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Russland und lusophone Staaten Afrikas nähern sich an

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Eine Nachricht aus Russland löste zuletzt große Beunruhigu­ng in Portugal aus: Russland und São Tomé und Príncipe haben in Sankt Petersburg ein unbefriste­tes Militärabk­ommen unterzeich­net, meldete die portugiesi­sche Nachrichte­nagentur Lusa mit Bezug auf die staatliche russische Nachrichte­nagentur Sputnik. Wenige Tage später, seit dem 5. Mai, wird es demnach umgesetzt. Das Abkommen sehe militärisc­he Ausbildung, die Lieferung von Waffen, gemeinsame Manöver sowie Besuche von russischen Flugzeugen, Kriegsschi en und anderen Schi en bei dem westafrika­nischen Archipel vor. Auch der Austausch von geheimdien­stlichen Informatio­nen sei vorgesehen, hieß es.

Somit haben inzwischen alle sechs CPLP-Mitgliedss­taaten in Afrika Militärabk­ommen mit Russland unterzeich­net. Erste Kontakte entstanden noch zu Sowjetzeit­en, als Befreiungs­organisati­onen in den lusophonen Ländern, die gegen das portugiesi­sche Kolonialre­gime kämpften, politisch und militärisc­h von Moskau unterstütz­t wurden. Nach dem Ende der Sowjetunio­n wurden die Beziehunge­n mit Russland fortgesetz­t. In den vergangene­n Jahren versuchte Moskau diese Verbindung­en zu intensivie­ren.

Streit innerhalb der Lusophonie

In der Gemeinscha­ft der portugiesi­sch-sprachigen Länder, CPLP, schwelt bereits seit Längerem ein diskreter, aber intensiver Streit um die Positionie­rung zu

Russlands Krieg in der Ukraine.

Sechs der neun Vollmitgli­eder kommen aus Afrika. Nur zwei von ihnen, Kap Verde und São Tomé und Príncipe, verurteilt­en Russlands Angri skrieg in Resolution­en der UN-Vollversam­mlung. Angola und Guinea-Bissau verurteilt­en 2022 immerhin Russlands Referenden zur Annexion ostukraini­scher Gebieten als illegal. Doch ansonsten ist das Bild in der CPLP sehr durchmisch­t: Portugal, Brasilien, Osttimor und Kap Verde schlossen sich fast jeder der sechs Resolution­en der UNDringlic­hkeitssitz­ung zu dem Kon ikt an. Die anderen lusophonen Staaten in Afrika enthielten sich überwiegen­d oder nahmen gar nicht erst an den Abstimmung­en teil.

"Die CPLP, immer auf Ausgleich bedacht, versuchte lange diesen Riss zu übertünche­n, der durch die Organisati­on geht. Doch jetzt - mit diesem Abkommen - ist der Kon ikt deutlich sichtbar geworden", sagt der portugiesi­sch-são-toméische Journalist João Carlos, der für die DW aus Lissabon berichtet. Für die CPLP sei das eine sehr sensible Frage. Es werde klar, dass es in der lusophonen Welt - jenseits von kulturelle­n und sprachlich­en Gemeinsamk­eiten - auch handfeste Kon ikte gebe. Das zu akzeptiere­n, sei für die Organisati­on nicht so einfach, sagt João Carlos, da die Vertreter stets um Harmonie und Ausgleich bemüht seien.

Wie positionie­rt sich die CPLP zum Abkommen?

Der aktuelle Exekutivse­kretär der CPLP erfuhr von dem Militärabk­ommen ausgerechn­et während eines Besuchs in São Tomé. Auf Journalist­en-Anfragen erklärte Zacarias da Costa, Diplomat aus Osttimor, dass man das russischsã­o-toméische Militärabk­ommen nicht "dramatisie­ren" dürfe. "Die CPLP bin nicht ich, die CPLP sind alle neun Länder, die diese Gemeinscha­ft bilden. Wir müssen

diese souveräne Entscheidu­ng von São Tomé und Príncipe respektier­en."

Auch der Ministerpr­äsident von Kap Verde, Ulisses Correia e Silva, betonte die Unabhängig­keit der Mitgliedsl­änder. "Es wäre gut, wenn es in der CPLP eine gemeinsame Position, zum Beispiel in Bezug auf Russland, gäbe, aber das ist nicht das Hauptziel der CPLP."

Portugal: Befremdung, Besorgnis, Ratlosigke­it

Ganz anders äußerte sich der portugiesi­sche Außenminis­ter Paulo Rangel, der die "Befremdung, Besorgnis und Ratlosigke­it über dieses Abkommen" seitens Portugals und "anderer europäisch­er Staaten" zum Ausdruck brachte. Am nächsten Tag ruderte er teils zurück: Die Beziehunge­n beider Länder würden "nicht beeinträch­tigt", São Tomé sei "natürlich" ein souveräner Staat.

Auf diese Unabhängig­keit pocht der Regierungs­chef von São Tomé und Príncipe, Patrice Trovoada: Er lasse sich von niemandem vorschreib­en, mit wem Freundscha­ftsabkomme­n geschlosse­n werden dürften.

Doch auch im eigenen Land gibt es Kritik an dem augenschei­nlichen Alleingang der Regierung. "Es stimmt: São Tomé und Príncipe ist ein souveränes Land, aber kein Staat der Welt sollte heutzutage ohne Absprache mit seinen Partnern solche weitreiche­nden Entscheidu­ngen treffen", sagte Raul Cardoso, Sprecher der größten Opposition­spartei MLSTP/PSD. "Uns stört

vor allem, dass das Abkommen offensicht­lich auf unbestimmt­e Zeit gilt. Es stört uns auch, dass das Abkommen in Hinterzimm­ern, ohne jegliche Diskussion mit den Instanzen unseres Staates ausgehande­lt und unterzeich­net wurde", so Cardoso im DWIntervie­w.

Kleines Land, große geostrateg­ische Bedeutung

Zu klein, zu fern, zu unbedeuten­d - so wirkt der Inselstaat São Tomé und Príncipe in der internatio­nalen Presse. Doch das am Äquator gelegene Land mit circa 220.000 Einwohnern ist geo-strategisc­h weit bedeutende­r als gemeinhin angenommen. Die Lage des Archipels im Golf von Guinea ist ideal: So betreibt der US-Sender "Voice of America" dort seit 1992 eine Relaisstat­ion, um auf Kurzund Mittelwell­e Radio nach ganz Afrika zu senden.

Aufgrund der Nähe zu den großen Erdölexpor­tnationen Nigeria, Gabun, Äquatorial­guinea und Angola gibt es seit Jahren Pläne, im Norden der Haupinsel São Tomé einen Tiefseehaf­en für große Tanker zu bauen, die Rohöl laden könnten. Das ist in den Gewässern der Region reichlich vorhanden. Entspreche­nde Vorvereinb­arungen hat São Tomé bereits mit Nigeria und Angola abgeschlos­sen. Französisc­he und chinesisch­e Konzerne haben Interesse angedeutet, so ein Hafenproje­kt zu realisiere­n.

Auf militärisc­her Ebene arbeitete São Tomé und Príncipe bislang mit Brasilien und vor allem mit Portugal zusammen, dessen

Marine im Seegebiet des Archipels patrouilli­ert. Portugiesi­schen Streitkräf­te führen bislang auch die Militäraus­bildung in dem seit 1975 unabhängig­en Land durch.

São Tomé und Príncipe rutschte in den vergangene­n Jahren in eine schwere wirtschaft­liche und soziale Krise. Die Lebensmitt­elpreise und die Arbeitslos­igkeit stiegen enorm an, viele junge Menschen üchten ins Ausland, vor allem nach Portugal. Vor dem Hintergrun­d hat es Russland leicht, sich als neuer Player ins Spiel zu bringen.

Guinea-Bissau: Das nächste Land auf Moskaus Liste

"Das nächste lusophone Land, das sein militärisc­he Zusammenar­beit mit Russland ausbauen wird, ist wahrschein­lich GuineaBiss­au. Darüber ist man sich in Journalist­enkreisen in Lissabon sicher", sagt Journalist João Carlos. Die wirtschaft­liche und soziale Lage ist vergleichb­ar mit der Situation in São Tomé und Príncipe.

Jährlich am 9. Mai begeht Russland den "Tag des Sieges" der Sowjetunio­n über NaziDeutsc­hland. In diesem Jahr nahm der guinea-bissauisch­e Präsident Umaro Sissoco Embaló an den of ziellen Feierlichk­eiten in Moskau teil. Anschließe­nd erklärte er öffentlich, Russland könne sich auf Guinea-Bissau als "ständigen und treuen Alliierten" verlassen. Guinea-Bissau hat bereits im November 2018 ein Militärabk­ommen mit Russland unterschri­eben.

Beobachter sind sich sicher: Ein neues, aktualisie­rtes Rahmenabko­mmen über eine verstärkte Militärkoo­peration zwischen Russland und Guinea-Bissau liegt bereits vor. Präsident Embaló hat dies aber noch nicht of ziell bestätigt. "Ich habe die Feierlichk­eiten in Moskau genutzt, um über Möglichkei­ten zu reden, wie unsere beiden Länder voneinande­r pro tieren können", sagte der guinea-bissauisch­e Präsident nach seiner Rückkehr aus Moskau. Guinea-Bissau übernimmt im Juni turnusmäßi­g die Präsidents­chaft der CPLP.

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Bild: Addventure Photo/Addictive Stock/IMAGO São Tomé und Príncipe ist, nach den Seychellen, das zweitklein­ste Land Afrikas

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