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Manöver nahe der Ukraine: Plant Russland einen Atomschlag?

- Adaption aus dem Ukrainisch­en: Markian Ostaptschu­k Dieser Artikel wurde am 7. Mai veröffentl­icht und am 22. Mai aktualisie­rt.

Russland hat mit dem Anfang Mai angekündig­ten Manöver mit taktischen Atomwa en begonnen. Die erste Phase der Übung, die im Süden des Landes in der Nähe der ukrainisch­en Grenze statt ndet, umfasst die Vorbereitu­ng und den Einsatz der nichtstrat­egischen Atomwa en, teilte das russische Verteidigu­ngsministe­rium am 21. Mai mit.

Solche Übungen nden zum ersten Mal seit der großangele­gten russischen Invasion der Ukraine statt. Das russische Verteidigu­ngsministe­rium hatte das Manöver am 6. Mai angekündig­t, einen Tag bevor der russische Präsident Wladimir Putin of ziell seine fünfte Amtszeit antrat.

Die Manöver werden von Raketenein­heiten des "Südlichen Militärbez­irks" unter Beteiligun­g der Luft- und Seestreitk­räfte durchgefüh­rt. Ziel ist es, "die Bereitscha­ft der nichtstrat­egischen Nuklearstr­eitkräfte zu erhöhen", so die of zielle Verlautbar­ung des russischen Verteidigu­ngsministe­riums. Neben dem russischen Staatsgebi­et erstreckt sich die russischen Luftvertei­digung auf die 2014 annektiert­e Krim sowie auf die vier Regionen Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischs­chja im Südosten der Ukraine, die 2022 von Russland teilweise besetzt wurden. Nach Scheinrefe­renden hatte Putin diese Gebiete ebenfalls zu russischem Staatsgebi­et erklärt.

Moskaus Atom-Drohungen und Kritik am Westen

Vertreter westlicher Länder haben die Führung Russlands wiederholt aufgrund ihrer nuklearen Drohungen kritisiert. Auch wenn Präsident Wladimir Putin bisher nicht offen mit einem Atomschlag gedroht hat, warnte er aber den Westen vor der Möglichkei­t eines Atomkriege­s im Falle einer direkten Konfrontat­ion mit Russland.

Der ehemalige russische Präsident und stellvertr­etende Vorsitzend­e des Sicherheit­srats der Russischen Föderation, Dmitri Medwedew, drohte hingegen mehrmals offen mit dem Einsatz von Atomwaffen. Am 6. Mai äußerte er sich erneut in ähnlicher Weise. Medwedew verknüpfte die Entscheidu­ng, Manöver mit taktischen Atomwaffen abzuhalten, mit der Diskussion im Westen darüber, ob es zulässig sei, Bo

dentruppen westlicher Staaten in die Ukraine zu entsenden.

Auch Putins Pressespre­cher Dmitri Peskow verknüpfte die Atom-Übungen mit Aussagen westlicher Politiker bezüglich eines möglichen Truppenein­satzes in der Ukraine und erwähnte dabei insbesonde­re den französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron. Peskow sprach von einer "neuen Runde der Eskalation der Spannungen".

Was sind taktische Atomwa en?

Taktische Atomwaffen unterschei­den sich von strategisc­hen dadurch, dass sie über eine geringere Stärke und Reichweite verfügen. Es kann sich um Artillerie handeln, aber am häu gsten sind

es ballistisc­he Raketen und Marsch ugkörper. Sie werden von Systemen abgefeuert, die sowohl konvention­elle als auch nukleare Sprengköpf­e tragen können.

Als taktische Atomwaffen gelten Atomspreng­köpfe für bodengestü­tzte Raketensys­teme mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern sowie see- oder luftgestüt­zte Raketensys­teme mit einer

Reichweite von bis zu 600 Kilometern. Es gibt jedoch keine klaren Grenzen bei der Klassi zierung. Daher zählen einige Quellen die neuen russischen Kalibr-Marsch ugkörper und die Hyperschal­lrakete des Typs Kinschal mit einer Reichweite von bis zu mehreren tausend Kilometern zu den taktischen Atomwaffen.

Einsatz in Ukraine "macht keinen Sinn"

Die von der DW befragten Experten sind sich einig, dass der Einsatz von Atomwaffen in der Ukraine unwahrsche­inlich und zudem sinnlos ist. "In militärisc­her Hinsicht macht der Einsatz von Atomwaffen durch Russland in der Ukraine unter keinen Umständen Sinn", sagt Pavel Podvig, leitender Forscher am UN-Institut für Abrüstungs­forschung. Daran habe sich nach wie vor nichts geändert.

Russland werde bei dem Manöver keine Angriffe üben können, sondern nur das Verfahren zu deren Einsatz, so der Experte. "Denn normalerwe­ise werden nichtstrat­egische Sprengköpf­e getrennt von den Raketen und Flugzeugen gelagert, die sie abfeuern können", sagt Podvig. Er hofft, dass man das Verfahren aus Sicherheit­sgründen mit Attrappen üben wird.

Pläne zum Einsatz von Atomwaffen in der Ukraine habe es "nie gegeben", meint Nikolai Sokov, Senior Fellow am Wiener Zentrum für Abrüstung und NonProlife­ration (VCDNP). Ihm zufolge gab es sie nicht einmal im Herbst 2022, als sich die russische Armee aus den Regionen Charkiw und Cherson zurückzog. In den USA habe es Berichte in den Medien gegeben, wonach dies angeblich in der Russischen Föderation Thema sei. Jetzt aber sei die russische Armee den Streitkräf­ten der Ukraine in vielerlei Hinsicht überlegen und rücke vor und nehme immer weitere Gebiete im Osten der Ukraine ein, so Sokov. Mehr noch, Kiew rechne sogar mit einer Ausweitung der russischen Angriffe.

Atom-Übungen "eine Warnung an den Westen"

Die Atomdrohun­gen haben offenbar einen anderen Hintergrun­d. "Nukleare Eskalation" ist eine Phrase, die im Westen seit Beginn der russischen Invasion gefürchtet wird. Gerade dies ist nach Ansicht westlicher Politiker und Experten der Grund dafür, dass die Waffen an die Ukraine langsam und eingeschrä­nkt geliefert werden.

Darauf setzt Moskau auch jetzt, sagt Mathieu Boulègue vom amerikanis­chen Wilson Center. Er glaubt nicht, dass das Atom-Manöver Russlands "allein auf die Haltung Frankreich­s" zurückzufü­hren ist. Seiner Meinung nach ist es Teil der "ständigen Einschücht­erungen und des Säbelrasse­lns seitens des Kremls" - mit dem Ziel, die Entschloss­enheit des Westens bei der Unterstütz­ung der Ukraine zu brechen. Ferner wolle sich Putin mit den Manövern als "starker Führer" darstellen, vor allem im Vorfeld des "Tages des Sieges über Nazideutsc­hland", der in Russland am 9. Mai begangen wird, so Boulègue.

Die Experten gehen davon aus, dass die Atom-Übungen Russlands "ein Signal und eine Warnung an den Westen" seien. "An diesem politische­n Signal ist nichts Gutes, aber man sollte versuchen, es so nüchtern wie möglich aufzufasse­n", betont Pavel Podvig.

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Bild: Yekaterina Shtukina/dpa/picture alliance Dmitri Medwedew hat bereits mehrmals mit dem Einsatz von Atomwa en gedroht

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