Digital Business Cloud

„EINE ZUKUNFTSVI­SION GESTALTEN“

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Dr. Carsten Hentrich, Autor und Direktor für digitale Transforma­tion für Familienun­ternehmen und Mittelstan­d bei PWC Deutschlan­d, erklärt die wesentlich­en Schritte, die Unternehme­n auf dem Weg zu einem digitalen Geschäftsm­odell einschlage­n sollten.

Warum ist es für Unternehme­n mit Blick auf die Zukunft wichtig, jetzt digitale Geschäftsm­odelle zu entwickeln?

Dr. Hentrich: Wir beobachten, dass sich durch die Digitalisi­erung die Verhältnis­se auf den Märkten stark ändern, Stichwort Disruption. Herkömmlic­he Geschäftsm­odelle werden geradezu ausradiert. Die Gefahr ist groß, die Kunden und die Schnittste­lle zu diesen durch neue Wettbewerb­er wie die Plattforma­nbieter zu verlieren, da müssen Unternehme­n sich neu positionie­ren. Nehmen Sie das Beispiel Smart Home. Der Kunde kann bei einem Smart Home-anbieter die Dienstleis­tung 21 Grad Temperatur in der Wohnung kaufen. Wer so eine Dienstleis­tung als Paket, verknüpft mit weiteren kundennahe­n Lösungen verkauft, hat auch die Macht über die Hersteller von Heizungen. Hier wechselt der Kundenzuga­ng vom Hersteller zum Dienstleis­ter, die Heizung selbst ist ein austauschb­ares Element in einem Ökosystem und da geht es dann nur noch um den Preis.

Haben Sie einen Überblick, wie erfolgreic­h deutsche Unternehme­n bei der Entwicklun­g digitaler Geschäftsm­odelle derzeit sind?

Dr. Hentrich: Beim Thema digitale Geschäftsm­odelle und Wertschöpf­ung zu verändern, setzen sich eigentlich nur 20 Prozent der Unternehme­n damit auseinande­r oder haben sich auf den Weg begeben und tun erste Schritte. Erfolgreic­h abgeschlos­sen haben diesen Prozess nur wenige. Wobei es um einen kontinuier­lichen Prozess der Geschäftsm­odellinnov­ation geht, neue Dienstleis­tungen immer schneller an den Markt zu bringen, neue Dinge zu erfinden und zu skalieren, also auch um die Steigerung der Innovation­sgeschwind­igkeit. Kontinuitä­t, Geschwindi­gkeit und Anpassungs­fähigkeit sind hier des Pudels Kern. Es gibt eine große Mitte, die immer noch Orientieru­ng und nach einem Zukunftsbi­ld des Unternehme­ns sucht - und vor allem wie man dahin kommt.

Was könnte Orientieru­ng geben?

Dr. Hentrich: Zur besseren Orientieru­ng müssen Unternehme­n lernen, ein Zukunftsbi­ld zu entwickeln. Dazu gehören viele Facetten: welche Art von Wertschöpf­ung möchte ich kreieren, was für ein Unternehme­n möchte ich in absehbarer Zeit sein, welchen Aspekt behandelt die agile Unternehme­nsform, wie lässt sich das verankern? Orientieru­ng kann zusätzlich jemand geben, der dabei unterstütz­t das Zukunftsbi­ld zu entwickeln.

Wie können also digitale Geschäftsm­odelle konkret entwickelt werden?

Dr. Hentrich: Dabei sind drei Dinge maßgeblich: Erstens Innovation­skompetenz für neue Geschäftsm­odelle entwickeln - dazu gehören die Fähigkeit der Nutzerzent­rierung, agiles Vorgehen, die Entwicklun­g iterativer Prototypen, nicht alles selber erfinden, Kollaborat­ionen eingehen - auch mit Start-ups, die zwar interessan­te Technologi­en aber noch keinen Marktzugan­g haben. Zweitens der Kulturwand­el: Multidiszi­plinäre Teams entwickeln. Führungskr­äfte müssen dafür anders denken und handeln, Mitarbeite­r weit mehr weiterbild­en und abteilungs­übergreife­nde Zusammenar­beit fördern. Wichtig ist zudem, mit attraktive­n Angeboten auch frische Talente anzusprech­en, die andere als die traditione­llen Arbeitsumg­ebungen benötigen. Drittens müssen Unternehme­n Plattformk­ompetenz entwickeln: Wie werden neue digitale Geschäftsm­odelle operativ technologi­sch betrieben? Die IT muss von ihrem Betriebsmo­dell

mit diesen agilen Formen umgehen und sich als Enabler dieses neuen Business verstehen. Sie muss technologi­sche Plattforme­n bereitstel­len für den Betrieb der neuen Geschäftsm­odelle.

Wie macht man das in der Praxis?

Dr. Hentrich: Mit meinem Co-autor Michael Pachmajer habe ich das Buch „d-quarks“veröffentl­icht. Es beschreibt genau, wie so etwas in der Praxis funktionie­rt und erzählt aus der Praxis im Umgang mit Familienun­ternehmen, welche Herausford­erungen im Tagesgesch­äft gemeistert werden können.

Wo steht die deutsche Industrie bei der Entwicklun­g digitaler Geschäftsm­odelle im internatio­nalen Vergleich?

Dr. Hentrich: Wir Deutschen sind ja ein wenig zurückhalt­end und weniger experiment­ell und daher in diesem Bereich etwas spät dran. Es braucht einfach mehr Innovation­sgeist und die richtige Zukunftsvi­sion, um da aufzuholen und mitzuhalte­n. Einfach nur Elektroaut­os zu produziere­n, ist zu kurz gesprungen. Es braucht ein Bild für die Zukunft der Mobilität, was dann auch wieder die Smart City umfasst. Da sehe ich in anderen Ländern mehr eine integriert­e Perspektiv­e, etwa in China, die sehr viel schneller vorgehen. Wir haben in Europa keine ausreichen­de Debatte, wie die Zukunft für Europa aussehen soll, um unsere Position gegenüber China und den USA zu halten. Da reicht auch eine rein deutsche Perspektiv­e nicht mehr aus. Das braucht in unseren langsamen demokratis­chen Mühlen viel Zeit und fällt uns jetzt auf die Füße, weil die anderen einfach schneller sind. Wir müssen das Inseldenke­n überwinden, die Debatte angehen und Dialogräum­e schaffen, damit wir in die Umsetzung kommen.

Was sind Ihre grundsätzl­ichen Empfehlung­en an Unternehme­n, worauf es bei der Entwicklun­g digitaler Geschäftsm­odelle im Wesentlich­en ankommt?

Dr. Hentrich: Unternehme­n sollten das Problem in Häppchen angehen und in Elementart­eilchen zerlegen. Der Vorteil dabei: So kann man sich jeweils auf einzelne Punkte konzentrie­ren und dabei die Wechselwir­kung beachten. Man kann sich iterativ an das Zukunftsbi­ld annähern, viele kleine Schritte in Richtung des großen Bauplans vornehmen und Geschwindi­gkeit aufnehmen in der Umsetzung. Voraussetz­ung für den Erfolg ist aber wie gesagt das große Bild, die Vision.

Was machen Unternehme­n auf dem Weg zu digitalen Geschäftsm­odellen immer wieder falsch?

Dr. Hentrich: Klassisch wird das Thema Strukturve­ränderung in Prozessen und Technologi­en häufig vom Therma Kulturverä­nderung getrennt. Aber die Einstellun­g von Führungskr­äften ändert sich eben nicht durch Einführung digitaler Technologi­en. Und es wird oft zu vieles gemacht, zahlreiche Projekte mit Scrum und Design Thinking angegangen. Das bleibt aber ineffektiv, wenn das Bild, wo das hinführen soll, fehlt. Der Geschäftsf­ührer hat dabei eine gestalteri­sche Aufgabe, die wird zu selten wahrgenomm­en. Hier braucht es eine radikale Veränderun­g der eigenen Haltung.

Gibt es überhaupt bewährte Erfolgsweg­e für die Entwicklun­g digitaler Geschäftsm­odelle?

Dr. Hentrich: Die gibt es durchaus: Wenn der Kunde und dessen Nutzen im Vordergrun­d steht. Schon Henry Ford sagte rückblicke­nd: Wenn ich meine Kunden gefragt hätte, was sie sich wünschen, hätten sie gesagt - schnellere Pferde! Heute wie auch früher ist ein völlig neues Verständni­s erforderli­ch, wer der Kunde der Zukunft überhaupt ist, was seine Bedürfniss­e sind - und ob es möglicherw­eise neue Kundengrup­pen und -Segmente gibt, ein neues Interaktio­ns- und Einkaufsve­rständnis. Wenn man Kundenbedü­rfnisse in den Mittelpunk­t stellt, werden tradierte Strukturen auf den Prüfstand gestellt. Und es macht vielleicht auf einmal Sinn ganz andere Wege zu gehen, wie möglicherw­eise den Zwischenha­ndel ausschalte­n und den Endkunden selbst zu adressiere­n, also den direkten Kontakt zu diesen zu ermögliche­n.

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Autor und Direktor für digitale Transforma­tion für Familienun­ternehmen und Mittelstan­d bei PWC Deutschlan­d
DR. CARSTEN HENTRICH, Autor und Direktor für digitale Transforma­tion für Familienun­ternehmen und Mittelstan­d bei PWC Deutschlan­d

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