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EU-Außenminis­ter: Spannende US-Wahl und kein Ungarn-Boykott

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Einige Außenminis­terinnen und Außenminis­ter der Europäisch­en Union hatten den Rückzug von US-Präsident Joe Biden aus dem Wahlkampf erwartet, andere hatten darauf geho t. So könnten die Chancen, eine zweite Amtszeit des republikan­ischen Hardliners Donald Trump in den USA noch abzuwenden, vielleicht wieder steigen, mutmaßen EU-Diplomaten in Brüssel.

Dort trafen sich die 27 Ressortche nnen und -chefs zu ihrer regelmäßig­en Sitzung. Nur die

belgische Außenminis­terin Hadja Lahbib äußerte sich klar darüber, wen sie jetzt im Rennen sieht. "Der Rückzug von Biden bedeutet nicht den Sieg für Trump. Ich wünsche, vielleicht, Kamala Harris alles Gute, die jetzt die Führung bei den Demokraten übernehmen wird. Sie ist eine Frau, eine starke Frau", meinte die belgische Ministerin, die im Juni ihre Wahl verloren hat und bald aus dem Amt scheiden wird.

Europa wartet ab

Die übrigen EU-Minister hielten es eher mit der deutschen Bundesregi­erung, die sich vage äußerte. Erst müsse die bisherige Vizepräsid­entin Kamala Harris als Präsidents­chaftskand­idatin der Demokraten nominiert werden. Und dann hätten die amerikanis­chen Wählerinne­n und Wähler das Wort, so eine Regierungs­sprecherin in Berlin.

Der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borrell sagte, es sei nicht die Aufgabe der Europäisch­en Union, den Amerikaner­n jetzt zu sagen, was sie zu tun hätten. Nur soviel: Natürlich habe es "große Auswirkung­en für uns", wer im Weißen Haus lande. Borrell und die meisten anderen Außenminis­ter sähen lieber die US-Demokraten im Weißen Haus als den disruptive­n, russlandfr­eundlichen Donald Trump.

Ansonsten dankten führende Politiker aus ganz Europa dem 81 Jahre alten Joe Biden für sein Engagement, seine Führung und seine "würdige Entscheidu­ng", sich zurückzuzi­ehen. So etwa der spanische Premier Pedro Sanchez

in einer Nachricht auf X. "Eine große Geste von einem großen Präsidente­n, der immer für Demokratie und Freiheit gekämpft hat", schrieb Sanchez.

"Dank seiner ist die transatlan­tische Kooperatio­n eng, die NATO stark und die USA sind ein guter und verlässlic­her Partner für uns", lobte der deutsche Bundeskanz­ler Olaf Scholz seinen "Freund" Joe Biden. Die vielen ähnlich sympathisc­hen Wortmeldun­gen erinnern schon fast an einen Nachruf.

Ungarn legt sich weiter quer

Der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj dankte Joe Biden in Kiew für seine "unerschütt­erliche Unterstütz­ung der Ukraine". Diese und der überpartei­liche Beistand im Kongress seien weiter entscheide­nd, so Selenskyj. Nur ein EU-Regierungs­chef sieht die Ukraine und Bidens Unterstütz­ung für die Abwehr der russischen Aggression völlig anders:

Der ungarische Premier Viktor Orban, derzeit auch Ratspräsid­ent der Europäisch­en Union - ein Ehrenamt, das alle sechs Monate weitergere­icht wird.

Orban hält die amerikanis­che Politik gegenüber Russland und der Ukraine für eine Förderung und Verlängeru­ng des Krieges. "Ich verstehe nicht, warum ich der einzige Regierungs­chef der EU bin, der sich für Frieden einsetzt", hatte er noch letzte Woche beim Gipfeltref­fen der Europäisch­en Politische­n Gemeinscha­ft (EPG) in Blenheim Palace, Großbritan­nien gesagt.

Orban und sein Außenminis­ter Péter Szijjártó machen, ob wohl sie als Ratspräsid­enten ja eigentlich moderieren sollen, den übrigen europäisch­en Staaten schwere Vorwürfe. Die Friedensmi­ssion, die sich Ungarn selbst ausgedacht hat, soll nach Angaben der ungarische­n Ratspräsid­entschaft weitergehe­n. Orban war dazu nach Kiew, Moskau, Peking und Florida gereist. In Mara-Lago in Florida demonstrie­rte der EU-Ratspräsid­ent große Einigkeit mit sowie Unterstütz­ung für den Wahlkämpfe­r Donald Trump. Auch das ist den allermeist­en EUStaaten ein Dorn im Auge. Nur der Innenminis­ter der Slowakei sagte in Budapest, sein Land unterstütz­e die Friedensmi­ssion der ungarische­n Nachbarn.

"Warum ist Orban eigentlich nicht auch noch nach Nordkorea gefahren?", fragte der luxemburgi­sche Außenminis­ter Xavier Bettel scherzhaft. In Nordkorea herrscht der Russland-freundlich­e Diktator Kim Jong Un. Ihn hatte Donald Trump mehrfach getroffen.

Baerbock: Egotrips irritieren

Die deutsche Außenminis­terin Annalena Baerbock kritisiert­e die ungarische EU-Ratspräsid­entschaft in Brüssel beim Ministertr­effen noch einmal scharf: "Es ist nicht verwunderl­ich, dass die Egotrips der letzten Tage große Irritation und Verwunderu­ng auch in anderen Teilen der Welt ausgelöst haben." Ungarn spreche nur für sich, nicht für die EU. Für die sei außenpolit­isch ein

zig und allein der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borrell sprechfähi­g.

Dieser wurde in Brüssel richtig wütend, als er die Äußerungen des ungarische­n Außenminis­ters Peter Szijjarto vor dem Weltsicher­heitsrat in der vergangene­n Woche in New York kritisiert­e. Der Ungar, so Borrell, habe den Eindruck vermittelt, die Europäisch­e Union wolle den Krieg in der Ukraine. "Das ist völlig inakzeptab­el!", so Borrell.

Szijjarto hatte in New York gesagt, es sei "nicht nur inakzeptab­el, sondern skandalös, dass ein Land (Ungarn), das sich für eine diplomatis­che Lösung einsetze, ausgegrenz­t und stigmatisi­ert wird."

Ungarn streitet mit der Ukraine

Ungarns Ressortche­f brach beim Außerminis­tertreffen dann gleich noch die nächste Fehde vom Zaun. Szijjarto warf der von Russland angegriffe­nen Ukraine vor, sie verhindere Lieferunge­n der russischen Öl rma "Lukoil" nach Ungarn. Die Ukraine bestreitet das.

Ungarn verlangt jetzt von der EU-Kommission, ein förmliches Verfahren gegen die Ukraine zu erö nen. Die Behörde habe drei Tage Zeit zu reagieren, teilte Szijjarto in Brüssel mit. Als Druckmitte­l brachte er die Lieferunge­n von elektrisch­em Strom aus der EU in die Ukraine ins Spiel. Die Ukraine ist dringend auf diese Stromimpor­te angewiesen, die über ungarische Hochspannu­ngsleitung­en laufen. Schließlic­h habe Russland mittlerwei­le 70 Prozent der Kraftwerke in der Ukraine zerstört, wie der EU-Außenbeauf­tragte Borrell sagte. Allein die Slowakei schloss sich dem ungarische­n Begehren an.

Geräuschlo­s ging dagegen die Verlängeru­ng der EU-Sanktionen gegen den Aggressor Russland um ein weiteres halbes Jahr vonstatten. Weder Ungarn noch ein anderes Land legten bei der Abstimmung im Ministerra­t ein Veto ein. Ungarn blockiert jedoch weiter die Auszahlung von 6,2 Milliarden Euro zur Bewa nung der Ukraine aus einem speziellem EUFonds.

Kein Boykott der ungarische­n Präsidents­chaft

Trotz allem Ärger über die Ungarn und ihr außergewöh­nliches Verständni­s einer EU-Ratspräsid­entschaft gelang es den übrigen 26 Staaten nicht, in dieser Sache gemeinsame Schritte zu vereinbare­n. So wird es einen of ziellen Boykott der informelle­n Ministerta­gungen in Ungarn nicht geben. Es ist den Mitgliedss­taaten selbst überlassen, wie sie reagieren. Zum Rat der Innenminis­ter ist zum Beispiel die deutsche Ressortche n nicht angereist, wohl aber der österreich­ische Kollege. Auch Luxemburg will weiter Minister zu den Treffen in Ungarn schicken.

Der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borrell entschied lediglich, dass der Ende August anstehende informelle Rat der Außen- und Verteidigu­ngsministe­r nicht in Budapest, sondern in Brüssel statt nden wird. "Das ist nur ein Symbol", räumte Josep Borrell ein, "aber etwas mussten wir machen."

Der luxemburgi­sche Außenminis­ter Xavier Bettel nannte die Diskussion um die Tagungsort­e "Schwachsin­n". Irgendwann werde man sich sowieso treffen müssen. Ein offenes, hartes Wort hinter verschloss­enen Türen an die Adresse der Ungarn sei wirkungsvo­ller.

Die EU-Kommission hatte anders als die Mitgliedss­taaten schon vorige Woche beschlosse­n, keine EU-Kommissare nach Ungarn zu schicken. Es wird eine Art Bummelstre­ik mit Vertretung nur auf Beamtenebe­ne geben.

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Bild: Sven Hoppe/REUTERS Keine Unbekannte in Europa: Kamala Harris war oft bei der Münchner Sicherheit­skonferenz, hier 2022 mit Kanzler Scholz

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