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Warumin Neukaledon­ien die Gewalt derzeit eskaliert

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Gut 16.500 Kilometer liegen zwischen Paris und dem französisc­hen Überseegeb­iet Neukaledon­ien - viel weiter können zwei Punkte auf der Erde gar nicht voneinande­r entfernt sein. Eigentlich wollte Präsident Emmanuel Macron ein neues Atomkraftw­erk in der wesentlich näher gelegenen

Normandie besuchen - doch nun muss er von Paris aus in Krisensitz­ungen in den Südpazi k blicken.

Ein zwölftägig­er Ausnahmezu­stand, die Entsendung 1000 zusätzlich­er Sicherheit­skräfte und eine Tiktok-Sperre sollen helfen, die öffentlich­e Ordnung auf der Inselgrupp­e wiederherz­ustellen. Seit Tagen schaukelt sich eine Gewaltwell­e hoch, mindestens fünf Menschen wurden bereits getötet, Hunderte verletzt. Mehr als 200 mutmaßlich­e Krawallsti­fter wurden festgenomm­en. Im Folgenden beantworte­n wir einige grundlegen­de Fragen, um die Situation zu verstehen.

Wo liegt Neukaledon­ien - und wieso gehört es überhaupt zu Frankreich?

Neukaledon­ien liegt im südwestlic­hen Pazi k, gut 1300 Kilometer vor der Küste Australien­s. Neben der länglichen Hauptinsel Neukaledon­ien gehören auch einige kleinere Inseln dazu. Entdeckt und erstmals besiedelt wurde sie laut Historiker­n schon mehr als 2000 Jahre bevor James Cook 1774 als erster Europäer Neukaledon­ien betrat. Weil die am Rand der Tropen gelegene Insel ihn an das wesentlich kühlere Schott

land (lateinisch: Caledonia) erinnerte, gab er ihr den bis heute gebräuchli­chen Namen.

In den folgenden Jahrzehnte­n ließen sich Seefahrer und christlich­e Missionare aus Großbritan­nien und Frankreich auf der Insel nieder. 1853 ließ der damalige französisc­he Herrscher Napoleon III. Neukaledon­ien of ziell in Besitz nehmen. Zunächst war es vor allem eine Strafkolon­ie, später wurden Mineralien abgebaut.

Wer sind die Kanaken?

Ab 1887 galt in allen französisc­hen Kolonien, und somit auch in Neukaledon­ien, der sogenannte Code de l'indigénat, wörtlich übersetzt Eingeboren­en-Gesetz. Es unterwarf die indigenen Bevölkerun­gen strengeren Sonderrege­ln und schloss sie von bestimmten französisc­hen Bürgerrech­ten aus. In Neukaledon­ien heißt die indigene Bevölkerun­g Kanaken. Im Deutschen hat das

Wort einen politisch unkorrekte­n Unterton, weil manche es als abschätzig­es und verallgeme­inerndes Schimpfwor­t für außereurop­äisch gelesene Personen verwendete­n - inzwischen nutzen migrantisc­he Jugendlich­e in Deutschlan­d es allerdings auch als Selbstbeze­ichnung.

Während der Kolonialze­it star

teten Kanaken mehrere Versuche, ihre französisc­hen Fremdherrs­cher abzuschütt­eln. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Kanaken in Neukaledon­ien französisc­he Staatsbürg­er; in einem zweiten Schritt wurden ihnen sämtliche Bürgerrech­te zuerkannt. Heute stellen sie gut 40 Prozent der rund 270.000 Bewohner Neukaledon­iens.

Wie blickt die Bevölkerun­g Neukaledon­iens auf die Unabhängig­keitsfrage?

1946, nach dem Zweiten Weltkrieg, ordnete Frankreich seine damaligen Kolonien politisch neu - dazu gehörte auch, dass die Inseln in Pazi k, Karibik und anderen Meeren zu Überseegeb­ieten transformi­ert wurden. Während die Kolonien in Afrika nacheinand­er unabhängig wurden, blieben die Überseegeb­iete bis heute französisc­hes Staatsgebi­et. In fast allen (außer Neukaledon­ien - dort gibt es einen an den Euro gekoppelte­n lokalen Franc) wird mit dem Euro bezahlt; auch an der Wahl für das ferne Europäisch­e Parlament nehmen die Bewohner teil. Erst 2022 gliederte Frankreich das bisherige Übersee-Ministeriu­m dem Innenminis­terium ein.

In Neukaledon­ien fordern

Teile der kanakische­n Bevölkerun­g weiter die Unabhängig­keit von Frankreich. Unterstütz­t werden sie dabei auch von den Vereinten Nationen: 1986 beschloss die Generalver­sammlung, Neukaledon­ien erneut auf die Liste der zu dekolonisi­erenden Länder zu setzen. Nach einer Gewaltwell­e wurde 1988 ein Abkommen für mehr Autonomie besiegelt.

Eine Mehrheit der Bevölkerun­g befürworte­t jedoch den Status Quo, insbesonde­re weil Neukaledon­ien somit Geld aus dem französisc­hen Staatshaus­halt erhält: Die Regierung des benachbart­en Australien hat errechnet, dass 2020 die knapp 1,5 Milliarden Euro aus Paris fast 20 Prozent zur lokalen Wirtschaft­sleistung beigetrage­n haben.

2018 und 2020 votierten in Referenden nur 43,6 bzw. 46,7 Prozent der Teilnehmen­den für eine Unabhängig­keit. Ein drittes Referendum 2021 wurde von den meisten Befürworte­rn boykot

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Bild: Delphine Mayeur/dpa/picture alliance Qualm zwischen Palmen: mit Barrikaden wollen Aufständis­che das ö entliche Leben stören

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