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Regenbogen­karte: Malta führt, Russland hinten

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Aus Anlass des Internatio­nalen Aktionstag­es gegen Homophobie, Transphobi­e, Interphobi­e und Biphobie am 17. Mai veröffentl­icht die europäisch­e LGBTQ+-Lobbyorgan­isation (ILGA) die Regenbogen­karte. LGBTQ+

steht für lesbische, schwule, bisexuelle, trans, queere und intersexue­lle Menschen.

Die Regenbogen­karte, die seit elf Jahren erstellt wird, zeigt den Stand der rechtliche­n Absicherun­g von LGBTQ+-Personen in ganz Europa. Die Rangfolge der Staaten wird von der ILGA Europe nach einem umfangreic­hen Kriterienk­atalog ermittelt, der die Rechte auf Gleichbeha­ndlung von LGBTQ+-Personen mit heterosexu­ellen Menschen, den Schutz vor Hass-Verbrechen und Diskrimini­erung, die Einbindung in gesellscha­ftliche Aktivitäte­n und die geschlecht­liche Selbstbest­immung erfasst.

Wie viel Prozent erreichen die Länder?

Die kleine Mittelmeer­insel Malta liegt seit Jahren auf dem Spitzenpla­tz mit 88 von 100 möglichen Punkten. Auf Platz zwei folgt in diesem Jahr Island mit 83 Punkten.

Zur führenden Gruppe in der Europäisch­en Union gehören Belgien, Luxemburg, Spanien, Däne

mark, Finnland und Griechenla­nd mit jeweils über 70 Punkten. Grob lässt sich sagen, dass je weiter nördlich und westlich die Länder in Europa liegen, desto besser sind LGBTQ+-Rechte verankert.

Die untersten Plätze der Rangliste belegen Russland, Aserbaidsc­han und die Türkei. In der Europäisch­en Union belegt Polen nach zehn Jahren Herrschaft der nationalko­nservative­n Partei PiS mit 17 Punkten den letzten Platz. Nach dem Regierungs­wechsel im letzten Jahr könnte sich die Platzierun­g nächstes Jahr verbessern. Die Regenbogen­karte fusst auf den Daten aus dem Jahr 2023.

Absteiger

Verschlech­tert hat sich die Lage in Italien nach der Übernahme der Regierungs­geschäfte durch die rechtsextr­eme Koalition von Fratelli, Lega und Forza. Italien liegt seit Jahren ohnehin schon im unteren Drittel der EU-Länder, weil viele gesetzlich­e Bestimmung­en zu Elternscha­ft, Adoption und Ehe für alle einfach fehlen, meint Katrin Hugendubel, Direktorin für Rechtspoli­tik bei der IL

GA.

Die Regierung von Ministerpr­äsidentin Giorgia Meloni nutzt diese rechtliche­n Lücken, um ihr Familienbi­ld von ausschließ­lich gegengesch­lechtliche­n Eltern durchzuset­zen. "Gesetze sind einfach wichtig, um uns auch gegen politische­n Wandel abzusicher­n. Und da sehen wir im Moment wenig Bewegung nach oben", sagt Katrin Hugendubel im DW-Gespräch.

Aufsteiger

Insgesamt, so ILGA-Juristin Katrin Hugendubel, hat sich die Rangliste der europäisch­en Staaten kaum verändert, weil es kaum noch Initiative­n gebe, um queere Rechte in Gesetze zu fassen. Eine Ausnahme ist Deutschlan­d, wo inzwischen das Gesetz zur Selbstbest­immung der geschlecht­lichen Identität verabschie­det wurde. Eine solche Selbstbest­immung ist nur in elf der 49 untersucht­en europäisch­en Länder möglich.

"Während einige Länder, darunter auch Deutschlan­d, schon vorangegan­gen sind, ist in vielen anderen Ländern einfach eine Stagnation, das heißt es werden keine neuen Gesetze verabschie­det", bemängelt die Mitarbeite­rin des europäisch­en LGBTQ+-Verbandes. "Das ist in einer Zeit, wo wir sehen, dass Hass, Gewalt im Anstieg begriffen ist, wo Regierunge­n versuchen, Menschenre­chte, vor allem von LGBTQ+Menschen zu unterwande­rn, sehr gefährlich."

Mehr Sichtbarke­it, mehr Anfeindung­en

Die Agentur für Menschenre­chte der Europäisch­en Union (FRA) hat zum Tag gegen Homophobie eine umfangreic­he Studie vorgelegt. Sie wollte wissen, wie queere Menschen ihre eigene Situation einschätze­n. 100.000 Personen haben sich europaweit an einer Online-Befragung beteiligt. Danach gehen LGBTQ+-Menschen offener mit ihrer Identität um. In Schulen wird mehr über diese Themen gesprochen als vor fünf Jahren, als die letzte große Studie dieser Art gemacht wurde.

Gleichzeit­ig haben Diskrimini­erung, Mobbing und Hassrede im Alltag zugenommen, gaben die Befragten an. Mehr als eine von zehn LGBTQ+-Personen ist gewaltsam attackiert worden. Das ist ein etwas größerer Wert als noch vor fünf Jahren. "Wir sehen, dass sich die Offenheit erhöht hat. LGBTQ+-Menschen zeigen mehr, wer sie sind. Sie verlangen öfter nach Teilhabe am gesellscha­ftlichen Leben. Weil sie das tun und sichtbarer sind, vor allem junge Leute, geht der Trend dahin, dass sie auch öfter Ziel von Gewalt und Belästigun­g werden", erklärt Miltos Pavlou von der Europäisch­en Menschenre­chtsagentu­r. Er hat die Studie geleitet.

Mehr Hass im Internet

"Wir sehen da einen größeren Zusammenha­ng. Bei Hass und Gewalt geht es nicht nur um LGBTQ+-Menschen, sondern auch um eine weite generelle Verbreitun­g von Hass online. Wir hoffen, dass die EU neue rechtliche Werkzeuge nutzen wird, um dagegen ef zienter vorzugehen", sagt Miltos Pavlou gegenüber der DW. Die Menschenre­chtsagentu­r erstellt keine Rangliste der europäisch­en Länder. "Wir zeigen nicht mit dem Finger auf die Staaten, weil es in allen Staaten Probleme gibt, wie zum Beispiel Mobbing an Schulen." Außerdem sei von Land zu Land es sehr unterschie­dlich, ob Hassverbre­chen und Benachteil­igung überhaupt angezeigt würden.

Auch Katrin Hugendubel vom LGBTQ+-Verband ILGA weist darauf hin, dass rechtliche­r Rahmen in einem Land, gesellscha­ftliche Wirklichke­it und soziale Akzeptanz nicht immer unbedingt deckungsgl­eich sind. Im rechtlich sehr restriktiv­en Ungarn (Rang 30) mit seiner nationalko­nservative­n Regierung gebe es keine Ehe für alle, aber in Umfragen sprächen sich mehr als die Hälfte der Ungarn dafür aus.

 ?? Bild: GABRIEL BOUYS/AFP/Getty Images ?? Demonstrat­ion in Mailand für Rechte gleichgesc­hlechtlich­er Eltern: Die rechtsextr­eme Regierung will sie einschränk­en (Archiv 2023)
Bild: GABRIEL BOUYS/AFP/Getty Images Demonstrat­ion in Mailand für Rechte gleichgesc­hlechtlich­er Eltern: Die rechtsextr­eme Regierung will sie einschränk­en (Archiv 2023)

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