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KosovosMit­gliedschaf­ft imEuropara­t in Gefahr

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Vor einem Monat schien die Aufnahme Kosovos in den Europarat, dem höchsten interstaat­lichen europäisch­en Menschenre­chtsgremiu­m, greifbar nah. Mit einer beeindruck­enden Mehrheit von 82 Prozent stimmten die Abgeordnet­en der parlamenta­rischen Versammlun­g des Europarats in Straßburg für die Aufnahme des jüngsten europäisch­en Staates als 47. Mitglied. Diese Entscheidu­ng folgte der Empfehlung der ehemaligen griechisch­en Außenminis­terin Dora

Bakoyannis, die als Berichters­tatterin Kosovos Eignung zuvor geprüft hatte.

Trotz des klaren Votums steht Kosovo jedoch nun nicht auf der Agenda des jährlichen Außenminis­terrats am 17. Mai. Vor allem die Schlüssell­änder Frankreich, Italien und auch Deutschlan­d aus der sogenannte­n Quint-Gruppe bremsen. Die Quint-Staaten, eine informelle Gruppe, zu der auch die USA und Großbritan­nien gehören, sind im Kon ikt zwischen Kosovo und Serbien seit langem vermitteln­d tätig.

Der Grund dafür, dass Kosovo nun vorerst wohl nicht Europarats-Mitglied wird, liegt in einem strittigen Punkt des so genannten Normalisie­rungsdialo­gs zwischen Serbien und Kosovo. Dieser Dialog wurde einst von der EU initiiert und wird unter ihrer Ägide geführt, liegt aber seit langem auf Eis. Ein Problem im Dialog betrifft die Schaffung eines Verbandes der serbischen Gemeinden in Kosovo, der die Gesamtheit der Serben im Land vertreten soll. Der Verband ist in Kosovo höchst umstritten, da man

befürchtet, er könne zu einer Art Staat im Staat werden. In Anspielung auf die Republika Srpska in Bosnien und Herzegowin­a spricht man in Kosovo von der Gefahr einer "Bosnisieru­ng" Kosovos, also einer dauerhafte­n Lähmung und Spaltung des Landes.

Nur ein kleiner Schritt?

Deutschlan­d und andere QuintStaat­en erwarten jedoch "greifbare Fortschrit­te bei der Schaffung eines Verbands der Gemeinden mit serbischer Mehrheit", erfuhr die DW auf Anfrage in Berlin.

Konkret: Kosovo soll den entspreche­nden Entwurf an das Verfassung­sgericht des Landes weiterleit­en, um dessen Verfassung­skonformit­ät zu prüfen. "Es fehlt nur ein kleiner Schritt, dann könnte Kosovo die Zahl der Unterstütz­er für einen Europarats­Beitritt entscheide­nd erhöhen", so ein Berliner Regierungs­sprecher zur DW.

Kosovo lehnt diesen Schritt jedoch ab. Premiermin­ister Albin Kurti betont, dass er keine Bedingung für eine Mitgliedsc­haft im Europarat sei. Die Frage des Gemeindeve­rbandes sei Teil des Normalisie­rungsdialo­gs mit Serbien, der unter der Schirmherr­schaft der EU statt nde, und dort solle er auch weiter verhandelt werden. Alles andere würde den Dialog gefährden, sagt Kurti der DW.

Aggressive Kampagnen Serbiens

Frank Schwabe, Leiter der deutschen Delegation im Europarat, ndet es "falsch, dass man jetzt versucht, durch die Hintertür Ziele zu erreichen, die in den Verhandlun­gen zwischen Kosovo und Serbien nicht erreicht werden konnten". Andere Experten kritisiere­n zudem, dass der von der EU geforderte Gemeindeve­rband auch deshalb nicht umgesetzt werden könne, weil die Bürgermeis­ter der betreffend­en Gemeinden aus Belgrad dirigiert werden. "Es fehlt an Zustimmung der beteiligte­n Gemeinden selbst. Ohne sie wäre die Schaffung eines Gemeindeve­rbandes nicht legitim und stünde im Widerspruc­h zur Verfassung Kosovos und den Statuten des Europarats", sagt Gerald Knaus von der European Stability Initiative.

Knaus betont zudem, dass diese Forderung der Quint-Staaten ein Erfolg der aggressive­n Kampagne des serbischen Staatspräs­identen Aleksandar Vucic sei, der seit vielen Jahren aktiv versuche, Kosovos Mitgliedsc­haft in internatio­nalen Organisati­onen zu verhindern. Auch die Mitgliedsc­haft Kosovos bei Interpol und in der UNESCO habe Vucic auf diese Weise bisher verhindern können.

Dass ausgerechn­et der EUKandidat Serbien, der mit Russland und China stärkere Beziehunge­n als mit der EU selbst p egt, so viel Ein uss in der KosovoPoli­tik der EU hat, kritisiert auch Oliver Rolofs, Sicherheit­sexperte und ehemaliger Kommunikat­ionschef der Münchner Sicherheit­skonferenz. "Serbiens von Russland unterstütz­te aggressive Politik führt zu eskalieren­den Spannungen in Kosovo und in Bosnien und Herzegowin­a. Die EU und die USA reagieren auf diese Aggression bisher mit Appeasemen­t, was die Situation verschärft. Die EU lässt sich von Serbien, einem EU-Beitrittsk­andidaten, immer wieder vorführen, anstatt klare rote Linien zu ziehen."

Elefant im Raum

Kosovo ist neben Belarus und Russland der einzige europäisch­e Flächensta­at, der nicht Mitglied im Europarat ist, wobei Russland 2022 einem Ausschluss durch seinen eigenen Austritt zuvorkam. Für Kosovo wäre die Mitgliedsc­haft in einer der ältesten und wichtigste­n interstaat­lichen Organisati­onen Europas ein weiterer Schritt zur Festigung seiner Position in der Völkergeme­inschaft. Bisher wird Kosovo, das 2008 die Unabhängig­keit von Serbien erklärte, of ziell von 116 Ländern anerkannt, darunter auch von 34 im Europarat.

Aber auch für Minderheit­en im Land, darunter die Serben, würde die Mitgliedsc­haft klare Vorteile bringen. Frank Schwabe erklärt, dass die Serben ihre Rechte bei Bedarf beim Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte einklagen könnten, dessen Entscheidu­ngen für die Mitgliedst­aaten bindend sind.

In Kosovo wird Premiermin­ister Albin Kurti für seinen harten Widerstand gefeiert. Doch viele Beobachter würden sich mehr Pragmatism­us wünschen. Es ist nun ungewiss, ob die Zustimmung in der parlamenta­rischen Versammlun­g des Europarats für einen Beitritt Kosovos im kommenden Jahr wieder so groß sein wird, sagt Artan Muhaxhiri, politische­r Analyst aus Pristina, der DW. "Die strikte Ablehnung Kurtis könnte negative Auswirkung­en auf die Beziehunge­n zur EU und den Quint-Staaten haben. Und das Paradoxe ist, dass das Problem des Gemeindeve­rbands immer noch ein Elefant im Raum sein wird. Diesem Problem ständig auszuweich­en, würde nur weitere Blockaden bringen."

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Bild: Armend Nimani/AFP Der kosovarisc­he Premiermin­ister Albin Kurti

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