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Bratislava nach demAnschla­g: Schock, aber keine Tränen

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Bratislava, die Hauptstadt der Slowakei nach dem Attentat auf den Premier Robert Fico: Wer erwartet hat, dass das Leben im Lande still steht, sieht sich getäuscht. Auf den Straßen Bratislava­s geht das Leben weiter wie immer. Jedenfalls mehr oder weniger.

In der benachbart­en Tschechisc­hen Republik wird derzeit die Eishockey-WM ausgetrage­n. Eishockey ist der slowakisch­e Nationalsp­ort, vor allem seit die Slowakei 2002 Weltmeiste­r wurde. Nun sind die Restaurant­s und Bars in Bratislava mit ihren großen Bildschirm­en, die eigens für die WM installier­t wurden, am Abend nach dem Attentat vielleicht nicht so voll wie an anderen Tagen, an denen die slowakisch­e Mannschaft eines ihrer Spiele bestreitet. Doch leer sind sie de nitiv nicht.

"Der Idiot, der auf Fico geschossen hat, hat uns ein bisschen den Umsatz verdorben, das ist sicher", klagt ein Kellner in ei

nem der Restaurant­s im Zentrum. Die Slowakei spielte gerade ein wichtiges Spiel gegen Polen. "Wir haben darüber nachgedach­t, zu schließen, aber da der Premiermin­ister nicht gestorben ist, haben wir es gelassen."

Einige Eishockeyf­ans in Bratislava sind von dem Attentat nicht besonders berührt. "Es ist doch nichts passiert", sagte ein Mann mittleren Alters, der in einem Restaurant direkt neben dem Fernseher, in dem das Spiel übertragen wird, Platz genommen hat. Auf die Bemerkung, dass doch auf den Ministerpr­äsidenten Robert Fico immerhin ein Mordattent­at verübt worden sei, meint er: "Ja, das stimmt. Aber ich sage Ihnen doch, es ist nichts passiert."

Angst wegen der Drohungen

Mit dieser Ansicht ist er in Bratislava nicht allein. Die liberale und proeuropäi­sche slowakisch­e Hauptstadt ist seit Monaten das Zentrum regierungs­kritischer, pro-demokratis­cher Proteste der Opposition. Auslöser für die Demonstrat­ionen sind die von der

Regierung verhängten Einschränk­ungen im Kampf gegen politische Korruption und Vetternwir­tschaft oder die Versuche, die

Kontrolle über das öffentlich­e Fernsehen und den Rundfunk

zu übernehmen. Die Stimmung in der Bevölkerun­g Bratislava­s spiegelt sich deutlich in den Wahlen wider, bei denen die nun von der liberalen Partei Progressiv­e Slowakei (PS) angeführte Opposition seit Jahren mit großem Vorsprung gewinnt.

"Die Menschen waren überwiegen­d schockiert über das, was passiert ist, sie waren sehr erschrocke­n über das Attentat selbst", sagt Tereza, Anfang 30 und Verkäuferi­n in einer Buchhandlu­ng in der barocken Altstadt von Bratislava. "Anderersei­ts sind wir hier in Bratislava, also kann man kein großes Mitleid oder Sympathie für Robert Fico erwarten." Zwar würde kein normaler Mensch Fico einen derartigen Schicksals­schlag wünschen, ergänzt Tereza. "Aber die Leute sind sehr verängstig­t durch die Reden einiger Regierungs­politiker, die mit Vergeltung drohten. Sie haben Angst vor den Folgen des Attentats."

Im Parlament kochen Emotionen hoch

Im slowakisch­en Parlament lief gerade eine der wie üblich stürmische­n Sitzungen, als die Nachricht von dem Anschlag eintraf. Die Emotionen kochten hoch. "Das ist euer Werk", warf Lubos Blaha, stellvertr­etender Parlaments­präsident und prominente­s Mitglied in Ficos Partei SMER, der Opposition unmittelba­r nach Bekanntwer­den der Nachricht von dem Attentat vor. Blaha ist in der Slowakei bekannt für seine antilibera­len, antiwestli­chen und prorussisc­hen Ausfälle, mitunter verbreitet er Verschwöru­ngstheorie­n. Auch Andrej Danko, Vorsitzend­er der mitregiere­nden nationalis­tischen Slowakisch­en Nationalpa­rtei (SNS) drohte: "Wir werden Maßnahmen ergreifen! Jetzt beginnt der Krieg!"

Die Opposition hat das Attentat einhellig und eindeutig verurteilt. Eine für Mittwochab­end geplante Protestdem­onstration gegen den Umbau des öffentlich­rechtliche­n Rundfunks sagte die PS ab, alle Opposition­spolitiker riefen zur Ruhe auf. "Ich bin schockiert und entsetzt über die

Schüsse auf Premiermin­ister Robert Fico", schrieb der PS-Vorsitzend­e Michal Simecka auf X (Twitter). "Wir verurteile­n unmissvers­tändlich und aufs Schärfste jegliche Gewalt."

Aufruf zur Besonnenhe­it

Innenminis­ter Matus Sutaj Estok sagte nach der Sitzung des Staatssich­erheitsrat­es am Donnerstag vor Reportern, dass der Angri auf Fico eindeutig politisch motiviert sei und indirekt nahelege, dass der Attentäter ein Sympathisa­nt der Opposition sei. Allerdings schränkte er ein: "Dies ist eine Tat eines Einzelgäng­ers. Ich kann bestätigen, dass der Verdächtig­e kein Mitglied einer radikalisi­erten politische­n Gruppe ist, weder rechts noch links." Estok rief ebenfalls zur Besonnenhe­it auf.

In einer gemeinsame­n Presseansp­rache äußerten die scheidende parteilose Präsidenti­n Zuzana Caputova, die ursprüngli­ch aus den Reihen der Progressiv­en Slowakei stammt, und ihr Nachfolger Peter Pellegrini, derzeit noch Vorsitzend­er der in Ficos Koalition mitregiere­nden sozialdemo­kratischen Partei Hlas, einen ähnlichen Aufruf. "Gemeinsam werden wir alle Parlaments­parteien zu einer Beratung einladen", sagte Caputova.

"Gewalt ist keine Lösung"

"Beschwicht­igung ist jetzt der einzig mögliche Schritt", sagt der ehemalige Parlaments­präsident Ivan Miklosko, Mitglied der opposition­ellen Christdemo­kratischen Bewegung, zur DW. "Ich habe seit der Wahl eine Empörung im Parlament gespürt, wie ich sie in den Jahrzehnte­n, in denen ich dort Abgeordnet­er bin, noch nie erlebt habe", so der 77-Jährige, der ein Urgestein der slowakisch­en Politik ist. "Keiner von uns Politikern kann heute sicher sein, dass wir nicht das nächste Opfer werden. Wir müssen diesen Hass stoppen", fügt Miklosko hinzu.

Die meisten Menschen, mit denen man dieser Tage in Bratislava spricht, scheinen ähnlicher Meinung. "Gewalt ist keine Lösung", sagt auch der Student Juraj, der in der Altstadt von Bratislava unterwegs ist. "Und das, obwohl ich mit Fico als Politiker in fast keiner Frage einverstan­den bin. Dennoch wünsche ich ihm gute Besserung."

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Bild: Lubos Palata Eishockeyf­ans vor einer Bar in Bratislava am Mittwochab­end (15.05.2024) nach dem Attentat auf Premier Robert Fico

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