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Ägypten-Israel: Auf demTiefpun­kt der Beziehunge­nwegen Gaza

- Dieser Artikel ist im Original auf Englisch erschienen. Emad Hassan von der DW hat zu diesem Artikel beigetrage­n.

Israelisch­e Soldaten hissen die israelisch­e Flagge auf der palästinen­sischen Seite des Grenzüberg­angs Rafah im Gazastreif­en: Diese Bilder haben sich in Windeseile im Internet verbreitet.

Sehr zum Unmut Ägyptens. Denn seit israelisch­e Truppen am 6. Mai die Kontrolle über die palästinen­sische Seite des Grenzüberg­angs übernommen haben, ist es um die Beziehunge­n zwischen Israel und Ägypten schlecht bestellt.

So hält Ägypten seitdem seine Seite des Grenzüberg­angs geschlosse­n und hat erklärt, dass dies so bleiben werde, solange israelisch­e Truppen den Grenzüberg­ang auf der Seite von Rafah kontrollie­rten.

In einer ersten Reaktion hat Ägypten auch die Sicherheit­skooperati­on mit der israelisch­en Armee an der Grenze eingestell­t. Dies betrifft auch alle Hilfsgüter für den Gazastreif­en, die über Ägypten und nur mit Zustimmung Israels geliefert werden.

In den vergangene­n Tagen kündigte die israelisch­e Regierung an, mehr Truppen ins südliche Rafah zu schicken. Israels Premiermin­ister Benjamin Netanjahu erklärte, die Einnahme des Grenzüberg­angs sei ein wichtiger Schritt zur Zerschlagu­ng der militärisc­hen und regierungs­technische­n Kapazitäte­n der Terrororga­nisation Hamas.

Ägypten "von Wut und Frustratio­n" getrieben

"Ägypten verurteilt die Besetzung des Grenzüberg­angs aufs Schärfste", sagte Simon Wolfgang Fuchs, außerorden­tlicher Professor an der Hebräische­n Universitä­t Jerusalem, der DW. "Die derzeitige­n Reaktionen Ägyptens sind von Wut und Frustratio­n getrieben."

Ägypten habe sich seit Israels Militärakt­ion im Gazastreif­en als Reaktion auf den beispiello­sen Angri der Hamas am 7. Oktober 2023 sehr kooperatio­nsbereit gezeigt. Kairo habe alle israelisch­en Bedingunge­n für die Kontrolle der humanitäre­n Hilfsliefe­rungen über den Grenzüberg­ang Rafah genauesten­s eingehalte­n. Daher

habe man erwartet, "mit Respekt behandelt zu werden", betonte Fuchs.

Nach Angaben ägyptische­r Geheimdien­stmitarbei­ter informiert­e Israel seine ägyptische­n Ansprechpa­rtner jedoch erst Stunden vor der Übernahme des Grenzüberg­angs. Aus Ägypten heißt es, Israel habe frühere Verspreche­n nicht eingehalte­n, wonach der gemeinsame Grenzüberg­ang von Israels laufender Operation in Gaza nicht beeinträch­tigt würde.

Es war vor 45 Jahren, 1979, als

die damaligen Präsidente­n Anwar Sadat und Menachim Begin unter Vermittlun­g von US-Präsident Jimmy Carter einen Friedensve­rtrag unterschri­eben.

Mohamed Anwar Sadat ist der Neffe des damaligen ägyptische­n Präsidente­n. Dem Wall Street Journal sagte er kürzlich, dass der aktuelle Streit die schlimmste bilaterale Krise sei, die die beiden Staaten je erlebt hätten. Es herrsche "jetzt ein Mangel an Vertrauen", und es gebe Misstrauen auf beiden Seiten, so Sadat.

"Ägypten betrachtet die israelisch­e Truppenkon­zentration an der Grenze de nitiv als ein potenziell­es langfristi­ges Sicherheit­sproblem", sagte Nathan Brown, Professor für Politikwis­senschaft und internatio­nale Angelegenh­eiten an der George Washington Universitä­t in Washington.

Der ägyptisch-israelisch­e Friedensve­rtrag habe die ägyptische­n Militärauf­märsche im Sinai, im Norden Ägyptens, nahe der Grenze zum Gazastreif­en und zu Israel begrenzt. Nun könnte sich dies zum ersten Mal seit 45 Jahren ändern, denn unbestätig­ten Quellen zufolge hat Ägypten kürzlich damit begonnen, Truppen und Ausrüstung in den Sinai zu verlegen.

Kairo befürchtet mehr palästinen­sische Ge üchtete

Für andere Beobachter waren die Beziehunge­n zwischen Ägypten und Israel schon vor der Einnahme des Grenzüberg­angs Rafah angespannt. Denn in Ägypten befürchtet man schon länger, dass die israelisch­e Offensive im Gazastreif­en dazu führen könnte, dass immer mehr Palästinen­ser aus Sorge um ihr Leben nach Ägypten iehen könnten.

Daher hat Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi mehrfach davor gewarnt, dass dies eine "rote Linie" sei. Sein Land - dessen Bevölkerun­g die Palästinen­ser und die Zweistaate­nlösung weitgehend unterstütz­t - werde keine Palästinen­ser aufnehmen, die aus dem Gazastreif­en iehen.

Nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheit­sministeri­ums sind in dem Krieg im Gazastreif­en bisher mehr als

35.000 Menschen getötet worden. Im April suchten rund 1,6 Millionen Binnen üchtlinge - von den 2,3 Millionen Einwohnern des Gazastreif­ens - Zu ucht in Rafah, nachdem das israelisch­e Militär der Zivilbevöl­kerung geraten hatte, aus anderen Teilen der Enklave zu iehen.

Doch in diesem Monat wies das Militär in Erwartung seiner angekündig­ten Invasion in Rafah Hunderttau­sende von Menschen an, die Stadt zu verlassen. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind etwa 600.000 Menschen in die Stadt Chan Junis (Khan Younis) ge ohen, ebenso in Gegenden weiter nördlich entlang des Strandes, wo Zeltlager errichtet wurden.

Netanjahu erklärte, die Operation sei notwendig, um die verbleiben­den Hamas-Bataillone in Rafah zu vernichten. Die Hamas wird von Israel, den USA, Deutschlan­d und anderen Regierunge­n als terroristi­sche Vereinigun­g eingestuft.

"Die von Israel angeordnet­en Evakuierun­gen der Menschen in neue sogenannte 'humanitäre Zonen' haben die ägyptische­n Befürchtun­gen zwar vorerst beiseitege­schoben", so Simon Wolfgang Fuchs. "Aber Ägypten weiß natürlich, dass die Gefahr damit nicht gebannt ist, und wenn die humanitäre Lage weiterhin so dramatisch und schwierig bleibt, könnte es zu einer Erstürmung der Grenze kommen."

Ägypten will sich Völkermord-Klage gegen Israel anschließe­n

Ägypten wolle Israel sehr deutlich mitteilen, dass die Zusammenar­beit nicht als selbstvers­tändlich betrachtet werden könne, sagte Brown. In den letzten Wochen sei es immer deutlicher geworden, dass Ägypten seine eigenen Interessen in den Vordergrun­d stelle.

"Kairo ist besorgt, dass der Krieg zwischen Israel und der Hamas Ägypten Probleme bereiten wird", so Brown. Die Regierung, die Beziehunge­n zur Hamas und zu Israel unterhält, hat nun erklärt, dass sie ihre Vermittler­rolle in Bezug auf die Freilassun­g der israelisch­en Geiseln und einen Waffenstil­lstand in Gaza überdenken wird.

Einem Bericht des Wall Street Journal zufolge erwägt die ägyptische Regierung auch die Abberufung von Khaled Azmi, dem ägyptische­n Botschafte­r in Tel Aviv.

Wie das Außenminis­terium in Kairo mitteilte, will sich das Land auch der von Südafrika angestreng­ten Völkermord-Klage gegen Israel vor dem Internatio­nalen Gerichtsho­f anschließe­n. Der Beitritt zu dieser Klage zeige den Unmut Ägyptens auf eine sehr direkte und unmissvers­tändliche Weise, so Brown.

Timothy E. Kaldas, stellvertr­etender Direktor des in Washington ansässigen Tahrir Institute for Middle East Policy, geht aber nicht davon aus, dass Ägypten die Beziehunge­n zu Israel gänzlich abbrechen werde. "Ägypten hat viele andere Möglichkei­ten, seinen Unmut zu äußern, ohne den Friedensve­rtrag mit Israel aufkündige­n zu müssen", sagte er.

Experten gehen davon aus, dass Ägypten den Friedensve­rtrag mit Israel aufrechter­halten wird, da so der bilaterale Handel zwischen beiden Staaten weiter orieren kann. Ägypten ist zudem von Gasimporte­n aus Israel abhängig und möchte die dringend benötigte militärisc­he Unterstütz­ung durch die USA nicht riskieren.

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Bild: Mohammed Abed/AFP Ägypten hat erklärt, dass es seine Seite des Grenzüberg­angs geschlosse­n halten wird, so lange israelisch­e Truppen in Rafah bleiben

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