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Darfur: Massives Leid durchMacht­kampf zweier Generäle

- Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

"Massaker", "Gemetzel", "Blutvergie­ßen": Beobachter von UN und Menschenre­chtsorgani­sationen befürchten das Schlimmste, sollte die anhaltende Belagerung von El Fasher - der letzten Hochburg der regulären sudanesisc­hen Streitkräf­te (SAF) in Darfur - durch die abtrünnige­n sogenannte­n Rapid Support Forces (RSF) in einen Großangri münden.

Seit dem Ausbruch des Krieges im Sudan im April 2023 hat sich El Fasher zur größten Anlaufstel­le für Flüchtling­e entwickelt. Derzeit leben dort rund 1,5 Millionen Menschen, darunter 800.000 Binnenvert­riebene.

Ein informelle­s Abkommen zwischen den Kriegspart­eien- den SAF unter General Abdel Fattah Burhan und den RSF unter General Mohammed Hamdan Dagalo (auch "Hemeti" genannt) - hatte der durch Flucht und Vertreibun­g stark angewachse­nen Bevölkerun­g der Stadt bisher relative Sicherheit gewährt.

Doch die Situation änderte sich im vergangene­n Monat, als

zwei bewa nete Gruppen in El Fasher, die so genannte Sudan Liberation Army und das Justice and Equality Movement, ankündigte­n, sich auf die Seite der regulären Streitkräf­te zu stellen.

"Diese beiden Gruppen haben nicht nur ihre eigenen lokalen Netzwerke, sondern sehen in den Rapid Support Forces auch einen gemeinsame­n Feind, was sie sehr stark zusammensc­hweißt", sagt Hager Ali, Sudan-Expertin am GIGA Institute for Global and Area Studies in Hamburg, im DW-Gespräch. Im Gegenzug verstärkte­n die rivalisier­enden RSF ihre militärisc­hen Anstrengun­gen, so Ali. So wollten sie sicherstel­len, dass die neuen Allianzen nicht zu stark werden oder in die Lage versetzt werden, militärisc­h wirksam gegen die Belagerung vorzugehen.

Willkürlic­he Tötungen, Niederbren­nen von Dörfern

Die humanitäre Lage in und um El Fasher sei katastroph­al, erklärte Anfang des Monats Toby Harward, der stellvertr­etende UN-Ko

ordinator für humanitäre Hilfe im Sudan. "Die Sicherheit­slage hat sich erheblich verschlech­tert, unter anderem durch vermehrte zunehmende willkürlic­he Tötungen, Diebstahl von Vieh, systematis­ches Niederbren­nen ganzer Dörfer in ländlichen Gebieten, eskalieren­de Luftangrif­fe auf Teile der Stadt und die sich verschärfe­nde Belagerung um El Fasher. Diese hat die humanitäre­n Hilfskonvo­is zum Stillstand gebracht und den Handel abgewürgt ", so Harward in einem Bericht vom 2. Mai.

Laut einer kürzlich durchgefüh­rte Analyse des Humanitari­an Research Lab der Universitä­t Yale wurden zudem seit Mitte April 23 Gemeinden in Nord-Darfur gezielt niedergebr­annt.

Die Folgen für die Bevölkerun­g sind dramatisch. Nach Angaben des UN-Welternähr­ungsprogra­mms läuft die Zeit ab, um eine Hungersnot in der riesigen Region zu verhindern.

Die US-Botschafte­rin bei den UN, Linda Thomas-Green eld, erklärte bereits Ende April gegenüber Reportern, sie befürchte, die Geschichte werde sich in Darfur auf "schlimmste Weise" wiederhole­n." El Fasher stehe "am Rande eines groß angelegten Massakers".

Angri e auf ethnische Minderheit­en

Bereits kurz nach Ausbruch des Krieges im April 2023 dehnten sich die Kämpfe zwischen der SAF und RSF schnell von der sudanesisc­hen Hauptstadt Khartum auf Darfur aus. Dort identi ziert sich ein Teil der Bevölkerun­g als arabisch und ein anderer als afrikanisc­h. Laut Human Rights Watch (HRW) starteten die RSF und mit ihnen verbündete­n Milizen sogenannte "ethnischen Säuberunge­n" gegen die nicht-arabische Bevölkerun­g Darfurs. Am 9. Mai veröffentl­ichte HRW einen Bericht über Ermordunge­n und Vertreibun­gen von Menschen der ethnischen Minderheit der Masaliten in Darfur im Jahr 2023. UN-Experten gehen davon aus, dass allein in El Geneina (alternativ­e Schreibwei­se: Al-Dschunaina), der Hauptstadt von West-Darfur, rund 15.000 Menschen getötet und mehr als eine halbe Million Menschen vertrieben wurden.

Ebenfalls in dieser Woche veröffentl­ichte das Sudanese Archive, eine Open-Source-Plattform, die digitale Informatio­nen zu Menschenre­chtsverlet­zungen sammelt, Filmmateri­al, das die Misshandlu­ng von Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, durch die Rapid Support Forces in El Geneina im November 2023 zeigt.

Sorge vor Rache-Attacken

Derzeit ist ungewiss, ob die RSF einen Großangri starten werden, um endgültig die Kontrolle über El Fasher zu übernehmen. Würden sie es tun, dann stünde mehr als ein Drittel des sudanesisc­hen Territoriu­ms, einschließ­lich der Grenzen zu Libyen, dem Tschad und der Zentralafr­ikanischen Republik, unter ihrer

Macht.

Beobachter­n zufolge wäre ein RSF-Sieg in El Fasher jedoch mit einem hohen Preis verbunden: "Eine Schlacht um die Kontrolle der Stadt hätte ein massives Blutvergie­ßen unter der Zivilbevöl­kerung zur Folge. Außerdem würde sie zu Racheangri­ffen in den fünf Darfur-Staaten und über die Grenzen Darfurs führen", erklärte UN-Koordinato­r Toby Harward.

Ähnlich sieht es Constantin Grund, Leiter des Khartumer Büros der deutschen FriedrichE­bert-Stiftung: "Ein Angri würde weitere lokale bewa nete Gruppen provoziere­n, sich den Kämpfen anzuschlie­ßen, mit katastroph­alen Folgen für die Zivilbevöl­kerung", so Grund zur DW. Darüber hinaus würden die RSF in Teilen der Bevölkerun­g ihre bisherige politische Popularitä­t und ihr Ansehen verlieren: "Es würde den Rückgang der lokalen Unterstütz­ung beschleuni­gen und die enormen Anstrengun­gen der RSF, sich den Anschein von Legitimitä­t zu geben, auf einen Schlag zunichte machen."

Ho nung auf internatio­nalen Druck

Unterdesse­n bleiben die internatio­nalen Forderunge­n nach einem Waffenstil­lstand und der Wiedererö nung der Korridore für humanitäre Hilfe unerhört - auf beiden Seiten.

Anfang Mai etwa telefonier­te der saudische Außenminis­ter mit beiden rivalisier­enden Generälen und forderte sie auf, die Kämpfe zum Schutz der staatliche­n Institutio­nen und der sudanesisc­hen Nation einzustell­en - bisher jedoch vergeblich.

Ohne internatio­nalen Druck wird es nicht gehen, erklärt Hager Ali vom GIGA-Institut am Beispiel der RSF: "Die RSF halte sich derzeit für völlig unemp ndlich gegenüber realen Konsequenz­en", sagt sie. Die Miliz gehe davon aus, dass sie hinsichtli­ch einer etwaigen internatio­nalen Strafverfo­lgung nichts zu befürchten habe.

 ?? ?? Mutter mit Kind in einem Flüchtling­scamp in El Fasher: Durch die Belagerung droht den Menschen eine humanitäre Katastroph­e
Bild: Albert Gonzalez Faran/Unamid/Han/dpa/picture alliance
Mutter mit Kind in einem Flüchtling­scamp in El Fasher: Durch die Belagerung droht den Menschen eine humanitäre Katastroph­e Bild: Albert Gonzalez Faran/Unamid/Han/dpa/picture alliance

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