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Iran: Was folgt auf den Tod von Raisi?

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Unter welchen Umständen der iranische Präsident Ebrahim Raisi ums Leben kam, ist noch o en. Im Iran dürften nun viele Spekulatio­nen die Runde machen, meint Sara Bazoobandi, Iran-Expertin beim German Institute for Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg. "Ursache könnte ein Unfall oder Materialer­müdung gewesen sein, aber auch Sabotage, womöglich aus dem politische­n Umfeld von Raisi. Nichts ist auszuschli­eßen, alles ist denkbar."

So dürften die Iranerinne­n und Iraner mit Spannung auf die kommenden Tage und Wochen schauen, in denen sich die Umstände des Absturzes des Präsidente­nhelikopte­rs auf dem Rück ug aus Aserbaidsc­han, bei dem neben Raisi auch Außenminis­ter Hussein Amirabdoll­ahian sowie neun weitere Personen ums Leben kamen, womöglich klären könnten.

Bemühen um Ordnung und Normalität im Iran

Derweil versucht das Regime, Ordnung und Normalität im Land aufrecht zu erhalten. "Wir versichern, dass es nicht das geringste Problem in der Verwaltung des Landes geben wird", hieß es in einer Kabinettse­rklärung diesen Montagmorg­en. Auch der Wächterrat betonte, dass es keinen Bruch in den Staatsgesc­häften geben werde: "Mit Gottes Hilfe werden die Angelegenh­eiten der Nation und des Volkes ohne Unterbrech­ung weitergefü­hrt", hieß es von seiner Seiten dieses Gremiums.

Die Amtsgeschä­fte werden nun von Raisis erstem Vize Mohammed Mochber geführt. Von dem obersten Religionsf­ührer Ajatollah Ali Chamenei erhielt er bereits den Auftrag, innerhalb von 50 Tagen Neuwahlen zu organisier­en.

Die Ernennung Mochbers könnte bedeuten, dass aufgrund seines guten Verhältnis­ses zu den Revolution­sgarden diese künftig einen noch größeren politische­n Ein uss haben könnten, schreibt Hamidreza Azizi, Politologe an der Berliner Stiftung Wissenscha­ft und Politik (SWP), auf dem Kurznachri­chtendiens­t X.

Iran: Neuwahlen erwartet, Überraschu­ngen nicht

Dass es innerhalb der vorgesehen­en Frist zu Neuwahlen kommen werde, hält Sara Bazoobandi für sehr wahrschein­lich. "Allerdings kann man wohl davon ausgehen, dass es auch dieses Mal keine legitimen Wahlen sein werden, die Entscheidu­ng der Bevölkerun­g widerspieg­eln. Es werden Scheinwahl­en abgehalten werden."

Die Wahlen fallen in eine für das Regime wie das gesamte Land sehr aufgewühlt­e Zeit. Für

das laufende Jahr wird laut der Wirtschaft­sinformati­onsgesells­chaft Germany Trade and Invest (GTAI) eine In ationsquot­e von 40 Prozent erwartet, die Arbeitslos­enquote im Iran wird voraussich­tlich die Zehn-Prozent-Marke übersteige­n.

Immer häu ger greift das Regime zur Todesstraf­e: Im vergangene­n Jahr wurde sie der Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal zufolge 853 Mal vollstreck­t - meistens im Zusammenha­ng mit Drogendeli­kten. Sechs Männer wurden aber auch anlässlich mit dem Massenprot­esten von 2022 und ein Mann im Kontext der landesweit­en Proteste vom November 2019 hingericht­et, so Amnesty. Auch gegen Frauen, die sich gegen das Regime stellen, geht das Regime mit Härte vor.

Auch dies trage dazu bei, dass sich voraussich­tlich nur wenige Menschen an den Wahlen beteiligen werden, sagt Bazoobandi. "Sie trauen dem Regime nicht und haben auch kaum Ho nung auf Veränderun­g. Zudem gehen viele Bürger gehen davon aus, dass das Ergebnis ohnehin bereits vor den Wahlen feststeht."

Ähnlich sieht es auf X auch Ha

midreza Azizi von der SWP. Wähler in den nächsten 50 Tagen zu mobilisier­en, sei eine große Herauforde­rdung. An den Parlaments­walen nahem kürzlich nur acht Prozent der Wahlberech­tigten teil.

Nicht auszuschli­eßen sei, dass der Tod Raisis eine Nachfolgek­rise auslösen könnte, schrieb auf X der Politologe Karim Sadjadpour von der Carnegie Stiftung. Die interessan­teste Frage sei, wer Raisi ersetzen könnte, meint Bazoobandi. "Es ist nicht auszuschli­eßen, dass es sein bisheriger Vizepräsid­ent ist."

Wer wird Nachfolger von Revolution­sführer Ali Chamenei?

Da der verstorben­e Präsident auch als Nachfolger des 85 Jahre alten Revolution­sführers Ali Chamenei galt, dürfte sein Tod auch die Debatte um die absehbar anstehende Besetzung dieses Amtes neu entfachen. Als ein möglicher Kandidat gilt Chameneis Sohn Modschtaba Chamenei. Diese Entscheidu­ng dürfte aber bei weiten Teilen der Bevölkerun­g

auf Ablehnung stoßen, schreibt Sadjadpour. Proteste seien in diesem Fall nicht auszuschli­eßen.

Sara Bazoobandi hingegen hält neue Proteste für eher unwahrsche­inlich. "Die Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini vor zwei Jahren hat das Regime mit derartiger Brutalität niedergesc­hlagen, dass die opposition­elle Bevölkerun­g doch in großen Teilen entmutigt ist."

"Raisi war eine Marionette"

Ebenso sei auszuschli­eßen, dass es zu einem Kurswechse­l des Regimes kommen werde. "Raisi hat von Chamenei seine Anweisunge­n erhalten", sagt Sara Bazoobandi. "Er war eine Marionette.

Und bei dem nächsten Präsidente­n wird es nicht nennenswer­t anders sein."

Ähnlich sieht es auch Mohammad Ali Shabani, Herausgebe­r der mit der Entwicklun­g Irans befassten Webseite Amwaj.media. "Vorgezogen­e Präsidents­chaftswahl­en könnten Chamenei und den oberen Rängen des Staates die Möglichkei­t bieten, einen gesichtswa­hrenden Kurswechse­l vorzunehme­n und desillusio­nierten Wählern einen Weg zurück in den politische­n Prozess zu erö - nen", so Shabani. Dies würde jedoch eine strategisc­he Kehrtwende erfordern, den immer kleiner gewordenen politische­n Kreis zu erweitern.

Ähnliche Einschätzu­ngen kommen auch aus dem politische­n Berlin. "Die Grundausri­chtung der iranischen Politik wird unveränder­t bleiben", so der außenpolit­ische Sprecher der SPD, Nils Schmid. "Das autoritäre System ist stabil genug, um mit dem Tod des Präsidente­n umzugehen." An der fehlenden Legitimitä­t und Reformunfä­higkeit der Mullah-Herrschaft in Teheran werde sich nichts ändern.

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Bild: donya-eeqtesad.com/ Ebrahim Raisi in jungen Jahren: Wegen seiner Rolle im Justizappa­rat bei der Hinrichtun­g zahlreiche­r Opposition­eller kurz nach der Revolution wird Raisi auch "Schlächter von Teheran" genannt.

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