FÜHREN STATT FOLGEN
Künstliche Intelligenz (KI) ist kein Zukunftsthema. Die Weichen für den produktiven Einsatz von intelligenten Algorithmen in Unternehmen werden jetzt gestellt. Noch passiert dies maßgeblich durch Technologieunternehmen aus den USA und China. Dabei ist Deutschlands Ausgangsposition als Wirtschaftsstandort prädestiniert für die Führungsrolle bei industriellen Ki-anwendungen eigentlich.
Deutschland hat zurzeit noch alle Möglichkeiten, durch den Einsatz von KI seine Führungsrolle als Wirtschaftsnation zur erhalten. Das große „Aber“lautet: Unerlässlich dazu ist eine klare Spezialisierung und Abgrenzung zu den generalistischen Konsumentenplattformen wie Google und Amazon. Die große Chance hierzu liegt im Bereich der produzierenden Industrie mit zahlreichen weltmarktführenden Herstellern. Vor allem Mittelständler können schnell durch den Einsatz von KI profitieren, wie erste Beispiele bereits belegen. Dazu müssen sie indes einige grundlegende Leitlinien im Umgang mit Daten und Ki-systemen beachten:
Vereinfacht gesagt, ist KI die Kombination aus drei Elementen: Einer validen und klar definierten Fragestellung, geeigneten Datensätzen und einem algorithmischen Modell, welches die Fragestellung in prozessierbare Analyse- bzw. Berechnungsschritte übersetzt. Das Resultat ist ein datengestützter Lösungsvorschlag mit entsprechender Wahrscheinlichkeit über die Zuverlässigkeit und Generalisierbarkeit der Aussage.
KI ist nicht beschränkt auf die Anwendung moderner neuronaler Netze, die auf extrem leistungsfähigen Prozessoren mit hohen Datenmengen betrieben werden müssen. Die Technologie umfasst auch Optimierungsverfahren und Klassifizierungsalgorithmen, die bereits seit Jahren Teil der Arbeitswelt sind.
Unmittelbar verbunden, ist der Bereich Business Intelligence, mit dem wichtigen Unterschied, dass die Übersetzung in Entscheidungen unmittelbarer erfolgt, d.h. entweder vollautomatisiert oder nah an Echtzeit.
Die Intelligenz liegt oft nicht in den Algorithmen selbst, sondern resultiert aus präzisen Fragestellungen sowie passender und qualitativ hochwertiger Datensätze. Der Algorithmus ist lediglich die Übersetzung in die Ausführung. Hierbei bedarf es allerdings hoher Fachkompetenz der zuständigen Data Scientists und Data Engineers, diese Übersetzung zwischen strategischer Geschäftsperspektive und mathematischer Prozessierung zu leisten.
DER MONETÄRE EINFLUSS VON KI AUF DAS PRODUZIERENDE GEWERBE
Im Rahmen einer umfassenden Analyse des deutschen Marktes hat sich die Firma Appanion Labs mit der Frage befasst, welch wesentlichen Einfluss künstliche Intelligenz heute und zukünftig auf unterschiedliche Wirtschaftszweige ausüben könnte, wenn die Unternehmen sie umfassend einsetzen würden. In 2019 werden bereits 218 Milliarden Euro der deutschen Wirtschaft durch KI beeinflusst. Dies entspricht rund drei Prozent der gesamten Unternehmensumsätze. Für 2030 wird erwartet, dass sich dieser Wert auf ca. zwei Billionen Euro oder 28 Prozent aller Umsätze in Deutschland nahe verzehnfachen könnte.
Betrachtet werden sowohl Neuumsätze aus innovativen Produkten und Services, als auch bestehende Umsätze, die durch Automatisierung und datenbasierte Entscheidungsunterstützung beeinflusst werden. Unterschieden wird zudem zwischen modernen Machine Learning Methoden auf der Basis von neuronalen Netzen und dem Bereich „Advanced Analytics“, welches traditionelle Formen und datenwissenschaftliche Methoden wie beispielsweise Entscheidungsbäume umfasst.
Interessant ist, dass rund 57 Prozent des Ki-einflusses in 2030 aus dem Bereich des produzierenden Gewerbes erwartet wird. Der höchste Anteil der Ki-umsätze entfällt mit 22 Prozent auf die Automobilproduktion, gefolgt von der Konsumgüterproduktion und dem Maschinenbau. Mit deutlichem Abstand folgen Branchen wie der Einzelhandel, Medien oder Telekommunikation.
CHANCEN UND HERAUSFORDERUNGEN DURCH KI
Der Wettbewerb um die Technologieführerschaft im Ki-bereich ist enorm. Us-unternehmen wie Amazon oder Google haben bereits große Teile ihres Leistungsangebots auf künstlicher Intelligenz aufgebaut, wel
3 % der gesamten Unternehmensumsätze werden 2019 schon durch KI beeinflusst 30 % könnten es 2030 sein
che Preise optimiert, Produkte empfiehlt oder Kundenverhalten voraussagt. China holt mit massiven Investitionen und staatlicher Unterstützung im Bereich Data-policy in enormem Tempo auf.
Künstliche Intelligenz erzielt den höchsten Wert nicht aus innovativen Bestellservices über Alexa oder Empfehlungen der nächsten Netflix-serie, sondern aus der Automatisierung und Verbesserung bereits bestehender Wertschöpfung. Dennoch sind diese technologischen Innovationen wichtig für die breite Adaption und tragen dazu bei, dass die Technologie eine höhere Akzeptanz erreicht und robuster wird.
Deutschland hat einen enormen Wettbewerbsvorteil. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es so viele hochspezialisierte, komplexe und wissensintensive Produktionsprozesse, die weltweit führende Produkte hervorbringen. KI wird dazu beitragen, an vielen Stellen den bereits hohen Automatisierungsgrad auszubauen, Risiken zu minimieren, Handlungsgeschwindigkeit zu erhöhen und Effizienz und Präzision in Produkten und Dienstleistungen zu verbessern. Schätzungen zufolge sind etwa 80 Prozent der Produktionsdaten heutzutage ungenutzt, sofern sie überhaupt strukturiert erfasst werden.
Das Expertenwissen der deutschen Industrie ist ein ebenso entscheidender Faktor wie die technologische Kompetenz im Bereich KI, um erfolgreiche Anwendungen zu entwickeln. Den Vorsprung, den sich Us-unternehmen infrastrukturell erarbeitet haben, bietet ihnen die Möglichkeit auch Branchen zu erobern, in denen die Anbieterauswahl preisorientiert mit austauschbaren Waren und Dienstleistungen erfolgt – wie beispielsweise im klassischen Handel oder der Logistik und im Transport. Nur sehr schwierig austauschbar hingegen ist die jahrzehntelange Erfahrung im Bereich komplexer Maschinen- und Anlagenfertigung, Wartung und Programmierung. Hier liegt für Deutschland eine große Chance, die Führung zu übernehmen statt den Us-firmen nur zu folgen.
KONKRETE MASSNAHMEN, UM WERT AUS
KI ZU ERZIELEN
Von künstlicher Intelligenz zu profitieren bedeutet, angstfrei bestehende Prozesse zu hinterfragen. Dies fällt Unternehmen insbesondere dann schwer, wenn aktuelle Abläufe eingespielt sind, oder Einzelpersonen ihre bisherige Rolle durch Veränderung in Gefahr sehen. Datengesteuert arbeiten heißt nicht, ohne Menschen zu arbeiten, sondern Kollaboration zwischen Menschen und Software bzw. Maschinen zu ermöglichen. Konkret bedeutet dies, dass der wirksame Einsatz von KI drei Kernaspekte berücksichtigen sollte:
KI ist kein It-thema. Es benötigt Top-level Management Unterstützung, um Prozesse anzupassen und Unsicherheiten im Unternehmen zu minimieren. Weiterhin müssen Bewertungsmethoden zur Festlegung von Entwicklungs- und Testbudgets angepasst werden. Häufig liegt der Fokus eindimensional auf Neugeschäft oder Kostensenkung. KI einzusetzen, bedeutet jedoch, Prozesse zu transformieren, um nachhaltig davon zu profitieren.
Unternehmen brauchen eine Datenstrategie. Ein wesentliches Ergebnis daraus ist die Identifikation, an welcher Stelle im Unternehmen der Einsatz von künstlicher Intelligenz besonders lohnenswert ist. Zunächst muss transparent gemacht werden, wie die bisherige Wertschöpfung auf unterschiedliche Unternehmensfunktionen wie Marketing, Vertrieb oder Produktion in der Organisation verteilt ist und wie sich diese Struktur
durch externe Einflüsse oder die eigene Strategie zukünftig verändern wird. In einem zweiten Schritt muss eine komplementäre „Landkarte“für die vorhandenen Datenbestände in den jeweiligen Unternehmensfunktionen erstellt werden. Zu berücksichtigen sind das Volumen, die Datenqualität und die kontextuelle Verknüpfung dieser Datenbestände. KI dort einzusetzen, wo viele Daten vorhanden sind, aber kaum Wertschöpfung stattfindet, ergibt im ersten Schritt ebenso wenig Sinn wie der Versuch in wertschöpfungsstarken Bereichen Projekte zu initiieren, ohne über geeignete Datenbestände zu verfügen.
Umsetzungsprozesse laufen nicht linear ab. Sie setzen die iterative und engen Zusammenarbeit aus Fachbereich und technischen Experten voraus. Prototypen zur Validierung von geeigneten Datenressourcen und passenden Algorithmen können dabei der Schlüssel für die erfolgreiche Anwendungsentwicklung sein. Cross-funktionale Teams, schnelle Zwischenergebnisse und organisatorische Wertschätzung auch entsprechende Abbruchpunkte in einem Projekt als Lernerfolg wahrzunehmen, sind hierfür notwendige Organisationsmerkmale. Dies fördert ebenso ein modernes Arbeitsklima, um die besten Talente für das eigene Unternehmen anzuziehen.
ERFOLGSBEISPIELE
AUS DER INDUSTRIE UND START-UP-LANDSCHAFT
Obwohl künstliche Intelligenz bereits oft als Buzzword in Produkt- und Unternehmensbeschreibungen eingesetzt wird, befindet sich der Markt noch in einer sehr frühen Phase. Großunternehmen wie BMW, Bosch und Siemens investieren hohe Beträge in die Technologie, aber auch zahlreiche Familienunternehmen setzen bereits KI ein.
Für die international agierende Wacker Chemie AG ist das Thema Predicitive Maintenance von sehr hoher Bedeutung. Das Unternehmen gibt jährlich dreistellige Millionenbeträge für die Wartung und Instandhaltung ihrer Anlagen aus. Datenbasiert wird hier schon lange gearbeitet, allerdings bieten moderne Machine Learning Methoden die Möglichkeit, Muster und Zusammenhänge noch besser zu erkennen und Voraussagen zu treffen, wann kritische Situationen auftreten können. Als Übertragungs- und Netzwerktechnikspezialist für die Industrie beschäftigt sich auch die Harting Technologiegruppe mit den steigenden Anforderungen im Kontext der Datennutzung ihrer Kunden. Neue und teil-automatisierte Service-geschäftsmodelle im Bereich Monitoring oder Maintenance bieten Potenziale, verändern jedoch auch die Wertschöpfung im bisherigen Hardwaregeschäft. Mit dem MICA. network versucht das Unternehmen aktiv den steigenden Bedarf nach Industriedaten und deren intelligenter Verwertung gerecht zu werden.
Der Batteriehersteller VARTA konnte beispielsweise durch die Optimierung der optischen Qualitätskontrolle den Pseudo-ausschuss in der Produktion signifikant senken. Für Intralogistik-spezialisten wie SSI Schäfer verändert das Thema künstliche Intelligenz auch das Kerngeschäft. Transparenz und Verknüpfung von Daten entlang der Supply Chain sind genau wie autonome Transportsysteme ein enormer Hebel zur Steigerung der Effizienz und müssen entsprechend in den bestehenden Lösungen aus Software und Logistik-handling-systemen berücksichtigt werden.
Die e-commerce Plattform Zalando automatisiert und optimiert Marketingausgaben und Attribution mithilfe von künstlicher Intelligenz. Auch in der Produkt-discovery setzt der Modehändler auf den „Algorithmic Fashion Companion“- ein Produktempfehlungsalgorithmus basierend auf spezifischen Vorlieben und vorangegangenen Käufen. Im steigenden Wettbewerb und bei Retourenquoten von teilweise 50% im Modehandel ein wichtiges Instrument in der Kundengewinnung und um Kosten zu reduzieren. Mitbewerber OTTO entwickelt mit Blick auf die Ausfallkosten eines großen Handelsunternehmens an einer eigenen Lösung zur Betrugserkennung im Online Shopping. Knapp 200 deutsche Start-ups haben sich die Entwicklung intelligenter Services ebenfalls auf die Fahne geschrieben. Micropsi industries fokussiert sich auf Robotersteuerung in der Industrie, Konux ist Spezialist für Predictive Maintenance und German Autolabs baut einen Sprachassistenten für das vernetzte Fahrzeug. Das Hamburger Unternehmen Cargonexx setzt auf künstliche Intelligenz in
Künstliche Intelligenz erzielt den höchsten Wert nicht aus innovativen Bestellservices über Alexa oder Empfehlungen der nächsten Netflix-serie, sondern aus der Automatisierung und Verbesserung bereits bestehender Wertschöpfung.
der Lkw-logistik und bietet Spediteuren den Vorteil, Leerfahrten Algorithmen-basiert zu minimieren. Ein neuronales Netz lernt dabei aus Preis-, Kapazitäts-, Routenund Verkehrsdaten in Echtzeit und optimiert die Zuteilung von Neuaufträgen für die aktiven Speditionsunternehmen gemäß der derzeitigen Tourenplanung.
Der Zufluss von Venture Capital in die Branche ist vielversprechend, wenn auch auf deutlich niedrigerem Niveau als in China oder den USA. Welches Unternehmen am Ende am meisten von künstlicher Intelligenz profitieren wird, hängt stark davon ab, wer frühzeitig startet und bereit ist, auch Investitionen in die neue Technologie zu tragen. Der Wirtschaftsstandort Deutschland bietet bei entsprechender Umsetzungsbereitschaft allerdings ein hohes Potenzial für eine enorme Wertschöpfung.