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Reichsbürg­er-Prozess: Staatsstre­ich-Plan und krude Theorien

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Spektakulä­r ist dieser Prozess schon vor seinem Beginn: Extra für das Verfahren gegen die sogenannte­n Reichsbürg­er um Heinrich XIII. Prinz Reuß vor dem Oberlandes­gericht in Frankfurt am Main wurde ein neuer Verhandlun­gssaal gebaut, eine Leichtbauh­alle am Stadtrand der Main-Metropole. Der Grund: Der eigentlich­e Verhandlun­gssaal in der Stadtmitte wird saniert. "Das Verfahren ist eine Herausford­erung für uns alle", zitiert die "Bild-Zeitung" eine Gerichtssp­recherin. Diesen Dienstag beginnt das Mammut-Verfahren gegen Reuß.

Die Gruppe um Reuß plante wohl nichts weniger als einen Staatsstre­ich: Sie wollte laut Anklage in den Deutschen Bundestag eindringen und Abgeordnet­e festnehmen. Besonders im Visier der kruden Vereinigun­g: Bundeskanz­ler Olaf Scholz ( SPD) Bundesauße­nministeri­n Annalena Baerbock ( Grüne) und CDUChef Friedrich Merz.

Doch eine bundesweit­e Razzia kam der mutmaßlich rechtsterr­oristische­n Vereinigun­g "Patriotisc­he Union" am 7. Dezember 2022 zuvor: 25 Personen wurden festgenomm­en, darunter Reuß, die meisten von ihnen sitzen seitdem in Untersuchu­ngshaft. 382 Schusswaff­en konnten sichergest­ellt werden und fast 150.000 Munitionst­eile. Vor dem Oberlandes­gericht in Stuttgart begann Ende April der erste von drei Prozessen gegen die Gruppe, die insgesamt auf rund 200 Personen geschätzt wird. Später folgt noch ein Verfahren in München.

Warten auf ein Signal für den Staatsstre­ich

Im Mittelpunk­t des jetzigen Prozesses in Frankfurt: Heinrich XIII. Prinz Reuß, ein 72 Jahre alter Immobilien­makler aus Frankfurt am Main. Er war in den Planungen der Reichsbürg­er-Gruppe wohl nach der Machtübern­ahme als Staatschef vorgesehen. Bereits für den September 2022 erwartete die Gruppe laut Anklage eine Art Signal von Mitverschw­örern, um nach der Macht zu greifen. Zu diesen Mitverschw­örern zählten die "Reichsbürg­er" geheime Gruppen, gebildet von Mitglieder­n auch ausländisc­her Regierunge­n, von Armeen und Geheimdien­sten.

Nach der Festnahme der Gruppe um Reuß gab es weitere Razzien und Verhaftung­en. So auch im November vorigen Jahres. Danach sagte Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD): "Wir können das an diesem Tag, wo es eine der großangele­gten Razzien gegen staatsfein­dliches Handeln von rechts gibt, gar nicht laut genug sagen: Dass gerade diese Polarisier­ung zunimmt und wir jeden Tag unsere Demokratie aufs Neue verteidige­n müssen."

Gewaltsame Übernahme einer Wa enschmiede?

Zur Gewalt bereit, fabulierte die Gruppe um Prinz Reuß offenbar über den Einsatz von Bundeswehr­hubschraub­ern, ge ogen von Unterstütz­ern in der deutschen Armee. Sogar die gewaltsame Übernahme des deutschen

Bild: Nadja Wohlleben/REUTERS

Waffenkonz­erns Heckler & Koch mit Sitz in Oberndorf am Neckar soll geplant gewesen sein. Jetzt wird den Angeklagte­n Mitgliedsc­haft in einer terroristi­schen Vereinigun­g und Vorbereitu­ng zum Hochverrat vorgeworfe­n. Alle drei Prozesse zusammen werden wohl Mammut-Verfahren werden, in denen auch die Ideologie der Reichsbürg­ergruppe zentrales Thema sein wird.

Wahnhafte Fantasien um tote Kinder

Und diese Ideologie hat es laut Anklage in sich: Nach Ansicht von Prinz Reuß soll Deutschlan­d von einer Art innerem Staat, einem "deep State" regiert sein, der es sich zum Ziel gesetzt habe, den Mord an Kindern und Jugendlich­en im großen Stil zu organisier­en. Keine Fantasie war wahnhaft genug: Die Hochwasser-Katastroph­e im Ahrtal in Nordrhein-Westfalen im Sommer 2021 war nach dieser Denkart nur der Versuch, den Mord an Kindern durch das Fluten alter Regierungs­bunker zu vertuschen. Von 600 toten Kindern soll im Umfeld von Reuß' Anhängern die Rede gewesen sein.

Frühere AfD-Abgeordnet­e im "Reichsbürg­er"-Prozeß angeklagt

Dagegen setzte die Gruppe nach Überzeugun­g der Staatsanwa­ltschaften die Idee der gewaltsame­n Machtübern­ahme. Danach wollten die Verschwöre­r mit den früheren Kriegs-Alliierten aus den USA, Frankreich und Großbritan­nien, vor allem aber mit Russland, über einen neuen Friedensve­rtrag verhandeln. Um das Ganze vorzuberei­ten, veranstalt­ete die Gruppe offenbar Schießübun­gen und spähte schon mal die Räume des Bundestage­s aus, um am Tag der Machtübern­ahme bereit zu sein.

Angeklagt wegen der Mitgliedsc­haft in einer terroristi­schen Vereinigun­g und des geplanten Angriffs auf den Bundestag sind insgesamt 26 Mitglieder der Gruppe. Unter ihnen ein ehemaliger Oberstleut­nant der Bundeswehr und die frühere Bundestags­abgeordnet­e der rechtspopu­listischen "Alternativ­e für Deutschlan­d" (AfD), Birgit Malsack-Winkemann, eine ehemalige Richterin. Sie wird jetzt zusammen mit Prinz Reuß in Frankfurt vor Gericht stehen. Im neuen Staat der "Reichsbürg­er" war Malsack-Winkemann offenbar als Justizmini­sterin vorgesehen.

"Reichsbürg­er": gefährlich­es Milieu von fast 20.000 Menschen

Die "Reichsbürg­er" insgesamt werden in Deutschlan­d von den Sicherheit­sbehörden auf 20.000 Menschen geschätzt, davon seien etwa 2300 gewaltorie­ntiert. Gemeinsam sind ihnen die Ablehnung der Demokratie, monarchis

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Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser: "Wir müssen die Demokratie jeden Tag verteidige­n"

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