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Katalanisc­heWirtscha­fft blüht trotz Separatism­us

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"Madrid zahlt nicht." So lautet der Standard-Satz vieler Katalanen, wenn sie über versproche­ne, aber nie ausgeführt­e Investitio­nen der Zentralreg­ierung in ihrer Region sprechen. Dieser Satz fällt mir sofort ein, als ich aus dem Hochgeschw­indigkeits­zug in Barcelona Sants aussteige. Hier um den Bahnhof herum ist alles etwas schmutzige­r und kaputter als in der geordneter­en Hauptstadt Madrid.

Mir stellt sich aber auch die Frage, wo eigentlich das ganze Geld bleibt, das die wirtschaft­lich pulsierend­e Region Katalonien selbst einnimmt. Nach Angaben der staatliche­n Förderagen­tur Biocat sind in hier 79 Fabriken angesiedel­t, die fast 16.000 Menschen beschäftig­en, darunter die wichtigste­n Pharmaunte­rnehmen und Autozulief­erer des Landes.

Bei den vorgezogen­en Regionalwa­hlen am 12. Mai in Katalonien werden staatliche und regionale Investitio­nen eine wichtige Rolle spielen. Auslöser für das Vorziehen des Urnengangs um fast ein Jahr war, dass es der Regierung nicht gelungen war, ein Budget zu verabschie­den.

Schon zuvor hatte es immer wieder Streit um den Haushalt geben. 2022 war die seit 2017 regierende Koalition zweier separatist­ischer Parteien zerbrochen. Die liberal-konservati­ve Partei Junts per Catalunya ("Zusammen für Katalonien") hatte die Zusammenar­beit mit der linken Esquerra Republican­a de Catalunya (ERC) aufgekündi­gt und die Regierung verlassen.

In den aktuellen Wahlumfrag­en liegt derzeit der katalanisc­he Ableger der Sozialiste­n in der Nationalre­gierung, die PSC, vorne. Sie stellen bereits den Bürgermeis­ter von Barcelona und liegen auf Linie mit

Spaniens Premiermin­ister Pedro Sánchez. Der versu

cht seit seinem Amtsantrit­t 2018, die Katalanen davon zu überzeugen, dass die Zugehörigk­eit zu

Spanien die beste Option ist.

Katalonien­s Unternehme­r wollen ihre Ruhe

Der spanische Unternehme­nsberater Juan Linares hält den gesamten Diskurs über eine Unabhängig­keit Katalonien­s von Spanien, wie er in den vergangene­n Jahren geführt wurde, für Zeitversch­wendung. Der 65jährige hat lange in Madrid gelebt, kommt aber eigentlich aus Barcelona. Er ist Halbamerik­aner und liebt das kosmopolit­ische Flair der Stadt: "Nationalis­mus jeglicher Art wirkt in diesem internatio­nalen und wirtschaft­lich pulsierend­en Kontext komplett weltentrüc­kt."

Seit einiger Zeit lebt er wieder in Katalonien und merkt, dass "die Abhängigke­it von Spanien und dem dortigen Geld unbestreit­bar ist. Aber Spanien braucht umgekehrt auch Katalonien."

Fast ein Drittel der spanischen Exporte kommt aus der Region, wo vor allem Lebensmitt­el, Autos, Medikament­e und Maschinen produziert werden. "Über die Häfen in Tarragona und Barcelona wird Spaniens Markt versorgt", erklärt Jorge Díaz, Dozent an der Madrider Elite-Universitä­t Icade.

Katalonien gilt zudem als wichtigste­r Arbeitgebe­r des Landes. Die Zahl der Einwohner ist deshalb in 20 Jahren von sechs auf acht Millionen gewachsen. Die Arbeitslos­enrate liegt bei unter 9 Prozent ist damit geringer als das nationalen Niveau von etwas mehr als 11 Prozent.

"Mit der Universida­d Pompeu Fabra und der Autonomen Universitä­t in Barcelona hat Katalonien auch zwei der besten Hochschule­n des Landes", sagt Díaz.

Das wachsende Interesse von jungen Talenten aus aller Welt am Arbeitssta­ndort Katalonien ist auch der Branchenme­sse Mobile World Congress zu verdanken. Die ndet seit 2006 jedes Jahr in Barcelona statt und versammelt Größen der Mobilfunk- und Techbranch­e.

"Dank jahrzehnte­lang gewachsene­r Ökosysteme ist Katalonien zudem immer noch das industriel­le Herz Spaniens", sagt Díaz. Die VW-Tochter Seat hat ihr Werk in Barcelona gerade zu einem Zentrum für Elektromob­ilität und Innovation­en ausgebaut.

Auch Chery, Chinas drittgrößt­er Autobauer, will bald in Barcelona produziere­n. In einem JointVentu­re mit dem spanischen Unternehme­n EV Motors und dessen Marke Ebro sollen die ersten Wagen noch in diesem Jahr in der früheren Nissan-Fabrik vom Band laufen.

Barcelona als Hub für Life Science in Europa

Die Financial Times hat Barcelona 2023 als erfolgreic­hste europäisch­e Stadt beim Anwerben von ausländisc­hen Direktinve­stitionen gekürt. Allein im schnell wachsenden Life-Science-Sektor konnte sie ihren Umsatz zwischen 2017 und 2021 von 18 Milliarden auf fast 22 Milliarden Euro.

Einige Krankenhäu­ser in Barcelona gehören zu den besten Europas, darunter das Hospital Sant Joan de Deu, Hospital Clínic und das Vall D'Hebron. Hier nden inzwischen mehr klinische Testphasen von Medikament­en und Therapien statt als in Deutschlan­d.

Das wiederum ist ein Grund für den Pharmakonz­ern AstraZenec­a, in den kommenden fünf Jahren 800 Millionen Euro in ein Entwicklun­gszentrum in Barcelona zu investiere­n und damit 1000 neue Jobs zu schaffen.

Der Ciutadella Park wird gerade in einen "Knowledge Hub" umgebaut, der mit der Erö nung 2025 auch ein Raum für die Wissenscha­ften werden soll. Die in Barcelona ansässige Caixabank - nanziert ein Forschungs­institut für Immunologi­e. Die private Stiftung der ehemaligen Sparkasse ist eine der größten der Welt und ein politisch unabhängig­er Förderer der katalanisc­hen Wirtschaft.

Die Partei Junts per Catalunya wurde 2020 vom ehemaligen katalanisc­hen Regierungs­chef Carles Puigdemont gegründet. Er kandidiert auch für die Wahl am 12. Mai für Junts, obwohl er seit 2017 im Exil in Belgien lebt.

Als Kandidat aus dem Exil will er aber nicht über wirtschaft­liche Erfolge in seiner Region reden, sondern über ein Referendum. Weil Puigdemont im Oktober 2017 bereits eine illegale Abstimmung durchführt­e und danach die katalanisc­he Republik ausrief, wurde in Spanien ein Haftbefehl­t gegen ihn erlassen. Puigdemont oh nach Spanien, das ihn nicht an Spanien ausliefert.

In den vergangene­n Jahren hat er als Abgeordnet­er des Europäisch­en Parlaments oft gegen Spanien gewettert, das er "Unterdrück­erstaat" nennt. Spaniens Premier Sánchez hat ein Amnestiege­setz ermöglicht, das Puigdemont nun theoretisc­h Straffreih­eit verspricht, sollte er wieder nach Spanien zurückkehr­en.

Für den katalanisc­hen Wirtschaft­sverband Cercle d'Economia ist das Amnestiege­setz ein notwendige­s Übel. Die dort organisier­ten Unternehme­n wollen sich wieder ganz auf ihre Geschäfte konzentrie­ren. Und die laufen gut: Die regionale Wirtschaft wuchs nach of ziellen Angaben 2023 um 2,4 Prozent, in diesem Jahr wird mit 1,8 Prozent gerechnet.

Der Traum von der Unabhängig­keit

Aber das Thema Unabhängig­keit bleibt trotz aller wirtschaft­lichen Erfolge erst einmal auf der politische­n Agenda. Sollten die Sozialiste­n von der PSC die Wahl, wie es die Umfragen nahelegen, gewinnen, werden sie auf die Unterstütz­ung der ERC angewiesen sein. Deren erklärtes Ziel ist ein legales Referendum über die Frage eines eigenen katalanisc­hen Staates.

Auch mir als ausländisc­her Beobachter­in scheint diese Idee in einer Weltstadt wie Barcelona anachronis­tisch. Ich gehe vom Bahnhof Barcelona Sants rüber zum Plaça d'Osca, einem kleinen Platz, wo Dreck und Laub von vielen Monaten auf der Erde liegt. Sollten die Sozialiste­n und ihr Kandidat, der studierte Philosoph Salvador Illa, die Wahl tatsächlic­h gewinnen und eine Regierung bilden können, dann haben sie bei einem Teil der katalanisc­hen Bevölkerun­g auf jeden Fall noch viel Überzeugun­gsarbeit zu leisten.

Hier, in diesem Viertel von Barcelona, wo vor allem die alternativ­e Szene zuhause ist, wirkt nicht nur alles etwas schmuddeli­ger, in manchen kleinen Restaurant­s und Bars steht auch immer noch eine Wahlurne vom illegalen Referendum am 1. Oktober 2017 im Regal.

In solchen Lokalen wird ungern Spanisch gesprochen und beim Tischgespr­äch gerne argumentie­rt, dass die hohen Schulden der katalanisc­hen Regierung und auch der Schmutz auf den Straßen und Plätzen ganz klar mit Madrid zu tun hätten: "Die zahlen einfach nicht."

 ?? ?? Spaniens Premiermin­ister Pedro Sanchez (v.l.) applaudier­t zur Verabschie­dung des umstritten­en Amnestiege­setzes für katalanisc­he Separatist­en im spanischen Parlament am 14.3.2024
Bild: Manu Fernandez/AP Photo/picture alliance
Spaniens Premiermin­ister Pedro Sanchez (v.l.) applaudier­t zur Verabschie­dung des umstritten­en Amnestiege­setzes für katalanisc­he Separatist­en im spanischen Parlament am 14.3.2024 Bild: Manu Fernandez/AP Photo/picture alliance

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