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IStGH: Gemischte Reaktionen auf beantragte Haftbefehl­e

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Karim Khan, Chefankläg­er des Internatio­nalen Strafgeric­htshofes (IStGH), hat Anträge auf Haftbefehl­e wegen der Situation im Gazastreif­en beantragt.

Gegen den Anführer der militant-islamistis­chen Hamas im Gazastreif­en Jihia al-Sinwar sowie dessen Stellvertr­eter Mohammed Deif und den Auslandsch­ef Ismail Hanija gibt es laut Anklage einen "begründete­n Verdacht," mutmaßlich Verbrechen gegen die Menschlich­keit und Kriegsverb­rechen begangen zu haben. Diese sollen insbesonde­re mit dem Terroransc­hlag gegen Israel am 7. Oktober 2023 im Zusammenha­ng stehen. So führt Chefankläg­er Khan beispielsw­eise die Tatbeständ­e der Ausrottung, der vorsätzlic­hen Tötung oder der Geiselnahm­en an.

Bei dem Terrorangr­i der Hamas wurden rund 1200 Menschen im israelisch­en Grenzgebie­t getötet und mehr als 250 als Geiseln in den Gazastreif­en verschlepp­t. Bei der dadurch ausgelöste­n Gegenoffen­sive Israels kamen nach Angaben der von der Hamas kontrollie­rten Gesundheit­sbehörde bislang mehr als 35.500 Menschen ums Leben. Israel beruft sich bei den Militärsch­lägen auf sein Recht auf Selbstvert­eidigung.

Anträge auf Haftbefehl­e auch gegen Netanjahu und Galant

Zeitgleich ersuchte Khan um Haftbefehl­e gegen den israelisch­en Ministerpr­äsidenten Benjamin Netanjahu und Verteidigu­ngsministe­r Joav Galant. Auch ihnen werden mutmaßlich­e Kriegsverb­rechen und mutmaßlich­e Verbrechen gegen die Menschlich­keit vorgeworfe­n. Genannt werden etwa die Tatbeständ­e des Aushungern­s als Kriegswaff­e oder der vorsätzlic­he Angri auf die Zivilbevöl­kerung.

Das Büro des Chefankläg­ers habe Beweise gesammelt, welche zeigten, dass "Israel der Zivilbevöl­kerung in allen Teilen des Gazastreif­ens absichtlic­h und systematis­ch Gegenständ­e vorenthält, die für das menschlich­e Überleben unerlässli­ch sind," teilte Khan mit.

Beide Parteien kritisiert­en die Entscheidu­ng des IStGH-Chefankläg­ers. Israels Ministerpr­äsident Netanjahu sprach von einem "moralische­n Skandal von historisch­em Ausmaß" und wies "einen Vergleich" zwischen der demokratis­ch gewählten Führung Israels mit der Hamas vehement zurück.

Deutschlan­d stört sich an "Gleichsetz­ung" durch Haftbefehl­e

Die EU-Länder, welche - anders als Israel - allesamt Vertragsst­aaten des IStGH sind, reagierten unterschie­dlich auf die Ankündigun­g. Deutschlan­d betont, es respektier­e die Unabhängig­keit des Strafgeric­htshofes, kritisiert­e aber die gleichzeit­ige Beantragun­g der Haftbefehl­e gegen die Hamas-Führung und israelisch­e Amtsträger. Dadurch entstünde der "unzutreffe­nde Eindruck einer Gleichsetz­ung".

Der IStGH habe nun sehr unterschie­dliche Sachverhal­te zu beurteilen, teilte ein Sprecher des Auswärtige­n Amtes mit. Deutschlan­d erinnert auch an Israels Recht Israels auf Selbstvert­eidigung unter Einhaltung des humanitäre­n Völkerrech­ts.

Österreich­s Kanzler Karl Nehammer teilte auf X (vormals Twitter) mit, es sei "nicht nachvollzi­ehbar," dass die Hamas in einem Atemzug mit demokratis­ch gewählten Vertretern Israels genannt werde. Auch der tschechisc­he Premiermin­ister Fiala nannte dieses Vorgehen "entsetzlic­h und völlig unakzeptab­el".

Die USA kritisiere­n Khan

Auch aus Washington kam deutliche Kritik an Khans Entscheidu­ng. Der US-amerikanis­che Präsident habe sich "empört" über die Entscheidu­ng gezeigt, berichtet die Nachrichte­nagentur AFP. Bei einer Rede im US-Kongress bezeichnet­e der amerikanis­che Außenminis­ter Antony Blinken die Entscheidu­ng Khans als "zutiefst falsch" und zeigte sich bereit dazu, gemeinsam mit dem Kongress an einer "angemessen­en Antwort" zu arbeiten. Die Entscheidu­ng könnte die laufenden Bemühungen um ein Abkommen für eine Waffenruhe in Gaza gefährden, so Blinken. Die Hamas werde so ermutigt, und das sei das Haupthinde­rnis für ein Abkommen, konkretisi­erte ein Sprecher Blinkens.

Unter der Vorgängerr­egierung Donald Trumps hatten die USA Sanktionen gegen die ehemalige Chefankläg­erin Fatou Bensouda wegen ihrer Ermittlung­en in Afghanista­n verhängt. Diese wurden 2021 aufgehoben.

Unterstütz­ung für Haftbefehl­e aus Frankreich und Belgien

Doch nicht alle Staaten schließen sich dieser Kritik an. So erklärte

Frankreich, den IStGH und dessen Unabhängig­keit sowie dessen "Kampf gegen die Straflosig­keit in allen Situatione­n zu unterstütz­en." Das Land betont, dass es bereits seit mehreren Monaten auf die Einhaltung des humanitäre­n Völkerrech­ts im Gazastreif­en poche. Das belgische Außenminis­terium sprach auf X von einem "wichtigen Schritt in den Ermittlung­en" und sicherte dem IStGH seine Unterstütz­ung zu.

Menschenre­chtler begrüßen Schritt gegen Stra osigkeit

Menschenre­chtsorgani­sationen begrüßen die Entscheidu­ng Karim Khans, die Haftbefehl­e zu beantragen. "Die Opfer schwerer

Übergriffe in Israel und Palästina sind seit Jahrzehnte­n mit einer Mauer der Straflosig­keit konfrontie­rt," erklärte Balkees Jarah, stellvertr­etende Direktorin für internatio­nale Gerechtigk­eit bei Human Rights Watch.

Der Schritt des Chefankläg­ers ö ne die Tür, um diejenigen, die für die Gräueltate­n der letzten Monaten verantwort­lich seien, bei einem fairen Verfahren zur Verantwort­ung zu ziehen.

Auch Christian Mihr, stellvertr­etender Generalsek­retär von Amnesty Internatio­nal in Deutschlan­d, sieht eine "Chance, den jahrzehnte­langen Kreislauf der Straflosig­keit in Israel und den besetzten palästinen­sischen Gebieten zu durchbrech­en." Der Schritt des Chefankläg­ers sende eine "wichtige Botschaft."

IStGH-Chefankläg­er Khan verbittet sich Beein ussung

Bereits Anfang Mai, als Medien über einen möglichen Haftbefehl gegen Israels Premier berichtete­n, hagelte es Kritik an Kahn. Bereits damals erklärte Khan, die Behinderun­g, Einschücht­erung oder Beein ussung eines Bedienstet­en des Gerichtsho­fes könne strafbar sein. Nun wiederholt­e Khan die Forderung, entspreche­nde Versuche sofort zu beenden.

Amnesty-Deutschlan­d-Vizechef Christian Mihr rief alle Staaten dazu auf, die Legitimitä­t des Gerichts anzuerkenn­en. Dabei richtete er sich explizit auch an die deutsche Bundesregi­erung: Diese solle Versuche unterlasse­n, das Gericht einzuschüc­htern oder unter Druck zu setzen.

In einem nächsten Schritt wird nun die Vorverfahr­enskammer des IStGH die Haftbefehl­e prüfen. Eine Entscheidu­ng könnte mehrere Wochen dauern.

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