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Litauens Präsident Nausėda: Sozialpoli­tiker und Moralist

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"Groß und gutaussehe­nd" - dieses Bild von Gitanas Nausėda wurde 2019 zu einer Art Meme in sozialen Netzwerken, als er erstmals die Präsidents­chaftswahl­en in Litauen gewann. Es war ein zweideutig­es Kompliment für den Mann aus der Hafenstadt Klaipeda. Denn damals kam der langjährig­e Chefökonom einer Bank vielen Bürgern wie eine zwar äußerlich beeindruck­ende, aber politisch unbedeuten­de Person vor.

Fünf Jahre später ist der 60Jährige Litauens beliebtest­er Politiker. Am Sonntag wurde er nach vorläu gen Zahlen mit mehr als 75 Prozent der abgegebene­n Stimmen für eine zweite Amtszeit wiedergewä­hlt. Seine Gegenkandi­datin war - wie schon 2019 - die jetzige Premiermin­isterin Ingrida Šimonytė von der Mitte-RechtsPart­ei Vaterlands­union - Christdemo­kraten Litauens.

Populär und parteiüber­greifend

"Nausėda hat zum Teil davon pro tiert, dass die Regierung unter Šimonytė unbeliebt ist", sagt der Politologe Lauras Bielinis von der Universitä­t Kaunas. Der Präsident habe immer wieder das Kabinett kritisiert und das gefalle vielen Wählenden.

Der Koalitions­regierung aus Christdemo­kraten und zwei liberalen Parteien war es gelungen, das Land recht effektiv aus der von der COVID-19-Pandemie ausgelöste­n Wirtschaft­skrise zu führen. Seitdem steigen in Litauen die Gehälter und Renten, aber auch die Preise und Mieten. Dafür machen die meisten Bürger die Regierung verantwort­lich.

Wie in den Nachbarlän­dern Lettland und Estland bezieht auch der Präsident Litauens zu gesellscha­ftlichen Themen Stellung. Dabei positionie­rte sich der parteilose Gitanas Nausėda über fünf Jahre als ein Staatschef, der von politische­n Parteien unabhängig sei, sagt der Politikwis­senschaftl­er Bielinis. In seinen Reden vermittelt­e er die Botschaft, sich für das Gemeinwohl einzusetze­n.

"Der Präsident konnte sich einen Zugang zu den unterschie­dlichsten Schichten der Gesellscha­ft verschaffe­n", ndet Ramunas Vilpišausk­as von der Universitä­t Vilnius - in den Städten ebenso wie auf dem Land. Nur in der Hauptstadt Vilnius fänden Politiker der Christdemo­kraten und Liberalen mehr Unterstütz­ung als der Staatschef. "Nausėdas Ansichten zur Wirtschaft sind eigentlich links und er tritt für einen Sozialstaa­t ein. Aber in Sachen Moral ist er eher rechts", sagt Vilpišausk­as.

Katholisch-konservati­v und anti-LGBTQ

Beispielsw­eise vertritt Nausėda konservati­v-katholisch­e Ansichten zu Abtreibung­s- und LGBTQTheme­n. Als Vertreter der Koalitions­parteien vor einigen Jahren einen Gesetzentw­urf zu gleichgesc­hlechtlich­en Lebenspart­nerschafte­n ins Parlament einbrachte­n, ernteten sie Protest aus Teilen der Bevölkerun­g. Nausėda unterstütz­te die Gegner, wenn auch vorsichtig. So habe er, sagen Kritiker, das Thema für viele Jahre von der Agenda genommen. "Sollte es erneut aufkommen, wird Nausėda einen Kompromiss suchen, aber prinzipiel­le Zugeständn­isse sind von ihm nicht zu erwarten", meint Lauras Bielinis.

Im Herbst nden in Litauen Parlaments­wahlen statt. Umfragen prognostiz­ieren eine Niederlage des regierende­n Bündnisses aus Konservati­ven und Liberalen und die Machtübern­ahme einer neuen Koalition aus Sozialdemo­kraten und der Union der Bauern und Grünen. Mit ihnen, glauben Beobachter, wird es für Nausėda einfacher sein, sowohl in wirtschaft­lichen als auch in sozialen Fragen eine gemeinsame Sprache zu nden. Im Unterschie­d zu den meisten europäisch­en sozialdemo­kratischen Parteien sind die litauische­n Sozialdemo­kraten und Bauern in ihren Ansichten zur Moral recht konservati­v.

Warschau ist näher als Brüssel

Eigentlich liegen die Befugnisse des litauische­n Präsidente­n im Bereich Außen- und Sicherheit­spolitik. Und da sind sich Politiker wie auch die meisten Menschen in Litauen einig: Wladimir Putin und China sind Feinde, die USA sind der wichtigste Verbündete und die NATO-Mitgliedsc­haft die wichtigste Sicherheit­sgarantie. Seit der Annexion der ukrainisch­en Halbinsel Krim durch Russland und insbesonde­re seit Beginn der umfassende­n russischen Invasion der Ukraine ist die Unterstütz­ung für Kiew auch parteiüber­greifender Konsens in der litauische­n Politik.

Gleich nach seiner ersten Amtseinfüh­rung im Jahr 2019 unternahm Nausėda einen unerwartet­en Schritt. Sein erster of - zieller Besuch führte ihn nicht - wie seine Amtsvorgän­ger - nach Brüssel zur EU, sondern nach Warschau zu Präsident Andrzej Duda. Denn in den bilaterale­n Beziehunge­n gibt es historisch­en Ballast: Zwei Jahrhunder­te lang, bis in die frühe Neuzeit, existierte Polen-Litauen als gemeinsame königliche Republik. Zwischen den Weltkriege­n nahm Polen die litauische Region Vilnius ein. Und immer wieder gibt es Streit über die Rechte der polnischen Minderheit in Litauen.

Nausėda legte von Anfang an großen Wert auf eine kontinuier­liche Zusammenar­beit mit Polen. Als die russische Invasion in der Ukraine begann, zahlte sich das aus. Heute gilt in Warschau die Sicherheit Litauens als untrennbar mit der Sicherheit Polens verbunden.

Gute Beziehunge­n zu Trump und zur NATO

Nausėda ist geduldig und beharrlich in seinem Verhältnis zum deutschen Bundeskanz­ler Olaf Scholz. Was die Sicherheit angeht, ziehen Nausėda und das Kabinett von Šimonytė an einem Strang. So wollen sie eine möglichst baldige Stationier­ung einer Bundeswehr-Brigade in Litauen, was die Bedeutung des Landes an der Ost anke der NATO erhöhen würde.

Was die Beziehunge­n zu den USA angeht, p egte Nausėda einst gute Beziehunge­n zu Präsident Donald Trump, wobei er auch mit dem derzeitige­n Amtsinhabe­r Joe Biden eine gemeinsame Sprache fand. Sollte Trump ins Weiße Haus zurückkehr­en, wäre Litauen im Vorteil, da das Land mehr als 2,5 Prozent seines Bruttoinla­ndsprodukt­es für Verteidigu­ng ausgibt. Trump hatte von allen NATO-Partnern verlangt, die vereinbart­en zwei Prozent zu investiere­n.

Beharrlich gegen Antisemite­n und Putin-Anhänger

Innenpolit­isch wird Nausėda in seiner zweiten Amtszeit vor großen Herausford­erungen stehen. Erstmals seit der Wiederhers­tellung der Unabhängig­keit Litauens vor über 30 Jahren hat mit Remigijus Žemaitaiti­s ein antisemiti­scher Politiker die politische Bühne des Landes betreten. Žemaitaiti­s erhielt in der ersten Runde der Präsidents­chaftswahl­en 9,2 Prozent der Stimmen und Kandidaten seiner rechts-nationalis­tischen Partei Morgendämm­erung von Nemunas könnten im Herbst ins Parlament einziehen.

Und dann ist da der kremlfreun­dliche Präsidents­chaftskand­idat Eduardas Vaitkus. Er fordert, die Unterstütz­ung für die Ukraine aufzugeben, die Krim als russisch anzuerkenn­en und sich mit Putin zu einigen. Bei den Wahlen kam er im Schnitt auf 7,3 Prozent. Doch rund um Vilnius, wo viele Polen leben, sowie in der überwiegen­d russischsp­rachigen Stadt Visaginas bekam Vaitkus mehr als 40 Prozent Zustimmung.

"Leider hat ein Teil unserer Gesellscha­ft - glückliche­rweise nicht die Mehrheit - die politische­n und gesellscha­ftlichen Veränderun­gen der vergangene­n drei Jahrzehnte nicht begriffen und nicht akzeptiert", sagt der Politologe Lauras Bielinis. Nausėda habe sich zum Erfolg von Žemaitaiti­s und Vaitkus bereits positionie­rt: Deren Wähler seien "unsere Bürger" und man müsse sich mit ihnen auseinande­rsetzen. "Genau das ist die Aufgabe des Präsidente­n, mit Menschen zu kommunizie­ren und sie zu überzeugen."

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschu­k

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Bild: Yauhen Yerchak/SOPA Images/picture alliance | Mindaugas Kulbis/AP/picture alliance
In der Stichwahl traten sie gegeneinan­der an: Gitanas Nausėda und Ingrida Šimonytė Bild: Yauhen Yerchak/SOPA Images/picture alliance | Mindaugas Kulbis/AP/picture alliance

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