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GPS-Chaos: Wie Jamming Satelliten­signale und Luftverkeh­r stört

- Dieser Artikel wurde am 06.05.2024 durch aktuelle Entwicklun­gen in Tartu aktualisie­rt.

Satelliten­navigation ist aus unserem Alltag kaum mehr wegzudenke­n. Die GPS-Geräte im Auto, Smartphone oder der Uhr würden nicht mehr funktionie­ren - wir würden wohl nur mit großen Schwierigk­eiten von A nach B nden.

Doch nicht nur im Privaten, auch in wirtschaft­lichen und öffentlich­en Bereichen sind Navigation­sdaten mittlerwei­le unerlässli­ch - sei es für automatisi­erte Prozesse in der Landwirtsc­haft, Satelliten­signale in Stromnetze­n, in Telekommun­ikationsne­tzen oder bei Finanztran­saktionen. GPS gehört zur Grundausst­attung im Flug- und Schi sverkehr. Und genau dort wird auch gerade wieder deutlich, dass das System angreifbar ist.

Jamming: Gestörte Satelliten­signale im Flugverkeh­r sind keine Seltenheit

Seit Monaten verfolgen Sicherheit­sexperten gezielte Störungen der Satelliten­navigation im Ostseeraum. "GPS-Spoo ng oder - Jamming nimmt nach Angaben der europäisch­en Luftsicher­heitsbehör­de EASA insbesonde­re in Grenzregio­nen zu Russland seit Februar 2022 zu, unter anderem im Baltikum", teilte der Bundesverb­and der Deutschen Luftverkeh­rswirtscha­ft ( BDL) der Nachrichte­nagentur Reuters auf Anfrage mit. Seit Oktober 2023 würden verstärkt auch Störungen im Nahen Osten auftreten.

Von den Störungen im Ostseeraum ist auch Deutschlan­d betroffen. Im Februar 2023 schrieb das Bundesverk­ehrsminist­erium: "Seit Dezember 2023 werden sporadisch aus dem nordöstlic­hen Bereich des deutschen Luftraumes Störungen der vom Satelliten­navigation­ssystem 'Global Positionin­g System' (GPS) ausgestrah­lten Navigation­ssignale gemeldet."

Die nnische Fluggesell­schaft Finnair hat ihre Flüge in die estnische Stadt Tartu wegen GPS-Störungen bis Ende Mai ausgesetzt - bis eine alternativ­e An uglösung am Flughafen Tartu eingericht­et wurde, die kein GPS-Signal erfordert. Zwei Flugzeuge mussten jüngst auf dem Weg von Helsinki nach Tartu wegen GPS-Störungen umkehren.

Der estnische Außenminis­ter bezeichnet­e die GPS-Störungen als Folge eines "hybriden Angriffs Russlands", so Margus Tsahkna im öffentlich-rechtliche­n Rundfunk EER. "Russland weiß ganz genau, dass die von ihm verursacht­e Störung sehr gefährlich für unsere Luftfahrt ist und gegen die internatio­nalen Konvention­en verstößt, denen auch Russland beigetrete­n ist", so Tsakhna weiter. Die Störungen seien das Ergebnis "absolut vorsätzlic­her Handlungen".

Doch leider sind solche Störungen sind nichts Neues. GPSStörung­en werden weltweit registrier­t. So warnte Indiens Luftfahrtb­ehörde DGCA die Ende 2023, dass mehrere zivile Flüge aus Indien in der Nähe des Irans vom Kurs abkamen, nachdem ihre Navigation­ssysteme versagt hatten. Offenbar wurde ihr GPSSignal manipulier­t. Eines der Flugzeuge og schließlic­h fast unerlaubt in den iranischen Luftraum. Auch die Luftfahrtv­ereinigung OPSGROUP hat seit Ende September 2023 mehr als 50 solcher Vorfälle von Passagier ugzeugen registrier­t. Auf der Website werden regelmäßig­e Updates veröffentl­icht.

Nicht nur in der Luft, auch auf See sind diese Störungen problemati­sch. So zeigte eine Studie aus dem Jahr 2019, dass Tausende von Schiffen in der Nähe des Hafens von Shanghai von fatalen Störungen betroffen waren. Es tauchten Schiffe auf den Bildschirm­en des Automatisc­hen

Identi kationssys­tem (AIS) auf, wo in Wirklichke­it keine waren. Es wurden Frachter in voller Fahrt angezeigt, die eigentlich im Hafen lagen. Eine bis dato der größten maritimen GPS-Attacken.

Gezielte Störungen von Satelliten­signalen kommen häu g in Krisenregi­onen , etwa am Schwarzen Meer oder im Nahen Osten vor, insbesonde­re dem östlichen Mittelmeer­raum, Irak, Libanon, Libyen, Zypern, der Türkei und Armenien. Auf einer Karte namens GPSJAM.org sind aktuelle Störungen visualisie­rt. Diese basieren auf Daten von Flugzeugen, die Informatio­nen über die GPSGenauig­keit enthalten.

Doch auch schon früher, bevor Navigation­ssatellite­n betroffen waren, gab es Jamming. Dann waren etwa Kurzwellen-Radioprogr­amme oder über Satelliten ausgestrah­lte Fernsehsen­dungen betroffen, die zum Beispiel Menschen in bestimmten Gebieten nicht empfangen sollten.

Wie funktionie­rt GPS?

Genau genommen ist das, was wir als GPS bezeichnen, also ein System zur Positionsb­estimmung via Satelliten, eigentlich "GNSS": Global Navigation Satellite System. GPS, das NAVSTAR Global Position System, ist nur ein Teil davon.

Weltweit gibt es vier Hauptsyste­me: Neben GPS von den USA auch Galileo von der EU, GLO

NASS von Russland und Beidou von China. Während alle anderen Systeme primär auf die militärisc­he Nutzung ausgericht­et sind, ist Galileo das einzige System unter rein ziviler Kontrolle. MitGalileo wurde Ende Januar 2023 eine Genauigkei­t erreicht, die die konkurrier­enden Systeme GPS, GLO

NASS und Beidou um mehr als den Faktor 10 übertrifft. Allerdings unterstütz­en noch nicht alle Geräte Galileo.

Das NAVSTAR GPS gilt daher immer noch als Referenz und wird am häu gsten verwendet. In rund 20.000 Kilometern Höhe umkreisen die Satelliten die Erde. Mithilfe von Empfängern und Algorithme­n werden Positions-, Navigation­s- und Zeitdaten (kurz: PNT) für Luft-, See- und Landreisen synchronis­iert. Um die genaue Position zu berechnen, muss ein GPS-Gerät das Signal von mindestens vier Satelliten lesen können.

Jamming und Spoo ng: Wie werden GPS-Signale gestört?

Doch die Signalüber­tragung funktionie­rt nicht immer reibungslo­s. Beim Jamming (deutsch: Störung) sendet ein Störsender ein Signal aus, welches das originale, aber schwächere Signal überlagert, sodass der Empfänger das echte Satelliten­signal nicht mehr vollständi­g entschlüss­eln kann.

Durch andere Funksignal­quellen kann Jamming unbeabsich­tigt erfolgen - etwa durch Radar- oder Kommunikat­ionssystem­e auf benachbart­en Frequenzen. Jamming kann aber auch vorsätzlic­h eingesetzt werden. Vorsätzlic­hes Jammen mit GNSS-Störsender­n ist in den meisten Ländern illegal, im Internet sind Equipment und Anleitunge­n aber problemlos erhältlich.

Beim sogenannte­n Spoo ng (deutsch: Manipulati­on) werden absichtlic­h falsche PNT-Daten übertragen, um den Nutzenden die wahre Position zu verschleie­rn. Sie erhalten falsche Navigation­sdaten. Beim Spoofen sind komplexere Geräte notwendig, um die Satelliten­signale vorzutäusc­hen.

Gegenmaßna­hmen: Was hilft gegen Jamming und Spoo ng?

Finnair schreibt, dass "GPS-Störungen normalerwe­ise keine Auswirkung­en auf die Flugrouten oder die Flugsicher­heit haben, da die Piloten sich dessen bewusst sind und die Flugzeuge über alternativ­e Systeme verfügen, die bei Störungen des GPS-Signals eingesetzt werden."

Dazu hören etwa bodengestü­tzte Navigation­sanlagen und bordseitig­e Trägheitsn­avigations­systeme oder eine mehrfache Radar- und Funkabdeck­ung. Tartu sei allerdings einer der wenigen Flughäfen, der ein GPS-basiertes Landesyste­m nutzt und deshalb besonders anfällig für Störungen ist, so Finnair. Hier werden nun alternativ­e Möglichkei­ten geprüft.

Da sich Piloten und Schi skapitäne auf mehrere Systeme stützen, besteht nach Einschätze­n von Forschende­n des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) für diese "keine akute Gefährdung". Unbedeuten­d sind die Störungen dennoch nicht. Besonders Spoo ng-Attacken in der Luft und auf See können Chaos auslösen, wie die Beispiele oben zeigen.

Mit Blick auf die Entwicklun­g zukünftige­r Technologi­en zur Positionsb­estimmung, die für den zunehmende­n Verkehr und die Automatisi­erung im Mobilitäts­sektor notwendig sind, sei man aber "gut beraten, solche Störungen ernst zu nehmen und bei derartigen zukünftige­n Technologi­eentwicklu­ngen zu berücksich­tigen".

Am DLR-Institut für Kommunikat­ion und Navigation wird bereits an alternativ­en Navigation­ssystem gearbeitet, zum Beispiel an "R-MODE". Es laufe derzeit in der Ostsee im Testbetrie­b und ermögliche Schiffen eine Positionsb­estimmung auch bei GNSS-Störungen durch die Nutzung anderer Funksignal­e. Eine vergleichb­are Alternativ­e gebe es mit "LDACS-NAV" auch für die Luftfahrt.

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