VON DER IDEE ZUR INNOVATION
Unternehmen, die neue Geschäftsmodelle entwickeln wollen, brauchen weit mehr als kreative Ansätze. Die Praxis zeigt: Strategie, Struktur und die Offenheit, völlig neue Wege zu gehen, sind die wesentlichen Voraussetzungen. Beim richtigen Vorgehen kann am Ende sogar das Bestandsgeschäft profitieren.
Es ist immer mehr die Königsdisziplin in Unternehmen: Die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle auf der Basis digitaler Technologien. Nicht von ungefähr, denn auf dem Weg dorthin müssen sich Unternehmen zahlreichen Herausforderungen stellen, an deren Bewältigung sich gerade Organisationen mit tradierten Strukturen und Denkweisen die Zähne ausbeißen. Bevor ich hier über Lösungen spreche, möchte ich zunächst zum besseren Verständnis einige dieser Herausforderungen skizzieren.
Bei der Suche nach neuen Geschäftsmodellen kommt es zu allererst darauf an, ein strukturiertes und Strategie-geleitetes Vorgehen zu entwickeln. Damit wird verhindert, unverhältnismäßig viel Zeit und Ressourcen in ad-hoc und Zufalls-ideen zu investieren, bei denen sich am Ende herausstellt, dass sie überhaupt nicht ausreichend Geschäftspotential bieten. Damit einher geht, es sich nicht zu einfach zu machen, indem man neue Geschäftsansätze identifiziert, die zu nahe am bisherigen Geschäftsmodell angesiedelt sind. Die dazu vorliegenden
Studien zeigen allesamt, dass etablierte Unternehmen sich schwertun, gerade disruptive Ansätze für neue Geschäftsmodelle zu innovieren, wobei aber gerade diese ein hohes Erfolgspotenzial bieten.
Zusätzlich besteht eine weitere Gefahr, nämlich, dass die einmal identifizierten Geschäftsmodelle durch lange Prozesse bei der konzeptionellen und technischen Entwicklung sowie der Entscheidungsfindung durch die bestehenden Strukturen „zermürbt“werden und letztlich dann gar keine Marktfähigkeit erlangen.
EIN IDEALTYPISCHER ANSATZ
Wie lassen sich diese Gefahren und Herausforderungen nun meistern? Nach meiner praktischen Erfahrung in der Regel am besten durch folgende Vorgehensweise: Ausgehend von Markt-, Trend- und Kundenentwicklungen werden mögliche Zielsegmente für die Business Model Innovation definiert. Mögliche künftige Zielsegmente werden dabei bewusst auch außerhalb der bestehenden Branche und Märkte angeschaut und entsprechend analysiert. Anschließend werden die auf diese Weise rausgesiebten Zielsegmente bezüglich Marktpotential, Wettbewerbssituation, eigener relativer Stärke und Synergie zum Bestandsgeschäft bewertet und die künftigen Suchfelder priorisiert.
Am Beispiel eines Händlers könnten neue Geschäftsmodelle aus angrenzenden Märkten beispielsweise aus dem Bereich der Logistik-lösungen (z.b. Drohnen) oder Servicelösungen mit Bezug auf die Anwendungsbereiche der verkauften Punkte (z.b. Sport-erlebnisse) stammen oder natürlich auch vollkommen unabhängige Geschäftsbereiche.
SUCHFELDER IDENTIFIZIEREN
Um relevante Suchfelder zu identifizieren, hat es sich als hilfreich erwiesen, Meta- beziehungsweise Megatrends zu nutzen. Megatrends sind langfristige Entwicklungen mit hoher Relevanz für alle Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft, die sich mit hoher Verlässlichkeit in die Zukunft „verlängern“lassen. Es handelt sich um zentrale Treiber des Wandels, vor deren Hintergrund die Dynamik in Teilbereichen von Wirtschaft und Gesellschaft verständlich wird. Sie eignen sich darüber hinaus gut, um einzuschätzen, welche aktuell beobachtbaren Einzeltrends – etwa in den Lebensstilen, in der Arbeitswelt, im Handel etc. auch in Zukunft Bestand haben werden.
Am Beispiel des Händlers könnte dies etwa der nach wie vor relevante Trend Plattform-ökonomie und Ökosysteme sein, innerhalb dessen man gezielt Ansatzpunkte für eigene Plattformen zu identifizieren sucht. Ein anderes Beispiel wären Daten getriebene Geschäftsmodelle als Grundmaxime für die zu identifizierenden neuen Geschäftstätigkeiten. Wenn diese Plattformen dann noch Bezug zum bisherigen Kernmarkt haben, können bestehende Partnerschaften und Netzwerke sowie gegebenenfalls auch die bestehende Marke erfolgreich in das neue Geschäftsmodell integriert werden.
WISSEN ZUSAMMENBRINGEN
Erfolgskritisch bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle ist das Zusammenbringen von internem und aber insbesondere auch externem Wissen und Erfahrung sowie die stetige Orientierung am Kundennutzen und externen Markt. Das bedarf einer gewissen inneren Flexibilität sowie letztendlich einer Kultur der Offenheit und Transparenz. Von Dritten Wissen zur Verfügung gestellt zu bekommen, verlangt auch danach, selber bereit zu sein, Wissen – und nicht zuletzt Daten – zu teilen.
Sobald dann die relevanten Suchfelder und Rahmenparameter definiert sind, sollten Ideen entwickelt und möglichst direkt im Markt verprobt werden. Zu Ideenentwicklung eignen sich besonders gut relevante Methoden wie etwa Design Thinking. Potenzielle Marktfähigkeit lässt sich im agilen Entwicklungsmodell über Minimum Viable Products, Prototypen und Markttests erproben.
In vielen Unternehmen achtet das übergeordnete Management der Geschäftsmodell-innovation darauf, dass es in Bezug auf relevante Parameter ein Portfolio an Ideen und Projekten gibt. Diese Parameter können die Nähe versus Ferne zum bestehenden Geschäftsmodell sein, die Reife der zugrundeliegenden Technologien (ausgereifte Technologien wie Cloud und sich entwickelnde Technologien wie z. B. Blockchain), der Entwicklungsgrad des Geschäftsmodell, also etwa seed versus growth Phase.
GRENZEN ÜBERWINDEN
Beim Übergang eines entwickelten Geschäftsmodells von der Innovations- und Inkubationsphase in die Betriebs- und Skalierungsphase stoßen viele Unternehmen an ihre Grenzen. Soll das
ERFOLGSKRITISCH BEI DER ENTWICKLUNG NEUER GESCHÄFTSMODELLE IST DAS ZUSAMMENBRINGEN VON INTERNEM UND ABER INSBESONDERE AUCH EXTERNEM WISSEN UND ERFAHRUNG
neu entstandene Geschäft in einer eigenen und vom Kerngeschäft losgelösten Struktur laufen? Hierfür fehlen vielen Unternehmen die strukturellen und Governance-voraussetzungen. Bei der Integration ins Kerngeschäft kommt aber häufig die Skalierung ins Stocken. Kulturell gibt es Unternehmen, die sehr gut in der Innovation sind, aber ihre Limitationen bei der Skalierung und Kapitalisierung haben.
Unterwegs zu neuen Geschäftsmodellen müssen Unternehmen Wege und Lösungen finden, solche Schranken und Grenzen zu überwinden.
Spätestens bei erfolgreichem Test und Erreichen der Marktreife stellt sich dann die Frage, wie man die neuen Geschäftsmodelle „betreibt“– als eigenes Unternehmen mit eigenen Marktzugängen, Prozessen, Systemen bis hin zur Marke – oder im Rahmen bestehender Strukturen. Eine pauschale Antwort hierauf ist schwierig zu geben, da viele verschiedene Parameter wie die Nähe versus Ferne zum Kerngeschäft oder das Synergiepotential mit dem Kerngeschäft die Entscheidung beeinflussen.
Als Faustregel gilt hier: Wenn der Kundenwert durch eine enge Zusammenführung signifikant steigt, spricht viel für ein integratives Modell. Wenn der Kundenwert nur geringfügig durch eine Zusammenführung gesteigert werden kann spricht viel für getrennte Strukturen.
NEUE CHANCE FÜR DAS BESTANDSGESCHÄFT
Während des Managements des Geschäftsmodell-innovationsprozesses ist es sinnvoll, die der Suchfelddefinition zugrundeliegenden Hypothesen bezüglich Markt- und Trendentwicklung in regelmäßigem Abstand zu hinterfragen und zu evaluieren, ob die Grundrichtung noch stimmt oder Justierungen bei den Suchfeldern vorgenommen werden müssen. Und es mag für manchen überraschend klingen, aber die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle ist, selbst wenn diese eine gewisse Distanz zum Kerngeschäft aufweisen, immer auch eine Chance für das Bestandgeschäft. Denn neue Branchen und Produkte bringen neue Verfahrensweisen, Methoden, Strukturen und Denkansätze und können für das Bestandsgeschäft ein belebendes Element des Kulturwandels sein.
FINANZMANAGEMENT KLÄREN
Über all dem schwebt dann noch ein weitere zentrale Herausforderung: Für die erfolgreiche Etablierung neuer Geschäftsmodelle ist ein Grundverständnis über den Prozess wichtig und damit die Frage, ob das neue Geschäft in Bezug auf Investition und ROI gleich zu behandeln ist wie das etablierte Geschäft oder ob ein es ein Bewusstsein darüber gibt, dass neuen Geschäftsmodellen auch neue Finanzmanagementmethoden zugrunde gelegt werden müssen. Hier scheitert manches erfolgsversprechende Konzept an den zehn Prozent Renditeerwartungen innerhalb des Xten Jahres. Hätte Jeff Bezos sich solchen Richtlinien unterwerfen müssen, wäre Amazon nie entstanden.
Wer sich auf die Suche nach neuen digitalen Geschäftsmodellen begibt, sollte sich zudem Eines ständig vor Augen halten: Wie bei der gesamten digitalen Transformation sind auch bei der Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle die gemeinsame Leadership Vision und die unternehmerische Kultur essenzielle Erfolgsfaktoren, die es zu beachten und zu entwickeln gilt. In einer Kultur, die auf der einen Seite Fehlschläge als Stigma betrachtet und einen Hang zur Perfektion hat, ohne auf der anderen Seite eine gewisse Offenheit für die Entwicklung neuer Produkte und Lösungen zu erlauben, werden disruptive Innovationen nur schwer gedeihen.