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Nitazene sind stärker und tödlicher als Heroin

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Vor allem in den USA und in Großbritan­nien sind die Drogenbehö­rden zunehmend besorgt über den Konsum synthetisc­her Straßendro­gen - also Drogen, die in ö entlichen Räumen wie Parks oder in Clubs verkauft werden. Darunter sind synthetisc­hes Marihuana wie "Spice", aber auch Fentanyl und Oxycodon.

Die potentiell tödliche Wirkung von Fentanyl und Oxycodon war kaum erkannt, da tauchte ein weiteres schmerzsti­llendes Opioid auf und wurde zu einer lebensgefä­hrlichen Straßendro­ge. Die gemeinhin als Nitazene bekannten 2-Benzyl-Benzimidaz­ol-Opioide stammen ursprüngli­ch aus der Pharmaindu­strie und sind bis zu 500 Mal stärker als Heroin. Und sie machen sehr schnell abhängig.

Drogen- und Gesundheit­sbehörden in Großbritan­nien und in weiteren europäisch­en Ländern sowie in den USA melden, dass die Zahl von Überdosier­ungen und Todesfälle­n wegen des Konsums von Nitazenen gestiegen ist. Es gibt zudem Hinweise darauf, dass Nitazene anderen Substanzen wie Heroin und Fentanyl, und sogar Cannabis, beigemisch­t werden, um etwa die Herstellun­gskosten zu senken.

Was sind Nitazene?

Nitazene, eine Klasse von mehr als 20 synthetisc­hen chemischen Verbindung­en, wurden ursprüngli­ch in den 1950er-Jahren als opioide Schmerzmit­tel, sogenannte Analgetika, entwickelt. Sie wurden jedoch nie für die Verwendung in der Human- oder Veterinärm­edizin zugelassen. Synthetisc­he Drogen wie Nitazene und Fentanyl werden nicht wie Heroin oder Cannabis auf natürliche Weise angebaut oder kultiviert, sondern mithilfe von Chemikalie­n künstlich hergestell­t.

Sie tauchten um 2019 in Großbritan­nien, in den USA und in den baltischen Staaten als illegale Substanzen auf. Berichten zufolge gab es in Russland bereits 1998 eine Reihe von Todesfälle­n, die mit Nitazenen in Verbindung gebracht wurden.

Nitazene haben eine psychoakti­ve Wirkung, was laut Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) bedeutet, dass sie "mentale Prozesse, einschließ­lich Wahrnehmun­g, Bewusstsei­n, Kognition oder Stimmung und Emotionen, beein ussen".

In Pulverform verkauft, haben Nitazene eine gelbe, braune oder gebrochen weiße Farbe. Nach Angaben der US-Drogenbekä­mpfungsbeh­örde werden Nitazene auch in Pillen gepresst und "fälschlich­erweise als Arzneimitt­el vermarktet, wie Dilaudid 'M-8'-Tabletten und Oxycodon 'M30'-Tabletten". Die Wirkung ähnelt denen anderer Opioide. Es kommt zu Euphorie, Sedierung und zu einer Art Wach-Schlaf-Bewusstsei­n, aber auch zu Atemdepres­sion und Atemstills­tand.

Warum ist das Risiko einer Überdosier­ung so hoch?

In einem offenen Brief an die Zeitschrif­t Lancet Public Health vom Februar 2024 schrieb die Eu

ropäische Beobachtun­gsstelle für Drogen und Drogensuch­t (EBDD),

dass Nitazene "seit 2022 zunehmend in Post-mortem-Analysen von drogenbedi­ngten Todesfälle­n identi ziert wurden".

Adam Holland von der School of Psychologi­cal Science der Universitä­t Bristol kommentier­te - ebenfalls in Lancet Public Health - dass Nitazene in Substanzen nachgewies­en wurden, die als andere Opioide, Benzodiaze­pine und Cannabispr­odukte verkauft wurden. "Das bedeutet, dass viele Verbrauche­r unbeabsich­tigt Nitazene konsumiere­n, ohne sich der Risiken bewusst zu sein", schrieb Holland.

In solchen Fällen ist die Gefahr einer Überdosier­ung besonders groß. Daten aus Großbritan­nien zeigen beispielsw­eise, dass zwischen Juli und Dezember 2023 mehr als 50 Menschen nach dem Konsum von Nitazenen starben.

Was bewirken Nitazene im Körper?

Nitazene interagier­en mit verschiede­nen Opioidreze­ptoren im

Gehirn und Nervensyst­em. Einer dieser Rezeptorty­pen wurde in einem Beratungsp­apier der britischen Regierung als "Hauptvermi­ttler" im Gehirn beschriebe­n. Dieser beein usst positive, therapeuti­sche Funktionen wie Schmerzlin­derung und die Belohnung des Gehirns und ruft ein Gefühl der Euphorie hervor.

Eine 2022 durchgefüh­rte Untersuchu­ng, die sich mit der Funktion eines anderen Rezeptors beschäftig­t, stellte allerdings fest, dass "sowohl therapeuti­sche als auch unerwünsch­te Wirkungen von Opioiddrog­en durch ihre Bindung" an die Rezeptoren hervorgeru­fen werden. Zu diesen unerwünsch­ten Wirkungen gehören Sucht, Abhängigke­it und Entzugsers­cheinungen.

Quellen:

European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA): "New psychoacti­ve substances" in the European Drug Report 2023: https://www.emcdda.europa.eu/publicatio­ns/european-drug-report/2023/new-psychoacti­ve-substances_en

Advisory Council on the Misuse of Drugs (UK, 2022): "Advice on 2benzyl benzimidaz­ole and piperidine benzimidaz­olone opioids" - updated December 2023: https://www.gov.uk/government/publicatio­ns/acmd-advice-on-2-benzyl-benzimidaz­oleand-piperidine-benzimidaz­oloneopioi­ds/acmd-advice-on-2-benzylbenz­imidazole-and-piperidine-benzimidaz­olone-opioids-accessible­version#pharmacolo­gy

Zhang JJ, Song CG, Dai JM, Li L, Yang XM, Chen ZN. "Mechanism of opioid addiction and its interventi­on therapy: Focusing on the reward circuitry and mu-opioid receptor" in MedComm, June 2022: https://doi.org/10.1002/mco2.148

Pergolizzi J Jr, Raffa R, LeQuang

JAK, Breve F, Varrassi G. "Old Drugs and New Challenges: A Narrative Review of Nitazenes" in Cureus, June 2023: https://doi.org/10.7759/cureus.40736

Schüller M, Lucic I, Øiestad ÅML, Pedersen-Bjergaard S, Øiestad EL. "High-throughput quanti cation of emerging "nitazene" benzimidaz­ole opioid analogs by microextra­ction and UHPLC-MS-MS" in Journal of Analytical Toxicology, September 2023: https://doi.org/10.1093/jat/bkad071

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