Deutsche Welle (German edition)
75 Jahre Grundgesetz - die Verfassung imWandel der Zeit
"Die Würde des Menschen ist unantastbar" - so beginnt Artikel 1 des Grundgesetzes. Dieser erste Satz der Verfassung entstand unter dem Eindruck der beispiellosen Schuld, die das nationalsozialistische Deutschland auf sich geladen hatte. Es war verantwortlich für den Zweiten Weltkrieg von 1939 bis 1945 und die Ermordung von sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens in ganz Europa.
1949: Das Grundgesetz wird beschlossen
Als das Grundgesetz am 23. Mai 1949 verkündet wurde, galt es allerdings nur für die am selben Tag gegründete Bundesrepublik Deutschland. Sie entstand aus den drei Besatzungszonen der westlichen Siegermächte des Zweiten Weltkriegs: USA, Großbritannien und Frankreich. Im Osten befand sich die Sowjetische Besatzungszone (SBZ). Daraus wurde am 7. Oktober 1949 die Deutsche Demokratische Republik (DDR), die in Wirklichkeit eine von der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) regierte Dik
Seit dem Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990, der mit einer großen Feier vor dem Reichstagsgebäude in Berlin eingeläutet wurde, gilt das Grundgesetz in ganz Deutschland tatur war.
Die Mütter (4) und Väter (61) des Grundgesetzes betrachteten ihr Werk angesichts der deutschen Teilung als Provisorium. Daran wird anlässlich des 75-jährigen Jubiläums der deutschen Verfassung oft erinnert, unter anderem vom Potsdamer Historiker Martin Sabrow bei einer Veranstaltung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur: "Das sollte gerade keine Verfassung auf Dauer sein, sondern ein Übergangszustand, bis das deutsche Volk in seiner Gesamtheit Bild: Jörg sich hätte frei entscheiden könSchmitt/dpa/picture nen." alliance
1990: Verfassung für das wiedervereinte Deutschland
Der historische Moment dafür hätte die deutsche Wiedervereinigung 1990 sein können, nachdem die Menschen in der friedlichen Revolution die Berliner Mauer und das DDR-Regime zum Einsturz gebracht hatten. Eine neue Verfassung wurde dann aber doch nicht beschlossen.
"Zwar wurde eine Debatte über eine gesamtdeutsche Verfassung initiiert, aber diese Idee war in Deutschland nicht mehrheitsfähig", erläutert die Politikwissenschaftlerin Astrid Lorenz von der Universität Leipzig. "Der wesentliche Grund lautete: Das Grundgesetz hat sich bewährt, eine neue Verfassung ist unnötig. Man wollte Stabilität."
1956: Bundeswehr und Verteidigungsfall
Auch wenn keine neue Verfassung ausgearbeitet wurde, ist das Grundgesetz über die Jahrzehnte fast 70 Mal geändert worden - ausgelöst durch tiefgreifende gesellschaftliche und geopolitische Veränderungen. Besonders umstritten war die Wiederbewa - nung, einhergehend mit dem Beitritt zum Nordatlantischen Verteidigungsbündnis (NATO). Dafür wurde 1956 das Grundgesetz mehrfach geändert, um die Bundeswehr aufstellen zu können und bei einem Angri den sogenannten Verteidigungsfall verfassungsrechtlich abzusichern.
1968: Einschränkung von Grundrechten in Notsituationen
Gravierende Änderungen brachten auch die 1968 beschlossenen sogenannten "Notstandsgesetze" mit sich. Damit sollte die staatliche Handlungsfähigkeit in Krisensituationen gewährleistet werden. Gemeint sind damit vor allem Naturkatastrophen, Aufstände und Kriege. Diese Verfassungsänderung ermöglichte unter anderem den Einsatz der Bundeswehr im Inland und die Einschränkung von Grundrechten. In
Notsituationen ist auch die heimliche Überwachung von Kommunikation erlaubt.
Drei Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde 1993 das Asylrecht stark beschnitten, das Grundgesetz verändert. Auslöser waren die sprunghaft gestiegenen Anträge auf politisches Asyl, die zu massiven gesellschaftlichen Spannungen und einem Erstarken des Rechtsextremismus führten. Seit der Reform ist es möglich, Menschen ohne deutschen Pass in Länder abzuschieben, die als "sichere Herkunftsstaaten" eingestuft werden. Zuletzt wurden Georgien und Moldau in diese Liste aufgenommen.