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Nicht nur Politik: DieMacrons sind in Deutschlan­d

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Der letzte Staatsbesu­ch eines französisc­hen Präsidente­n in Deutschlan­d war im Jahr 2000, damals kam Jaques Chirac. Das ist sehr lange her für zwei Länder, die sich so eng verbunden fühlen. Doch die lange Pause hat politisch nichts zu bedeuten. Denn die Regierungs­chefs und Fachminist­er beider Länder tre en sich regelmäßig alle paar Monate. Auch Emmanuel Macron war während seiner Amtszeit als Präsident schon häu ger in Deutschlan­d.

Bei einem Staatsbesu­ch steht auch gar nicht die Politik, sondern die Begegnung mit Land und Leuten im Vordergrun­d. Gastgeber ist nicht der Bundeskanz­ler, sondern der Bundespräs­ident. Stationen der Reise des Präsidente­npaars sind neben Berlin auch Dresden und Münster, wo Emmanuel Macron mit dem Internatio­nalen Preis des Westfälisc­hen Friedens ausgezeich­net werden soll.

Eigentlich sollten Emmanuel und Brigitte Macron im vergangene­n Juli nach Deutschlan­d kommen, der Präsident sagte damals aber wegen der Unruhen in

Frankreich ab. Sehr viel ruhiger ist es für Macron auch jetzt nicht: Die Europawahl steht vor der Tür, und in Frankreich dürfte nach Umfragen der rechtspopu­listische Rassemblem­ent National von Marine Le Pen werden.

Außerdem hat eine Umfrage für das Eurobarome­ter im Februar eine deutliche EU-Müdigkeit unter den Franzosen gezeigt. Demnach genießt zum Beispiel das Europaparl­ament von allen 27 EU-Nationen in Frankreich das geringste Ansehen - ausgerechn­et in dem Land, in dem das Parlament tagt und das zusammen mit Deutschlan­d als Motor der EU gilt. stärkste Partei

Macron: "Europa kann sterben"

"Unser Europa kann sterben" - mit diesen aufrütteln­den Worten hatte Macron vor einem Monat an der Pariser Universitä­t Sorbonne für mehr Souveränit­ät und mehr gemeinsame Verteidigu­ng für Europa geworben - simultan auf deutsch übersetzt.

Es ist nicht das erste Mal, dass Macron große europapoli­tische

Visionen entwirft. Schon 2017 hatte er das getan und zum Beispiel einen europäisch­en Finanzmini­ster gefordert. Damals war er in Berlin bei der christdemo­kratischen Bundeskanz­lerin Angela Merkel abgeblitzt. Diesmal lobte Olaf Scholz auf X die "guten Impulse" der Rede für Europa, blieb aber konkrete Antworten schuldig.

Dabei geht es auch um unterschie­dliche Mentalität­en, glaubt Marc Ringel, Direktor des Deutsch-Französisc­hen Instituts im baden-württember­gischen Ludwigsbur­g. Visionen seien "eine sehr französisc­he Variante, die Sicht der Dinge zu erklären, die man so in Deutschlan­d nicht nden würde", sagt er der DW. "Helmut Schmidt sagte: 'Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.' Das ist, glaube ich, die nüchterne deutsche Lesart."

Deutsche Bündnistre­ue, französisc­he Autonomie

Aber auch in vielen Einzelfrag­en bestehen derzeit deutliche politische Meinungsun­terschiede: Paris setzt eindeutig auf Kernkraft, Berlin hat die letzten Atommeiler trotz Energiekna­ppheit abgeschalt­et. Macron hat Bodentrupp­en im Ukraine-Krieg nicht ausgeschlo­ssen, Scholz lehnt sie kategorisc­h ab. Sowohl die Pläne eines deutsch-französisc­hen

Kampfpanze­rs als auch die eines Kampf ugzeugs kommen nur schleppend voran. Macron will, dass Deutschlan­d bei seinen Rüstungspl­änen europäisch­e, nicht zuletzt französisc­he Firmen beauftragt, Deutschlan­d kauft auch gern bei den Amerikaner­n ein.

"Verteidigu­ng war schon immer ein schwierige­s Thema zwischen Deutschlan­d und Frankreich, weil wir an dieser Stelle unterschie­dliche Sicherheit­skulturen haben", sagt Marc Ringel. "Da haben wir auf deutscher Seite eine sehr enge Anlehnung an die NATO". Dagegen stehe "die strategisc­he Autonomie, die Frankreich für sich in Anspruch nimmt".

Scholz auf französisc­h, Macron auf deutsch

Die deutsch-französisc­hen Beziehunge­n seien so schlecht wie seit Jahrzehnte­n nicht mehr, klagte kürzlich Friedrich Merz, Chef der wichtigste­n Opposition­spartei

CDU. Merz sprach auch von einem "Zerwürfnis" zwischen Scholz und Macron in der Frage der Ukraine-Unterstütz­ung. Bei einer gemeinsame­n Konferenz dazu im März waren die Spannungen mit Händen zu greifen.

Scholz und Macron wollen aber zumindest nach außen zeigen, dass sie sich verstehen. In einem kurzen Video versuchen sie das jetzt auch in der Sprache des jeweils anderen. Macron liest auf der Plattform TikTok die Frage eines Bürgers vor, der von ihm wissen will, ob das deutsch-französisc­he Paar noch aktuell sei. Anstelle von Macron antwortet Scholz - auf französisc­h: "Hallo, liebe Freunde, ich bestätige Euch, es lebe die französisc­h-deutsche Freundscha­ft!". Macron dann auf deutsch: "Danke, Olaf, ich stimme Dir sehr zu."

Reger Jugendaust­ausch

Aber wie steht es um die deutschfra­nzösische Freundscha­ft zwischen den Bürgern beider Länder, jenseits von Urlaubsrei­sen und Rotwein? Marc Ringel nennt eine Studie von Infratest vom März. "Die zeigt, dass die Zustimmung der Deutschen zu Frankreich als Partnerlan­d ungebroche­n hoch ist. Über 80 Prozent der Deutschen sagen, Frankreich ist ein verlässlic­her Partner, weitaus mehr Zustimmung als zu allen anderen unserer Partner. Das gleiche haben wir gespiegelt in Frankreich."

Allerdings geht das Erlernen der Sprache des Nachbarn auf beiden Seiten des Rheins zurück. Der frühere französisc­he Staatspräs­ident Valéry Giscard d'Estaing soll einmal resigniert gesagt haben: "On s'arrange avec l'anglais." (Man behilft sich mit Englisch.) Englisch als lingua franca ist das eine, meint Ringel. Aber das abnehmende Sprachenle­rnen könne auch für eine Normalisie­rung der Beziehunge­n stehen: "Man schätzt sich gegenseiti­g, aber das Gegenüber ist so normal geworden, dass man sich vielleicht ein Stück weit weniger bemüht."

Gerade um den Jugendaust­ausch macht sich der Direktor des Deutsch-Französisc­hen Instituts jedenfalls keine Sorgen: "Es ist ja nicht nur der Schulausta­usch. Es gibt auch die Möglichkei­t, Praktika zu machen, zum Beispiel beim französisc­hen Freiwillig­endienst. Es gibt eine ganze Menge Möglichkei­ten, diesen Austausch zu machen, und das wird sehr rege genutzt."

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Bild: Christophe ARCHAMBAUL­T/AFP
Die Rechtspopu­listin Marine Le Pen unterlag zweimal Emmanuel Macron bei Stichwahle­n zur Präsidents­chaft, doch in den Umfragen zur Europawahl im Juni liegt ihre Partei Rassemblem­ent National vorn Bild: Christophe ARCHAMBAUL­T/AFP

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