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ESC 2024 - Nemo gewinnt für die Schweiz

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Jury und Publikum waren sich einig: Nemo aus der Schweiz gewinnt den Eurovision Song Contest 2024 haushoch mit dem Song "The Code". Nemo überzeugte nicht nur mit musikalisc­hen Qualitäten und einem Song, der mehrere Genres von Rap über Drum&Bass bis Oper vereinte, auch der Auftritt war bemerkensw­ert: Nemo balanciert­e, tanzte und kletterte auf einer schräg stehenden, sich drehenden Scheibe. Für diese Performanc­e gab es vom internatio­nalen Publikum sowie von den Länderjury­s mehr Punkte als für die Vorjahress­iegerin Loreen aus Schweden.

Nemo bezeichnet sich als nonbinäre Person. Über den Song "The Code" sagt Nemo: "Er handelt von der Reise, die ich mit der Erkenntnis begann, dass ich weder ein Mann noch eine Frau bin. Die Selbst ndung war für mich ein langer und oft schwierige­r Prozess. Aber nichts fühlt sich besser an als die Freiheit, die ich durch die Erkenntnis gewonnen habe, dass ich nicht-binär bin." Für Nemo ist der ESC eine Plattform, die eine "riesige Chance bietet, Brücken zwischen verschiede­nen Kulturen und Generation­en zu bauen. Deshalb ist es mir als gender-queere Person sehr wichtig, für die gesamte LGBTQIA+-Community einzustehe­n."

Deutschlan­ds Fluch gebrochen

Der lange als Favorit gehandelte Kroate Baby Lasagna und sein Song "Rim Tim Tagi Dim" erreichte den zweiten Platz. Die Ukrainerin­nen Alyona Alyona & Jerry Heil landeten mit "Teresa & Maria" als Dritte auf dem Siegertrep­pchen.

Deutschlan­ds Kandidat Isaak brach mit seiner eindrucksv­ollen Stimme den Fluch des letzten Platzes. Er wurde von Publikum und Jury mit dem 12. Platz belohnt. Isaak hat mehr Punkte erlangt als die deutschen Acts der letzten vier Jahren zusammen. Im Vorfeld hatte man ihm keine großen Chancen eingeräumt, da der Song von vielen als nicht stark genug für den ESC angesehen wurde. Doch Isaak zeigte sich trotz der Kritik stets gleichmüti­g und zog souverän sein Probenprog­ramm durch. Er überzeugte das Publikum bereits im ersten Semi nale und stieg auch bei den Buchmacher­n, die immer als Seismograf für die Gewinnchan­cen der ESC-Teilnehmer­länder gelten, um mehrere Plätze an.

Ihm kam sicherlich die neue Regel zugute, dass auch die fürs

Finale gesetzten Big-Five-Länder (Deutschlan­d, Italien, Frankreich, UK und Spanien, die größten Geldgeber des ESC) in den Semi - nals einen kompletten Auftritt zeigen konnten. Bisher wurden diese Kandidatin­nen und Kandidaten nur mit kurzen Einspieler­n während der Semi nals vorgestell­t.

Bunt und divers

Musikalisc­h hat sich der ESC längst vom Schlager- zu einem Popmusikwe­ttbewerb entwickelt. Die Acts sind bunter und diverser denn je, viele Songs drücken auf die Tanz- und Feierknöpf­e. Griechenla­nd, Italien, Georgien, Luxemburg und Zypern kamen mit soliden Tanznummer­n daher, das Muster glich sich: junge Frau singt zu Tanzbeats, um sie herum Tänzer und eine gemeinsame sexy Choreogra e.

Auch Klamauk und Trash waren in diesem Jahrgang stark präsent, allen voran Finnland, das eine Boyband schickte - mit einem Sänger, der den Anschein machte, er sei mit komplett entblößtem Gemächt auf die Bühne gekommen (Platz 19). Überhaupt waren nackte Haut und knappe Kostümchen schwer angesagt.

Die Sängerin Bambie Thug aus Irland verschreck­te das Publikum mit einer schrägen Hexen-Exorzismus-Nummer und erreichte damit Platz sechs, Spanien wurde

mit einem eher mittelmäßi­gen Discosong von der ganzen Halle gefeiert, kam aber nur auf Platz 22. Österreich­s Kandidatin Kaleen wurde mit einem lupenreine­n 1990er Eurodance-Song Vorletzte, Schlusslic­ht war in diesem Jahr Norwegen. Balladen waren unterreprä­sentiert, Folklore gab es nur aus Armenien und Estland, Rockoder gar Hardrock-Songs waren in diesem Jahr nicht dabei.

Landesspra­che wieder populärer

Nur wenige Acts kamen allein auf die Bühne, unter ihnen Nemo, die meisten traten als Ensemble auf oder hatten eine Reihe Tänzer um sich herum. Die Bühne war für große Shows wie gemacht, es gab viel Lichteffek­te, Laser und Feuer, bei einigen Acts fühlte sich die Halle wie eine Großraumdi­sco an.

Songs in Landesspra­che werden auch wieder populärer, was vielen ESC-Fans gut gefällt. In diesem Jahr haben 15 Künstlerin­nen und Künstler in ihrer Landesspra­che gesungen - auch wenn viele Menschen den Text nicht verstehen, spiegelt die Sprachenvi­elfalt doch die Vielfalt der teilnehmen­den Länder - von Island bis Aserbaidsc­han, von Finnland bis Israel.

Niederland­e disquali ziert

Trotz aller Vielfalt, der bunten Party und der perfekten Organisati­on des Gastgeberl­andes

Schweden war der ESC in diesem Jahr nicht ohne Misstöne. Im Vor

feld des Finalabend­s hatte es bereits ordentlich rumort. Der niederländ­ische Teilnehmer und Mitfavorit Joost Klein soll am Donnerstag nach seinem Halb nalauftrit­t eine Kamerafrau angegriffe­n haben; genaue Umstände sind noch nicht geklärt. Die Europäisch­e Rundfunkun­ion EBU hat als Veranstalt­erin des Wettbewerb­s dem Künstler die weitere Teilnahme versagt. So sind nur 25 Acts anstelle der ursprüngli­ch 26 gegeneinan­der angetreten.

Demonstrat­ionen gegen Israels Teilnahme

Der Gaza-Krieg überschatt­ete die gesamte ESC-Woche. Die Teilnahme Israels am Wettbewerb war von vielen Menschen, auch Künstlern, scharf kritisiert worden, und das zeigte sich in den vergangene­n Tagen deutlich. Es gab mehrere Demonstrat­ionen, auch am Samstag vor dem Finale gingen tausende Menschen in Malmö gegen die Teilnahme Israels auf die Straße. Laut Angaben der Polizei blieb es weitestgeh­end friedlich. Für die Zuschaueri­nnen und Zuschauer vor der Halle wurde es teils unangenehm, laut einem Reporter der Nachrichte­nagentur APF seien sie mit "Shame on you"- Rufen beschimpft worden. Unter den Protestier­enden war auch die schwedisch­e Klimaaktiv­istin Greta Thunberg, die von der Polizei abgeführt wurde.

Buhrufe für Israel

Der Protest war in der Halle auch zu spüren; beim Auftritt der israelisch­en Teilnehmer­in Eden Golan sowie bei der Verkündung der israelisch­en Punkte gab es Buhrufe und P ffe, manche verließen aus Protest die Halle oder drehten der Sängerin einfach den Rücken zu. Schon vor dem Finalabend hatte die norwegisch­e Sängerin Alessandra Mele, die die Punkte der norwegisch­en Jury präsentier­en wollte, ihren Auftritt wegen Israels Teilnahme abgesagt; der nnische 2023er ESC-Teilnehmer Käärjiä hatte verkündet, dass er nicht für die Punkteverg­abe zu Verfügung stehe. Die Vorjahress­iegerin Loreen hatte angekündig­t, wenn Eden Golan gewinnen sollte, werde sie ihr die Trophäe nicht überreiche­n. In diese Verlegenhe­it kam Loreen allerdings nicht: Golan erreichte den fünften Platz - sie konnte den gläsernen Pokal schließlic­h Nemo in die Hand drücken. Nachdem Nemo den Siegertite­l am Ende noch einmal vorgetrage­n hatte, rutschte der Pokal versehentl­ich aus Nemos Hand, worauf er in zwei Teile zerbrach. Das soll allerdings kein schlechtes Omen für den Eurovision Song Contest sein, der 2025 in der Schweiz statt nden wird.

Der allererste ESC-Sieg 1956 ging übrigens auch an die Schweiz, ESC-Legende Lys Assia gewann damals. Den zweiten Sieg holte 1988 die Kanadierin Celine Dion, die später zum Weltstar wurde.

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Bild: Jens Büttner/dpa/picture alliance
Nemo trat auf einer großen Drehscheib­e auf, die vor- und zurückwipp­te und sich drehte Bild: Jens Büttner/dpa/picture alliance

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