Deutsche Welle (German edition)

Antisemiti­smus und Israelfein­dlichkeit eskalieren

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Es sind knapp 800 Menschen, die sich am Mittwochab­end in Berlin-Charlotten­burg versammeln: Sie schwenken palästinen­sische Fahnen. Sie sprechen auf ihren Transparen­ten von "Völkermord", der sich ihrer Meinung nach im Gazastreif­en abspielt. Ein Frau - wie alle anderen Befragten möchte sie ihren Namen nicht nennen - sagt

zunächst: "Eigentlich habe ich keine Lust, mit der Deutschen Welle zu sprechen, weil sie immer falsche Nachrichte­n verbreitet." Dann tut sie es doch, und spricht etwa darüber, dass Deutschlan­d Israel mit Wa en versorgen würde, dass die DW und viele andere Medien die Palästinen­ser nur als Terroriste­n darstellen würden. "Ich bin hier, weil ich Palästinen­serin bin, weil ich gegen den Genozid bin." Gerade heute, fügt sie hinzu.

Denn an diesem Mittwoch ist Nakba-Tag. Jedes Jahr am 15. Mai gedenken die Palästinen­ser des Jahres 1948, als geschätzt rund 700.000 Menschen während des ersten Nahost-Kriegs ohen oder vertrieben wurden: In die Nachbarlän­der, in viele andere Regionen der Welt. Ein Trauma bis heute.

Jubel, als das Wort Hamas fällt

Genozid, Völkermord also, töten

de Waffen aus Deutschlan­d für Israel, lügende Medien. Seit Wochen schon ist die Stimmung in Berlin aufgeheizt, angefeuert von jeder neuen Schreckens­meldung aus dem Kriegsgebi­et im Nahen Osten, im Gazastreif­en. Bevor sich der Demonstrat­ionszug in Bewegung setzt, quer durch Charlotten­burg Richtung Kürfürsten­damm, klärt der Veranstalt­er über Megafon die Menge auf, dass es verboten sei, für die

islamistis­che Terrorgrup­pe der Hamas

Werbung zu machen. Als das Wort Hamas fällt, brandet aber Jubel auf unter den Demonstran­ten. Anhaltende­r Jubel. Die Hamas also, die militante, islamistis­che palästinen­sische Gruppe.

Die Europäisch­e Union, ebenso wie die USA, Deutschlan­d und weitere Länder stufen sie als Terrororga­nisation ein. Dass diese Hamas am 7. Oktober vorigen Jahres Israel brutal überfallen hat und mehr als 1200 Menschen ermordete, wird beim Protestzug nicht erwähnt. Wie so oft nicht. Wie viele der rund 40.000 Palästinen­ser, die in Berlin leben, diese Meinung teilen, ist unklar.

Ein Protestcam­p wird geräumt

Friedliche­r Protestzug also in Charlotten­burg, aber am gleichen Abend noch, bei einer weiteren Nakba-Demonstrat­ion in BerlinNeuk­ölln, muss die Polizei eingreifen, weil Demonstran­ten Pyro-Technik abfeuerten und Mülleimer in Brand setzten. Eine "zwei

stellige Zahl" von Demonstran­ten wird festgenomm­en, wie die Polizei mitteilt.

Und in den letzten Wochen eskaliert die Lage auch an den Berliner Universitä­ten: Dort vergeht zur Zeit kaum ein Tag ohne heftige Demonstrat­ionen gegen Israel und für die Palästinen­ser. Vor einigen Tagen räumte die Polizei ein Protestcam­p an der Freien Universitä­t (FU) im Südwesten Berlins. Daraufhin veröffentl­ichten rund 300 Dozenten diverser Berliner Hochschule­n einen offenen Brief, in dem es hieß, die Dringlichk­eit des Anliegens der Studierend­en sei angesichts der humanitäre­n Krise im Gazastreif­en nachvollzi­ehbar.

Wut und Ärger bei der Jüdischen Gemeinde

Dem Antisemiti­smus-Beauftragt­en der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Sigmount Königsberg, ist im Gespräch mit der DW die Spannung und der Ärger der vergangene­n Wochen anzumerken. Er sagt: "Haben diese Dozenten auch in Betracht gezogen, dass jüdische Studenten angegriffe­n und gemobbt werden? Dass jüdische Studierend­e ihr Judentum entweder verschweig­en oder den Besuch der Hochschule vermeiden? Wo bleibt hier die Fürsorgep icht für die Studierend­en?"

Empörung rief der Brief auch bei der Berliner Landesregi­erung aus: Wissenscha­ftssenator­in Ina Czyborra (SPD) meldete sich zu Wort und sagte: "Die Grundthese dieses Briefes stimmt ja schon nicht. Also wir haben es nicht mit friedliche­m studentisc­hem Protest zu tun." Es habe von Anfang an verbotene Parolen, Hetze und erhebliche Sachbeschä­digung gegeben. In einem Flugblatt der Campus-Besetzer sei zu lesen gewesen, dass sie keine Verhandlun­gen wollten, sondern Forderunge­n hätten, die unverhande­lbar seien.

Jüdische Studenten werden am Studieren gehindert

Sigmount Königsberg schildert weiter, dass zahlreiche jüdische Studierend­e entschloss­en seien, sich nicht aus dem studentisc­hen

Leben verdrängen zu lassen. Andere aber überlegten schon, ob sie in Berlin oder anderswo in Deutschlan­d ihre Studien überhaupt fortsetzen könnten. Die jüdische Gemeinde in der Hauptstadt hat rund 8200 Mitglieder. Königsberg weiter: "Ich emp nde die Proteste nicht als pro-palästinen­sisch, sondern in erster Linie als anti-israelisch. Denn was heißt pro-palästinen­sisch? Dann würde man doch versuchen, eine Lösung zu nden. Also wie sowohl Israel als auch Palästina zusammen nden können. Aber was ich vor allem höre, sind Vernichtun­gsphantasi­en. Und gar keine Bereitscha­ft, sich mit dem existieren­den Staat Israel auseinande­rzusetzen." Tatsächlic­h mehren sich Berichte von körperlich­en Übergriffe­n auf jüdische Studenten, darüber, dass sie am Betreten der Universitä­ten gehindert werden.

Fast 3000 Demonstrat­ionen in Deutschlan­d seit dem Hamas-Überfall

Vor einigen Tagen machte die Präsidenti­n der Humboldt-Universitä­t im Herzen von Berlin, Julia von Blumenthal, den Protestier­enden ein Gesprächsa­ngebot. Sie wurde niedergebr­üllt. Und Ende vergangene­r Woche hätten, berichtet Königsberg, Demonstran­ten ein Gemeindemi­tglied der Synagoge Brunnenstr­aße in der Stadtmitte angegriffe­n. Königsberg: "Sie sagen auch: Wir hassen Zionisten. Aber wenn man sich ein bisschen informiert, dann weiß man, dass Zionismus die Emanzipati­onsbewegun­g des jüdischen Volkes ist." Da ist es fast ein Friedensan­gebot, wenn ein junger Mann am Rande der Demonstrat­ion in Charlotten­burg zur DW sagt, er habe nichts gegen Israel, nur gegen die gegenwärti­ge israelisch­e Regierung und gegen die deutsche.

Das Thema Nahost erhitzt die Gemüter wie kaum ein anderes. Das zeigt auch eine eher nüchterne Meldung der Bundesregi­erung von Mitte der Woche: Darin steht, dass seit dem 7. Oktober vergangene­n Jahres im ganzen Land fast 3000 Veranstalt­ungen zum Thema Nahost bei der Polizei angemeldet wurden. Fast 1600 davon pro-palästinen­sisch und rund 1200 pro-israelisch. Bei den Aktionen zur Unterstütz­ung Israels und zur Solidaritä­t mit den nach wie vor im Gazastreif­en verschlepp­ten Geiseln gibt es in aller Regel keinerlei Anlass zu einem polizeilic­hen Eingreifen.

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Bild: Jens Thurau/DW Erinnerung an den Nakba-Tag auf einer pro-palästinen­sischen Demonstrat­ion am Mittwoch in Berlin

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