Deutsche Welle (German edition)

Die Niederland­e rücken nach rechts

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In den Niederland­en ist dem Rechtspopu­listen Geert Wilders gelungen, wovon die in Teilen rechtsextr­eme AfD in Deutschlan­d noch träumt. Wilders kann eine Koalition mit zwei rechten und einer liberalen Partei bilden und erstmals die Regierungs­geschäfte bestimmen.

Schon vor 18 Jahren zog Wilders in das nationale Parlament ein. Of ziell hat seine "Partei für die Freiheit" ( PVV) nur ein Mitglied: ihn selbst. Alle anderen PVV-Mandatsträ­ger sind technisch gesehen parteilos und werden von Wilders selbst aus dessen Unterstütz­erkreis rekrutiert. Trotz vieler Rückschläg­e hat er über die Jahre sein europaskep­tisches und xenophobes Programm populär gemacht. Jetzt ist er am Ziel. Bei den Wahlen vor sechs Monaten wurde Wilders' PVV mit knapp 24 Prozent stärkste Kraft. Seinen Anspruch auf den Posten des Regierungs­chefs musste er jedoch aufgeben. Das wäre für die anderen Koalitions­parteien, besonders für die bislang führende rechtslibe­rale VVD des scheidende­n Ministerpr­äsi

denten Mark Rutte, eine zu große Zumutung gewesen.

Die vier Koalitions­parteien einigten sich auf die Bildung einer Regierung, die zu einer Hälfte aus Parteipoli­tikern und zur anderen Hälfte aus Experten oder Technokrat­en bestehen soll. Wer den entscheide­nden Posten als Ministerpr­äsidenten bekommen soll, ist noch unklar. Das Personalta­bleau für ihre Regierung müssen die Fraktionen in den beiden Kammern des Parlaments in Den Haag noch ausknobeln.

"Strikteste Asylpoliti­k in Europa"

Das Regierungs­programm, das die rechtspopu­listische Koalition unter Führung von Geert Wilders festgelegt hat, hat es in sich. "Die Niederland­e müssen strukturel­l zu der Kategorie Mitgliedss­taaten mit den strengsten Zulassungs­regeln von Europa gehören", heißt es in der Koalitions­vereinbaru­ng. Eine radikale Wende in der Asylund Migrations­politik stehe an, die Zahl der Ankünfte müsse stark sinken, heißt es von den Koalitionä­ren. "Wir werden die strikteste Asylpoliti­k aller Zeiten ha

ben", kündigte Parteiführ­er Wilders am Mittwochab­end an. Und mit Bezug auf Vorwürfe, dass Zuwanderer zu hohe Sozialleis­tungen erhielten, sagte er, Menschen ohne Aufenthalt­sberechtig­ung müssten auch mit Gewalt abgeschobe­n werden: "Die Niederländ­er kommen wieder zuerst".

An einer Verschärfu­ng der Migrations­politik war Ministerpr­äsident Rutte von der VVD 2023 gescheiter­t. Seine damalige bürgerlich-liberale Koalition wollte eine Einschränk­ung des Familienna­chzugs nicht mittragen. Im vergangene­n Jahr haben rund 70.000 Menschen in den Niederland­en einen neuen Asylantrag gestellt, fast so viele im Jahr 2015, dem Höhepunkt der Flüchtling­sbewegunge­n in der EU.

Wilders lässt Islamkriti­k außen vor

In der Vergangenh­eit hatte sich Geert Wilders auch internatio­nal als harter Kritiker des Islam pro - liert. Er drehte islamkriti­sche Filme, forderte eine Steuer für das Tragen von Kopftücher­n. Der Islam ist für ihn keine Religion, sondern ein politische­s Programm. Diese radikale Kritik hat er bei den Koalitions­gesprächen ausgeblend­et. "Wir werden nicht über den Koran, Moscheen und islamische Schulen reden", hatte Wilders angekündig­t und sich ungewöhnli­ch konziliant gezeigt. 2018 ermittelte die niederländ­ische Polizei, weil ein radikaler Islamist offenbar einen Anschlag auf Geert Wilders plante.

130 auf Autobahnen und Atomkraftw­erke

Für die Autofahrer hat die neue Koalition in Niederland­en auch etwas zu bieten. Das Tempolimit auf niederländ­ischen Autobahnen wird von tagsüber 100 Stundenkil­ometern wieder auf 130 heraufgese­tzt. Die Bauern sollen Erleichter­ungen bei Umweltaufl­agen bekommen. Der öffentlich­rechtliche Rundfunk soll sparen, Beamtenste­llen sollen abgebaut werden. Investiere­n will die rechte Wilders-Regierung in den Wohnungsba­u und den Bau von zwei Kernkraftw­erken. Die von der PVV ursprüngli­ch geforderte Volksabsti­mmung über den Austritt der Niederland­e aus der EU ndet sich im Koalitions­papier nicht, aber sicher wird die neue Regierung der Integratio­n der EU und auch der Erweiterun­g um weitere Staaten auf dem Westbalkan kritischer gegenübers­tehen. Die Niederland­e sind der drittgrößt­e

Nettozahle­r in die Kasse der Europäisch­en Union, nach Deutschlan­d und Frankreich.

Nächstes Ziel: Europa

Mit einer neuen nationalen Regierung im Rücken kann Geert Wilders mit noch mehr Schwung in den Europawahl­kampf gehen. In den Umfragen liegt seine Partei in den Niederland­en für die Europawahl vom 6. bis 9. Juni bereits mit 22 Prozent der Stimmen auf Platz eins. Er würde sieben der 31 niederländ­ischen Sitze im Europaparl­ament erringen. Bislang ist Wilders dort mit keinem Abgeordnet­en vertreten. Im Europaparl­ament würde sich seine PVV der Rechtsauße­n-Fraktion "ID" anschließe­n, zu der auch Wilders langjährig­e Verbündete Marine Le Pen mit dem "Rassemblem­ent national" aus Frankreich, die rechtspopu­listische FPÖ aus Österreich und die deutsche AfD gehören. Alle vier Parteien führen in ihren Ländern die Umfragen zur Europawahl an. Sie lehnen einen harten Kurs der Europäisch­en Union gegen Russland ab und setzen auf einen eher Chinafreun­dlichen Weg.

Ein Experiment

Das neue "Kabinett der Ho - nung", wie sich die vier Koalitions­parteien selbst bezeichnen, ist selbst für die an Koalitione­n gewöhnten Niederland­e ein politische­s Experiment. Das neue rechte Bündnis hat viele programmat­ische Sollbruch-Stellen und will mit wechselnde­n Mehrheiten im Parlament arbeiten. Die niederländ­ische Zeitung "De Volkskrant" meint dazu: "Vieles wird von den Führungsqu­alitäten des künftigen Ministerpr­äsidenten abhängen, der ein funktionie­rendes Kabinett zusammenst­ellen muss. Wenn dies gelingt, wird es einzigarti­g in der niederländ­ischen Parlaments­geschichte sein. Wenn es scheitert, bräuchten keine weiteren Alternativ­en mehr geprüft zu werden. Dann würde es Neuwahlen geben."

Neuwahlen wären für die drei kleineren Koalitions­partner aber höchst unattrakti­v. Sie sind in den Werten weiter gesunken. Nur Geert Wilders hat in der Beliebthei­t weiter zugelegt. Würde am Sonntag neu gewählt, würden 31 Prozent der Niederländ­erinnen und Niederländ­er seine Ein-Mann-Partei wählen.

 ?? Bild: Ramon van Flymen/IMAGO/ANP ?? Am Wahlabend im November 2023 gab es in Amsterdam noch Demonstrat­ionen gegen Wilders PVV. Seither ist seine Popularitä­t weiter gewachsen
Bild: Ramon van Flymen/IMAGO/ANP Am Wahlabend im November 2023 gab es in Amsterdam noch Demonstrat­ionen gegen Wilders PVV. Seither ist seine Popularitä­t weiter gewachsen

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