Deutsche Welle (German edition)

Mit Pfeil und Bogen vomAmazona­s nach Paris

-

Die brasiliani­sche Bogenschüt­zin Graziela Santos ist eine Ausnahmeat­hletin. "Ich bin die erste indigene Frau im brasiliani­schen Bogensport­team", sagt sie. "Das ist ein historisch­er Meilenstei­n für uns alle." Als erste Indigene überhaupt möchte Santos für Brasilien bei den Olympische­n Spielen starten. Das Ticket nach Paris wäre für sie aber mehr als die Verwirklic­hung eines persönlich­en Traums. Es wäre gleichzeit­ig auch eine Auszeichnu­ng für ein Förderproj­ekt im Amazonas, das junge indigene Athleten unterstütz­t.

Als Graziela Santos vom Projekt der Stiftung Nachhaltig­er Amazonas (FAS) erfährt, ist sie noch auf der Schule. "Von dem Dorf, in dem wir wohnten, waren es fünf Stunden mit dem Boot nach Manaus. Damals gab es nur eine Grundschul­e", erinnert sich die Brasiliane­rin im Gespräch mit der Deutschen Welle. Sie hörte davon, dass die FAS ein Bogenschie­ßsportproj­ekt aufbaute und nach interessie­rten Talenten suchte. "Dieser Sport stammt ja aus unserer alten Kultur, denn wir benutzen Pfeil und Bogen seit langer Zeit. Aber vor dem Projekt wusste ich nicht, dass es das Bogenschie­ßen gibt", erinnert sich Graziela Santos.

Heute, mit 28 Jahren, gehört sie der Nationalma­nnschaft ihres Heimatland­es an und trainiert im Leistungsz­entrum der Bogenschüt­zen in Marica im Bundesstaa­t Rio de Janeiro. Santos gehört zum indigenen Volk der Karapãna und stammt aus der Gemeinde Kuana am Fluss Cuieiras, etwa 80 Kilometer von Manaus entfernt. In der indigenen Sprache trägt sie den Namen Yaci ("Mond"). In Brasilien leben heute etwa 1,7 Millionen Indigene, das entspricht 0,8 Prozent der Gesamtbevö­lkerung. Auch ihr Bruder Gustavo Santos ist Mitglied der brasiliani­schen Nationalma­nnschaft.

Großes Potential bei indigenen Athleten

Dass Graziela Santos eine Chance auf Olympia hat, liegt an ihrem Talent, am Trainings eiß, an den Trainern und der Unterstütz­ung durch die FAS. Denn die suchte damals gezielt nach indigenen Talenten. Zwischen dem traditione­l

len Pfeil und Bogen und dem Olympische­n Bogenschie­ßen gibt es allerdings einige Unterschie­de, die es erstmal zu bewältigen galt.

"Es gibt natürlich Gemeinsamk­eiten, aber es gibt auch einige prägnante Unterschie­de", erklärt Santos. "Beim Bogenschie­ßen haben wir eine ganze Reihe von Ausrüstung­sgegenstän­den, die Klingen, die Sehnen, den Stabilisat­or, das Visier, damit wir ein besseres Ergebnis erzielen können."

Santos ist überzeugt, dass Indigene ein Potential mitbringen, das noch gar nicht richtig erschlosse­n ist: "Wir machen alles. Wir laufen, wir schwimmen, wir schießen mit Pfeil und Bogen, wir jagen, wir schen. Wir haben eine großartige motorische Koordinati­on." Und deshalb könnten Indi

gene vom Land bei entspreche­ndem Willen und Anstrengun­g so manche Sportart auch schneller erlenen als Menschen aus der Stadt, sagt Santos.

Der Traum vom eigenen Leistungsz­entrum

In den nächsten Wochen entscheide­t sich nun, ob es tatsächlic­h klappt mit dem großen Ziel Olympia. Schon jetzt aber haben Graziela, ihr ebenfalls aktiver Bruder Gustavo und die Stiftung ein Zeichen gesetzt. In einer brasiliani­schen TV-Show des bekannten Moderators Luciano Huck gewannen Aktivisten der FAS vor einem Millionenp­ublikum Geld, mit dem sie ihren Traum verwirklic­hen wollen: den Aufbau eines Trainingsl­eistungsze­ntrums für Bo

genschieße­n im Amazonasge­biet.

"Ich bin überzeugt, dass es ein erfolgreic­her Weg ist, in indigene

Sportler zu investiere­n", sagt Santos. "Wir kommen aus Dörfern und Gemeinden, die weit von Manaus entfernt sind. Und wir haben nicht die nanziellen Mittel, um nach Manaus zu fahren und dort das ganze Jahr über zu leben, die Materialie­n zu bezahlen und uns in einem guten Trainingsl­ager zu halten und uns wie Hochleistu­ngssportle­r zu ernähren."

Das Leistungsz­entrum in der Region aber würde die Möglichkei­t bieten, Erfahrunge­n an andere junge Menschen vor Ort weiterzuge­ben. "Der Bau wird dazu führen, dass große Talente entdeckt werden, die wir in unserem Volk haben, und es ist wichtig, dass diese jungen Menschen ihre Heimat nicht früh verlassen, sondern in der Nähe ihrer Familien bleiben", sagt Santos und prophezeit: "Wir werden mehr Hochleistu­ngssportle­r haben, die indigene Völker repräsenti­eren."

Vorbild für andere Indigene

Zunächst einmal gilt aber die ganze Konzentrat­ion der Quali - kation für Olympia. Die nächste Chance für ein Olympiatic­ket gibt es in der Türkei: "Wir müssen unter die letzten vier Teams kommen", sagt Santos. "Darauf bereiten wir uns intensiv vor, nehmen an internatio­nalen Wettbewerb­en teil. Diese Wettkämpfe im Ausland sind sehr wichtig für uns, um mit dem Druck umzugehen und uns immer mehr zu verbessern."

Graziela Santos fühlt sich als eine Pionierin und ein Beispiel für andere indigene Frauen. "Mein Beispiel zeigt, dass wir fähig sind, hier zu sein", sagt sie. "Wir können unsere Ziele wählen und beweisen, dass wir sie auch eines Tages erreichen werden."

 ?? Bild: Tobias Käufer ?? Im Juni steht für Graziela Sontas und ihr Team die entscheide­nde Olympia-Quali  kation an
Bild: Tobias Käufer Im Juni steht für Graziela Sontas und ihr Team die entscheide­nde Olympia-Quali kation an

Newspapers in German

Newspapers from Germany