„UNTERNEHMEN WERDEN OFFENER FÜR VERTEILTE ARBEIT“
John Maeda, Chief Experience Officer beim Beratungshaus Publicis Sapient, über die Verschiebung von Kooperation zu Kollaboration, außergewöhnliche Ar-projekte und die künftigen Aussichten für das Home-office in der Nach-corona-zeit.
Welche Auswirkungen wird es auf die Customer Experience haben, dass immer noch Millionen Menschen in diesen Tagen lieber zu Hause bleiben? JOHN MAEDA: Gerade für Einzelhändler und Konsumgüterunternehmen, die sich bereits vor COVID-19 erfolgreich digital transformiert haben, zahlen sich die getätigten Investitionen in ihre digitale Infrastruktur jetzt aus. Nun können sie online Einnahmen erzielen und zusätzlich sehr viel über das Kaufverhalten ihrer Kunden erfahren. Diese Unternehmen sind so in der Lage, die Kundenerwartungen in Bezug auf Service und Convenience sehr gut zu erfüllen, also eine tolle Customer Experience zu bieten. Dazu gehören nahtlose, personalisierte Kundenerlebnisse über alle Touchpoints hinweg, die echten Mehrwert bieten. Die Customer Experience wird heute zur Computational Experience, beflügelt durch die Treiber der vierten industriellen Revolution: die Cloud und Maschinelles Lernen/künstliche Intelligenz. Die massive Rechenleistung und verfügbaren Daten ermöglichen eine nie dagewesene Optimierung des Kundenerlebnis. Dabei gilt es natürlich Datenschutzbedenken der Nutzer zu adressieren und auf diese eingehen.
Manager sollten ihre Mitarbeiter daran erinnern, dass jede Krise ein Ende findet. Sie sollten ihnen konkrete Hilfestellung bieten, um die Unsicherheit zu überwinden, und dabei helfen, Licht am Ende des Tunnel zu sehen.
Warum wird Kollaboration in den kommenden Jahren wichtiger werden als Kooperation? Was sind in diesem Fall die Lehren aus dem Home-office? MAEDA: Kooperation ist weniger komplex und umfasst lediglich die gemeinsame Teilnahme an einem Video-call oder das Cc-setzen bei Emails. Außer Zuhören wird nichts verlangt. Echte Kollaboration hingegen setzt voraus, dass man sich im selben Raum befindet und gemeinsam für ein Ergebnis verantwortlich ist. Dies ist aus räumlich getrennten Umgebungen heraus viel schwieriger als von Angesicht zu Angesicht. Daher ist es notwendig, sich eng auszutauschen und gemeinsam zu verpflichten, Dinge im Schulterschluss umzusetzen – auch über verschiedene Standorte hinweg. Echtzeit-kommunikationssystem wie Slack oder Teams erleichtern zwar eine kollaborative Zusammenarbeit, sind aber kein Garant dafür. Kollaboration profitiert zwar vom Zugang zu solchen Cloud-basierten Tools, die spezifische Tätigkeit, die es abzuarbeiten gilt, muss indes digital zu handhaben sein. Software-entwicklungsteams arbeiten schon lange so und sind ungewöhnlich gut darin, kollaborativ und mit strengen Protokollen und Versionskontrollen zu arbeiten. Daher kann man viel von ihnen lernen. Bei verteilten Teams haben sich agile Arbeitsweisen etabliert, die zum einen eine erhöhte Kommunikation und Interaktion der Entwickler fördern und zum anderen kontinuierliches Feedback von Anwendern und Kunden nutzen. Diese iterativen Arbeitszyklen intensivieren den Austausch aller Beteiligten, erhöhen die Transparenz und ermöglichen eine zielgerichtete Reifung des Projektergebnisses.
Wenn Sie in die Zukunft blicken, werden wir weiter remote oder eher verteilt arbeiten?
MAEDA: Telearbeit kommt bereits weltweit für Jobs zum Einsatz, die außerhalb eines zentralisierten Büros erfüllt werden können – etwa in der Kundenbetreuung. Ich gehe davon aus, dass sich durch COVID-19 noch viel mehr Unternehmen künftig offen für verteilte und kollaborative Arbeitsumgebungen zeigen werden. Allerdings wird es auch weiterhin Bedarf an festen Anlaufstellen und Offices sowie Meetings in ‚real life‘ geben. Wir Menschen können einfach nicht anders. Wir wollen mit der Realität in Kontakt bleiben.
Wird der Kundenservice durch mehr asynchrones Arbeiten beeinträchtigt werden?
MAEDA: Kundenbeziehungen werden heute schon von Computersystemen in asynchroner Weise beeinflusst. Kurzum: Viele Online-chat-systeme, die heute zum Einsatz kommen, sind Hybride aus maschineller und menschlicher Interaktion. Wenn die Maschine eine Frage beantworten kann, tut sie dies selbständig. Wenn nicht, übergibt sie an einen Mitarbeiter, der das Problem löst. Diese fließenden Übergänge zwischen Maschine und Mensch werden immer alltäglicher.
Warum sind Sie besorgt, dass so viele Menschen remote arbeiten?
MAEDA: Meine Hauptbefürchtung ist, dass das Arbeiten von daheim durch COVID-19 zur Pflicht wird. Viele Menschen arbeiten einfach lieber im Büro als zu Hause. Solange Remote Work freiwillig ist, stellt es eine interessante Alternative dar – als Pflicht kann es aber schnell zu Verdruss und Demotivation führen.
Wie können Manager reagieren, um die negativen Auswirkungen zu verringern?
MAEDA: Manager sollten auf die psychische Gesundheit ihrer Teammitglieder achten. Für viele Menschen ist im Home-office zu arbeiten nicht leicht – etwa, wenn sie die Betreuung ihrer Kinder oder Eltern bewältigen müssen. Der Stress, dem Menschen dann ausgesetzt sind, kann extrem hoch sein – vor allem, wenn dies über Wochen und Monate andauert.
Wird der Shift zur Fernarbeit in dem Sinne dauerhaft sein, dass Organisationen sie als effektiv ansehen und ihre Verhaltensweisen ändern?
MAEDA: Fernarbeit wird kein Dauerzustand werden, aber einige Auswirkungen werden definitiv bleiben. Die Folgen sind noch nicht absehbar, aber ein Blick auf Chinas aktuellen Versuch, zur Normalität zurückzukehren, dürfte aufschlussreich sein: Selbst in Wuhan dürfen Menschen wieder ihre Häuser verlassen und zur Arbeit gehen, aber strenge Temperaturkontrollen und Hygienevorschriften sind an der Tagesordnung. Der Onlinehandel geht als Gewinner der Krise hervor. Die digitale Infrastruktur für die Arbeit aus dem Home-office, die durch die Krise erzwungen wurde, wird dauerhaft bleiben.
Wie werden VR/AR unsere Arbeitsweise in den kommenden Jahren verändern?
MAEDA: Bei VR/AR bin ich optimistisch, da das Gefühl einer räumlichen Präsenz und physischen Beziehung vermittelt wird. Ich empfehle jedem Skeptiker, sich das Open-source-projekt „Hubs“von Mozilla anzusehen. Es ist ziemlich außergewöhnlich und fühlt sich ein bisschen an wie das Web der 90er Jahre. Die Plattform für Vr-treffen funktioniert wie eine herkömmliche Webseite und läuft komplett im Browser. In den 3D-umgebungen können Menschen digital als Avatare miteinander sprechen, interagieren und kollaborieren.
Wo werden wir in den nächsten sechs bis zwölf Monaten stehen? Wie können Manager diesen Übergang moderieren? MAEDA: In den kommenden Monaten werden wir wieder normal zur Arbeit gehen – per Flugzeug, Zug oder Bus. Wir werden uns anpassen und uns außerhalb unserer Wohnung besser schützen und sensibler miteinander interagieren. Und hoffentlich werden wir bald einen Impfstoff gegen COVID-19 haben, der uns unserer Normalität wieder näherbringt. Für Manager ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass alle Menschen auf neuartige, extreme Situationen vollkommen unterschiedlich reagieren. Sie sollten diese individuellen Unterschiede respektieren, und ihre Mitarbeiter auf dem Weg zurück in die Normalität so unterstützen, wie sie es individuell benötigen. Manager sollten sie daran erinnern, dass jede Krise ein Ende findet. Sie sollten ihren Mitarbeitern konkrete Hilfestellung bieten, um die Unsicherheit zu überwinden, und dabei helfen, Licht am Ende des Tunnel zu sehen.