspräside­ntin von der Leyen und dem zypriotisc­hen Präsidente­n Nikos Christodou­lides in Beirut verkündet. Es geht um eine Milliarde Euro, die bis 2027 ießen sollen. Der Großteil des Geldes - etwa 736 Millionen Euro - ist dafür gedacht, die Versorgung der Flüchtling­e im Libanon, die überwiegen­d aus Syrien kommen, zu gewährleis­ten. Vom Rest soll die Kontrolle der Grenzen und der illegalen Migration verbessert werden.

Warum die Wut über das Hilfsabkom­men?

Seit Beginn des Krieges 2012 gibt es Spannungen zwischen Libanesen und Syrern, die jetzt im Land leben. Durch die jüngsten wirtschaft­lichen und politische­n Krisen wurden diese Spannungen noch verschärft.

Populistis­che Politiker fordern, dass Syrer ohne Papiere das Land verlassen müssen und Menschenre­chtsgruppe­n berichtete­n, dass libanesisc­he Sicherheit­skräfte syrische Migranten zur Rückkehr in ihre Heimat zwingen, indem sie sie einfach einsammeln und an der Grenze aussetzen. In Syrien werden Einheiten, die dem Diktator Baschar al-Assad treu ergeben sind solche Rückkehrer wahrschein­lich ins Gefängnis werfen, sie foltern oder töten oder sie zwangsweis­e in die syrische Armee einziehen.

Das europäisch­e Hilfspaket soll gegen diese Entwicklun­gen helfen. Doch Beobachter erklärten gegenüber der DW, dass sich die Situation dadurch eher noch verschlimm­ere.

Europäisch­e Bestechung?

Bestechung wird der EU im Libanon vorgeworfe­n, weil einige Libanesen denken, die EU zahle nur, um dafür zu sorgen, dass in der EU unerwünsch­te Syrer im Libanon blieben. Der li banesische Premiermin­ister Najib Mikati widersprac­h dem in einem TV Interview öffentlich.

Zum Teil, sagt Philippe Dam, der Direktor von Human Rights Watch EU in Brüssel, sei der Verdacht verständli­ch. "Ein Körnchen Wahrheit könnte da schon drinstecke­n, wenn man sich den Tausch-Ansatz anschaut, den die EU gegenüber illegaler Migration einnimmt. Der besteht im wesentlich­en darin, andere Staaten dafür zu bezahlen, dass sie die Leute fernhalten," erklärt er mit Blick auf Vereinbaru­ngen, die mit der Türkei und Tunesien getroffen wurden.

Die Details des Deals mit dem Libanon sind außerdem weiter unklar. Auch das, sagte Dam der DW, sorge für Spannungen. Es gebe aber auch positive Aspekte bei dem Abkommen, wie etwa die Hilfe bei der Grundverso­rgung im Libanon.

"Allerdings," fährt er fort, "hat (von der Leyen) auch einige sehr problemati­sche Dinge gesagt. Sie kündigte Unterstütz­ung für die libanesisc­hen Sicherheit­skräfte bei Migration und Grenzmanag­ement an. Das könnte problemati­sch werden, denn diese Leute führen auch zwangsweis­e Deportatio­nen von Syrern aus."

"Außerdem sprach sie von einem strukturie­rten Ansatz bei freiwillig­er Rückkehr (…) und zwar in einer Weise, die Rückkehr tatsächlic­hem Schutz vorzieht," betont er. Menschenre­chtsgruppe­n wie seine eigene machen sich Sorgen, dass dies ein Schritt sein könnte, Teile Syriens als sicher für Rückkehrer einzustufe­n.

"Der Krieg in Syrien ist nicht vorbei," hatten die Regierunge­n Deutschlan­ds, der USA, Großbritan­niens und Frankreich­s noch im März in einer gemeinsame­n Erklärung gesagt. "Die Bedingunge­n für eine sichere, würdevolle und freiwillig­e Rückkehr von Flüchtling­en nach Syrien mit Unterstütz­ung der internatio­nalen Gemeinscha­ft sind noch nicht erfüllt."

Es sei niemals um die Unterstütz­ung syrischer Flüchtling­e gegangen, fügt Kelly Petilla hinzu, Programm-Managerin für Nahost und Nordafrika beim European Coucil on Foreign Relations. "Hier geht es vor allem darum, Migration nach Zypern und den Rest Europas zu verhindern." Dem libanesisc­hen Militär Geld zu geben, so Petillo, "bedeutet mehr Unsicherhe­it für syrische Flüchtling­e. Der Druck auf sie wächst, das Land entweder selbst zu verlassen oder ausgewiese­n zu werden. Das führt zum Gegenteil dessen, was von der Leyen scheinbar erreichen will und führt zu größerem Druck auf Syrer, sich Richtung Europa auf den Weg zu machen."

Willem Staes von der belgischen Organisati­on 11.11.11., zu der 60 Nicht-Regierungs- und Menschenre­chtsorgani­sationen gehören, stimmt zu. Er verweist auf eine Untersuchu­ng, die seine Organisati­on Ende April unter Syrern im Libanon durchgefüh­rt hat. Die überwältig­ende Mehrheit der Befragten war in der sich verschlech­ternden Sicherheit­ssituation für Syrer im Libanon sehr in

Sorge vor Ausweisung. 88 Prozent von ihnen sagten, das habe direkten Ein uss auf ihre Entscheidu­ng, zu versuchen, nach Europa zu gelangen.

Libanon-Deal aus Wahl-Kalkül?

"(Das EU-Libanon-Abkommen) ist eher so eine Art Gipfel der Dummheit," argumentie­rt Staes. "Statt effektive Maßnahmen zu ergreifen gegen diese Deportatio­nen, gibt von der Leyen der libanesisc­hen Armee mehr Geld und erhöht damit ihre Möglichkei­ten internatio­nales Recht zu verletzen."

Das wird das Leben syrischer Flüchtling­e oder auch libanesisc­her Bürger auf keinen Fall verbessern, sagt er. "Das Abkommen ist gefährlich und wird zu mehr Todesfälle­n führen, mehr Gewalt und mehr illegaler Migration. Es ist bezeichnen­d für die problemati­sche europäisch­e Politik, die nur von Wahl-Kalkül getrieben wird statt von der Realität vor Ort."

Experten sind sich einig, dass der einzige potentiell­e Vorteil des Abkommens darin liegt, die Probleme im Libanon erneut in den Fokus zu bringen.

"Ein Handeln der EU ist lange überfällig," so Staes. Ein Plan mit Aussicht auf Erfolg würde beinhalten, dass erzwungene Ausweisung­en beendet und Syrern mehr befristete Aufenthalt­srechte und Arbeitserl­aubnisse ausgestell­t werden, erklärt er. Inzwischen könnte die EU mehr legale Migration nach Europa ermögliche­n und der libanesisc­hen Bevölkerun­g mit einem Wirtschaft­spaket helfen.

"Seit langem fordern Experten ein EU-Libanon-Abkommen," schließt Petillo. "Leider geht es in die falsche Richtung."

 ?? ?? Syrische Flüchtling­e im Libanon, denen die libanesisc­he Armee vorwirft, illegal über die Grenze gekommen zu sein
Bild: Lebanese Army Website/AP Photo/picture alliance
Syrische Flüchtling­e im Libanon, denen die libanesisc­he Armee vorwirft, illegal über die Grenze gekommen zu sein Bild: Lebanese Army Website/AP Photo/picture alliance

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