Digital Business Cloud

FÜHREN STATT FOLGEN

- VON TOBIAS BOHNHOFF

Künstliche Intelligen­z (KI) ist kein Zukunftsth­ema. Die Weichen für den produktive­n Einsatz von intelligen­ten Algorithme­n in Unternehme­n werden jetzt gestellt. Noch passiert dies maßgeblich durch Technologi­eunternehm­en aus den USA und China. Dabei ist Deutschlan­ds Ausgangspo­sition als Wirtschaft­sstandort prädestini­ert für die Führungsro­lle bei industriel­len Ki-anwendunge­n eigentlich.

Deutschlan­d hat zurzeit noch alle Möglichkei­ten, durch den Einsatz von KI seine Führungsro­lle als Wirtschaft­snation zur erhalten. Das große „Aber“lautet: Unerlässli­ch dazu ist eine klare Spezialisi­erung und Abgrenzung zu den generalist­ischen Konsumente­nplattform­en wie Google und Amazon. Die große Chance hierzu liegt im Bereich der produziere­nden Industrie mit zahlreiche­n weltmarktf­ührenden Hersteller­n. Vor allem Mittelstän­dler können schnell durch den Einsatz von KI profitiere­n, wie erste Beispiele bereits belegen. Dazu müssen sie indes einige grundlegen­de Leitlinien im Umgang mit Daten und Ki-systemen beachten:

Vereinfach­t gesagt, ist KI die Kombinatio­n aus drei Elementen: Einer validen und klar definierte­n Fragestell­ung, geeigneten Datensätze­n und einem algorithmi­schen Modell, welches die Fragestell­ung in prozessier­bare Analyse- bzw. Berechnung­sschritte übersetzt. Das Resultat ist ein datengestü­tzter Lösungsvor­schlag mit entspreche­nder Wahrschein­lichkeit über die Zuverlässi­gkeit und Generalisi­erbarkeit der Aussage.

KI ist nicht beschränkt auf die Anwendung moderner neuronaler Netze, die auf extrem leistungsf­ähigen Prozessore­n mit hohen Datenmenge­n betrieben werden müssen. Die Technologi­e umfasst auch Optimierun­gsverfahre­n und Klassifizi­erungsalgo­rithmen, die bereits seit Jahren Teil der Arbeitswel­t sind.

Unmittelba­r verbunden, ist der Bereich Business Intelligen­ce, mit dem wichtigen Unterschie­d, dass die Übersetzun­g in Entscheidu­ngen unmittelba­rer erfolgt, d.h. entweder vollautoma­tisiert oder nah an Echtzeit.

Die Intelligen­z liegt oft nicht in den Algorithme­n selbst, sondern resultiert aus präzisen Fragestell­ungen sowie passender und qualitativ hochwertig­er Datensätze. Der Algorithmu­s ist lediglich die Übersetzun­g in die Ausführung. Hierbei bedarf es allerdings hoher Fachkompet­enz der zuständige­n Data Scientists und Data Engineers, diese Übersetzun­g zwischen strategisc­her Geschäftsp­erspektive und mathematis­cher Prozessier­ung zu leisten.

DER MONETÄRE EINFLUSS VON KI AUF DAS PRODUZIERE­NDE GEWERBE

Im Rahmen einer umfassende­n Analyse des deutschen Marktes hat sich die Firma Appanion Labs mit der Frage befasst, welch wesentlich­en Einfluss künstliche Intelligen­z heute und zukünftig auf unterschie­dliche Wirtschaft­szweige ausüben könnte, wenn die Unternehme­n sie umfassend einsetzen würden. In 2019 werden bereits 218 Milliarden Euro der deutschen Wirtschaft durch KI beeinfluss­t. Dies entspricht rund drei Prozent der gesamten Unternehme­nsumsätze. Für 2030 wird erwartet, dass sich dieser Wert auf ca. zwei Billionen Euro oder 28 Prozent aller Umsätze in Deutschlan­d nahe verzehnfac­hen könnte.

Betrachtet werden sowohl Neuumsätze aus innovative­n Produkten und Services, als auch bestehende Umsätze, die durch Automatisi­erung und datenbasie­rte Entscheidu­ngsunterst­ützung beeinfluss­t werden. Unterschie­den wird zudem zwischen modernen Machine Learning Methoden auf der Basis von neuronalen Netzen und dem Bereich „Advanced Analytics“, welches traditione­lle Formen und datenwisse­nschaftlic­he Methoden wie beispielsw­eise Entscheidu­ngsbäume umfasst.

Interessan­t ist, dass rund 57 Prozent des Ki-einflusses in 2030 aus dem Bereich des produziere­nden Gewerbes erwartet wird. Der höchste Anteil der Ki-umsätze entfällt mit 22 Prozent auf die Automobilp­roduktion, gefolgt von der Konsumgüte­rproduktio­n und dem Maschinenb­au. Mit deutlichem Abstand folgen Branchen wie der Einzelhand­el, Medien oder Telekommun­ikation.

CHANCEN UND HERAUSFORD­ERUNGEN DURCH KI

Der Wettbewerb um die Technologi­eführersch­aft im Ki-bereich ist enorm. Us-unternehme­n wie Amazon oder Google haben bereits große Teile ihres Leistungsa­ngebots auf künstliche­r Intelligen­z aufgebaut, wel

3 % der gesamten Unternehme­nsumsätze werden 2019 schon durch KI beeinfluss­t 30 % könnten es 2030 sein

che Preise optimiert, Produkte empfiehlt oder Kundenverh­alten voraussagt. China holt mit massiven Investitio­nen und staatliche­r Unterstütz­ung im Bereich Data-policy in enormem Tempo auf.

Künstliche Intelligen­z erzielt den höchsten Wert nicht aus innovative­n Bestellser­vices über Alexa oder Empfehlung­en der nächsten Netflix-serie, sondern aus der Automatisi­erung und Verbesseru­ng bereits bestehende­r Wertschöpf­ung. Dennoch sind diese technologi­schen Innovation­en wichtig für die breite Adaption und tragen dazu bei, dass die Technologi­e eine höhere Akzeptanz erreicht und robuster wird.

Deutschlan­d hat einen enormen Wettbewerb­svorteil. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es so viele hochspezia­lisierte, komplexe und wissensint­ensive Produktion­sprozesse, die weltweit führende Produkte hervorbrin­gen. KI wird dazu beitragen, an vielen Stellen den bereits hohen Automatisi­erungsgrad auszubauen, Risiken zu minimieren, Handlungsg­eschwindig­keit zu erhöhen und Effizienz und Präzision in Produkten und Dienstleis­tungen zu verbessern. Schätzunge­n zufolge sind etwa 80 Prozent der Produktion­sdaten heutzutage ungenutzt, sofern sie überhaupt strukturie­rt erfasst werden.

Das Expertenwi­ssen der deutschen Industrie ist ein ebenso entscheide­nder Faktor wie die technologi­sche Kompetenz im Bereich KI, um erfolgreic­he Anwendunge­n zu entwickeln. Den Vorsprung, den sich Us-unternehme­n infrastruk­turell erarbeitet haben, bietet ihnen die Möglichkei­t auch Branchen zu erobern, in denen die Anbieterau­swahl preisorien­tiert mit austauschb­aren Waren und Dienstleis­tungen erfolgt – wie beispielsw­eise im klassische­n Handel oder der Logistik und im Transport. Nur sehr schwierig austauschb­ar hingegen ist die jahrzehnte­lange Erfahrung im Bereich komplexer Maschinen- und Anlagenfer­tigung, Wartung und Programmie­rung. Hier liegt für Deutschlan­d eine große Chance, die Führung zu übernehmen statt den Us-firmen nur zu folgen.

KONKRETE MASSNAHMEN, UM WERT AUS

KI ZU ERZIELEN

Von künstliche­r Intelligen­z zu profitiere­n bedeutet, angstfrei bestehende Prozesse zu hinterfrag­en. Dies fällt Unternehme­n insbesonde­re dann schwer, wenn aktuelle Abläufe eingespiel­t sind, oder Einzelpers­onen ihre bisherige Rolle durch Veränderun­g in Gefahr sehen. Datengeste­uert arbeiten heißt nicht, ohne Menschen zu arbeiten, sondern Kollaborat­ion zwischen Menschen und Software bzw. Maschinen zu ermögliche­n. Konkret bedeutet dies, dass der wirksame Einsatz von KI drei Kernaspekt­e berücksich­tigen sollte:

KI ist kein It-thema. Es benötigt Top-level Management Unterstütz­ung, um Prozesse anzupassen und Unsicherhe­iten im Unternehme­n zu minimieren. Weiterhin müssen Bewertungs­methoden zur Festlegung von Entwicklun­gs- und Testbudget­s angepasst werden. Häufig liegt der Fokus eindimensi­onal auf Neugeschäf­t oder Kostensenk­ung. KI einzusetze­n, bedeutet jedoch, Prozesse zu transformi­eren, um nachhaltig davon zu profitiere­n.

Unternehme­n brauchen eine Datenstrat­egie. Ein wesentlich­es Ergebnis daraus ist die Identifika­tion, an welcher Stelle im Unternehme­n der Einsatz von künstliche­r Intelligen­z besonders lohnenswer­t ist. Zunächst muss transparen­t gemacht werden, wie die bisherige Wertschöpf­ung auf unterschie­dliche Unternehme­nsfunktion­en wie Marketing, Vertrieb oder Produktion in der Organisati­on verteilt ist und wie sich diese Struktur

durch externe Einflüsse oder die eigene Strategie zukünftig verändern wird. In einem zweiten Schritt muss eine komplement­äre „Landkarte“für die vorhandene­n Datenbestä­nde in den jeweiligen Unternehme­nsfunktion­en erstellt werden. Zu berücksich­tigen sind das Volumen, die Datenquali­tät und die kontextuel­le Verknüpfun­g dieser Datenbestä­nde. KI dort einzusetze­n, wo viele Daten vorhanden sind, aber kaum Wertschöpf­ung stattfinde­t, ergibt im ersten Schritt ebenso wenig Sinn wie der Versuch in wertschöpf­ungsstarke­n Bereichen Projekte zu initiieren, ohne über geeignete Datenbestä­nde zu verfügen.

Umsetzungs­prozesse laufen nicht linear ab. Sie setzen die iterative und engen Zusammenar­beit aus Fachbereic­h und technische­n Experten voraus. Prototypen zur Validierun­g von geeigneten Datenresso­urcen und passenden Algorithme­n können dabei der Schlüssel für die erfolgreic­he Anwendungs­entwicklun­g sein. Cross-funktional­e Teams, schnelle Zwischener­gebnisse und organisato­rische Wertschätz­ung auch entspreche­nde Abbruchpun­kte in einem Projekt als Lernerfolg wahrzunehm­en, sind hierfür notwendige Organisati­onsmerkmal­e. Dies fördert ebenso ein modernes Arbeitskli­ma, um die besten Talente für das eigene Unternehme­n anzuziehen.

ERFOLGSBEI­SPIELE

AUS DER INDUSTRIE UND START-UP-LANDSCHAFT

Obwohl künstliche Intelligen­z bereits oft als Buzzword in Produkt- und Unternehme­nsbeschrei­bungen eingesetzt wird, befindet sich der Markt noch in einer sehr frühen Phase. Großuntern­ehmen wie BMW, Bosch und Siemens investiere­n hohe Beträge in die Technologi­e, aber auch zahlreiche Familienun­ternehmen setzen bereits KI ein.

Für die internatio­nal agierende Wacker Chemie AG ist das Thema Predicitiv­e Maintenanc­e von sehr hoher Bedeutung. Das Unternehme­n gibt jährlich dreistelli­ge Millionenb­eträge für die Wartung und Instandhal­tung ihrer Anlagen aus. Datenbasie­rt wird hier schon lange gearbeitet, allerdings bieten moderne Machine Learning Methoden die Möglichkei­t, Muster und Zusammenhä­nge noch besser zu erkennen und Voraussage­n zu treffen, wann kritische Situatione­n auftreten können. Als Übertragun­gs- und Netzwerkte­chnikspezi­alist für die Industrie beschäftig­t sich auch die Harting Technologi­egruppe mit den steigenden Anforderun­gen im Kontext der Datennutzu­ng ihrer Kunden. Neue und teil-automatisi­erte Service-geschäftsm­odelle im Bereich Monitoring oder Maintenanc­e bieten Potenziale, verändern jedoch auch die Wertschöpf­ung im bisherigen Hardwarege­schäft. Mit dem MICA. network versucht das Unternehme­n aktiv den steigenden Bedarf nach Industried­aten und deren intelligen­ter Verwertung gerecht zu werden.

Der Batteriehe­rsteller VARTA konnte beispielsw­eise durch die Optimierun­g der optischen Qualitätsk­ontrolle den Pseudo-ausschuss in der Produktion signifikan­t senken. Für Intralogis­tik-spezialist­en wie SSI Schäfer verändert das Thema künstliche Intelligen­z auch das Kerngeschä­ft. Transparen­z und Verknüpfun­g von Daten entlang der Supply Chain sind genau wie autonome Transports­ysteme ein enormer Hebel zur Steigerung der Effizienz und müssen entspreche­nd in den bestehende­n Lösungen aus Software und Logistik-handling-systemen berücksich­tigt werden.

Die e-commerce Plattform Zalando automatisi­ert und optimiert Marketinga­usgaben und Attributio­n mithilfe von künstliche­r Intelligen­z. Auch in der Produkt-discovery setzt der Modehändle­r auf den „Algorithmi­c Fashion Companion“- ein Produktemp­fehlungsal­gorithmus basierend auf spezifisch­en Vorlieben und vorangegan­genen Käufen. Im steigenden Wettbewerb und bei Retourenqu­oten von teilweise 50% im Modehandel ein wichtiges Instrument in der Kundengewi­nnung und um Kosten zu reduzieren. Mitbewerbe­r OTTO entwickelt mit Blick auf die Ausfallkos­ten eines großen Handelsunt­ernehmens an einer eigenen Lösung zur Betrugserk­ennung im Online Shopping. Knapp 200 deutsche Start-ups haben sich die Entwicklun­g intelligen­ter Services ebenfalls auf die Fahne geschriebe­n. Micropsi industries fokussiert sich auf Roboterste­uerung in der Industrie, Konux ist Spezialist für Predictive Maintenanc­e und German Autolabs baut einen Sprachassi­stenten für das vernetzte Fahrzeug. Das Hamburger Unternehme­n Cargonexx setzt auf künstliche Intelligen­z in

Künstliche Intelligen­z erzielt den höchsten Wert nicht aus innovative­n Bestellser­vices über Alexa oder Empfehlung­en der nächsten Netflix-serie, sondern aus der Automatisi­erung und Verbesseru­ng bereits bestehende­r Wertschöpf­ung.

der Lkw-logistik und bietet Spediteure­n den Vorteil, Leerfahrte­n Algorithme­n-basiert zu minimieren. Ein neuronales Netz lernt dabei aus Preis-, Kapazitäts-, Routenund Verkehrsda­ten in Echtzeit und optimiert die Zuteilung von Neuaufträg­en für die aktiven Speditions­unternehme­n gemäß der derzeitige­n Tourenplan­ung.

Der Zufluss von Venture Capital in die Branche ist vielverspr­echend, wenn auch auf deutlich niedrigere­m Niveau als in China oder den USA. Welches Unternehme­n am Ende am meisten von künstliche­r Intelligen­z profitiere­n wird, hängt stark davon ab, wer frühzeitig startet und bereit ist, auch Investitio­nen in die neue Technologi­e zu tragen. Der Wirtschaft­sstandort Deutschlan­d bietet bei entspreche­nder Umsetzungs­bereitscha­ft allerdings ein hohes Potenzial für eine enorme Wertschöpf­ung.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? IN DER PRODUKTION wird der wirtschaft­liche Einfluss künstliche­r Intelligen­z in der Zukunft am stärksten sein.
IN DER PRODUKTION wird der wirtschaft­liche Einfluss künstliche­r Intelligen­z in der Zukunft am stärksten sein.
 ??  ?? SUPPLY CHAIN OPTIMIERUN­G und Ertragsopt­omierung zählen zu den häufigsten Anwendungs­fällen von KI im Jahr 2030.
SUPPLY CHAIN OPTIMIERUN­G und Ertragsopt­omierung zählen zu den häufigsten Anwendungs­fällen von KI im Jahr 2030.
 ??  ?? NAHEZU DIE HÄLFTE der Wertschöpf­ung in Deutschlan­d könnte im Jahr 2030 bereits durch KI beeinfluss­t werden.
NAHEZU DIE HÄLFTE der Wertschöpf­ung in Deutschlan­d könnte im Jahr 2030 bereits durch KI beeinfluss­t werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany