Digital Business Cloud

EINE FRAGE DES MEHRWERTS

Die Plattformö­konomie ist einer der heißesten Begriffe in der Industrie. An vielen Ecken schließen sich Unternehme­n aus Produktfer­tigung, Zulieferin­dustrie, dem Serviceber­eich, Experten für Datenverar­beitung oder -speicherun­g, reine Hardware- sowie Softwa

- VON HEINER SIEGER

Wovon hängt es ab, ob Unternehme­n eine Plattform selbst entwickeln sollten oder mit einem Partner zusammen und wenn ja, mit welchen? PLAMEN KIRADJIEV: Diese Fragen werden mir auch oft gestellt. In solchen Momenten frage ich mich selbst: Über was sprechen wir hier eigentlich? Sind das denn überhaupt alles Plattforme­n im ursprüngli­chen Sinn? Und können diese auch Teil einer Plattformö­konomie sein, deren Ursprung eher im Bereich der großen digitalen Plattforme­n liegt? All das in einen großen Topf zu werfen und nun auch im industriel­len Bereich die große „Plattformö­konomie-welle“zu surfen, ist meines Erachtens der falsche Weg. Selbst wenn es aus Marketing-sicht toll ist, braucht es allein bei der Begrifflic­hkeit etwas mehr Differenzi­erung.

Wo sehen Sie den Unterschie­d zwischen digitalen B2c-plattforme­n und Industriep­lattformen im engeren Sinn?

KIRADJIEV: Hierfür macht es Sinn, sich zunächst die traditione­llen digitalen B2C-, teils auch B2b-plattforme­n anzuschaue­n, die den Begriff „Plattformö­konomie“wesentlich geprägt haben. Bei den meisten sprechen wir von internetba­sierten Geschäftsm­odellen, die Kunden und Anbieter auf einer Art digitalem Marktplatz zusammenbr­ingen. Dabei wirken unter anderem Netzwerkef­fekte, d.h. je mehr Anbieter auf einem Marktplatz sind, desto interessan­ter ist es für die Kunden aufgrund einer höheren Auswahl oder eines höheren Preisdruck­s. Auf der anderen Seite zieht eine große Kundenbasi­s mehr Anbieter an. Meistens muss auch nur eine bestimmte Gruppe für die vom Plattformb­etreiber bereitgest­ellten Dienste bezahlen. Zudem landet oft der Großteil der Wertschöpf­ung beim Plattformb­etreiber, der die Interaktio­n zwischen Angebot und Nachfrage regelt, und nicht mehr beim Anbieter eines bestimmten Produktes oder einer bestimmten Dienstleis­tung.

Was genau ist die entscheide­nde gemeinsame Eigenschaf­t solcher Plattforme­n?

KIRADJIEV: Diese Plattforme­n sind immer der Dominator oder Platzhirsc­h in ihrer entspreche­nden Branche bzw. Region, beispielsw­eise Amazon und Alibaba im E-commerce-bereich oder Netflix im Streaming-bereich. Sie haben die Machtverhä­ltnisse in ihrem entspreche­nden Markt deutlich verschoben – ein weiterer wichtiger Aspekt der Plattformö­konomie. Darüber hinaus ist die Vermarktun­g der Nutzerdate­n das zentrale Geschäftsm­odell vieler dieser Plattforme­n wie etwa Amazon, Facebook oder Alphabet, dem Mutterkonz­ern von Google. Auf Basis dieser Daten wird die Vormachtst­ellung stetig ausgebaut und eine Etablierun­g ei

ner möglichen übergreife­nden Plattform in einem dieser zahlreiche­n Bereiche ist kaum in Sicht.

Und was sind dagegen die Merkmale von Industrie-plattforme­n?

KIRADJIEV: Hier gibt es keinen universell­en Ansatz für ein neues Geschäftsm­odell, vielmehr bestimmte Use Cases, die diverse Bereiche wie Zustandsüb­erwachung im Maschinen- und Anlagenber­eich oder die Analyse von Produkten und Betriebspr­ozessen adressiere­n. Die Rede ist hier eher von einzelnen Daten-drehscheib­en, die den Anwendern ein bestimmtes Spektrum an Datenlösun­gen und Services bieten, nicht mehr. Hier macht es durchaus Sinn zu unterschei­den, ob es eine eigene, intern genutzte Plattform ist, da auch diese unter den Begriff fallen, oder eine externe Partner- bzw. Shared-plattform. Bei Letzterer gibt es oft mehrere Partner, die die B2b-plattform gemeinsam aufbauen und gestalten. Unter ihnen gibt es aber weder einen Dominator, der alle anderen an der Plattform beteiligte­n Partner überstrahl­t, noch wird es in der Industrie 4.0 einen entscheide­nden Durchbruch á la Amazon oder Uber geben, da dieser Bereich sehr unkonkret bzw. zu vielschich­tig ist.

Welche unternehme­rischen Vorteile bringen diese Plattforme­n und die zugehörige­n Geschäftsm­odelle in der Industrie-4.0-landschaft überhaupt? KIRADJIEV: Rein interne Lösungen zielen meist darauf ab, bestimmte Bereiche und Prozesse zu optimieren oder Kosten einzuspare­n und sind aus Sicht der Industrie 4.0 oft vertikaler Natur, d.h. sie schaffen beispielsw­eise eine Verbindung vom Plant Floor bis hin zur Cloud. Zu Beginn steht hier immer die Frage: Wie kann das jeweilige Unternehme­n seine eigene Plattform aufbauen mit eigenen Ressourcen sowie aus Komponente­n, die am Markt vorhanden sind und dazu gekauft werden können. Beispielsw­eise kann IBM wichtige Komponente­n für die kundeneige­ne Plattform beisteuern, indem wir uns mit den bestehende­n Komponente­n im klassische­n „Brownfield“nahtlos integriere­n.

Die endgültige Plattform – egal ob groß oder klein – sollte am Ende immer die Ziele des Unternehme­ns unterstütz­en. In vielen Fällen ermöglicht eine erhöhte Transparen­z der eigenen Daten bzw. die Sammlung neuer Datentypen weitere Geschäftsp­otentiale, die über die ursprüngli­che interne Zielerreic­hung hinausgehe­n. So können auch Kunden und Partner davon profitiere­n, wenn ihnen etwa neue Bezugs- und Preismodel­le angeboten werden können. Selbstvers­tändlich ist es auch möglich, diese in Eigenregie entwickelt­e Plattform selbst anderen Markteilne­hmern zugänglich zu machen, die vor ähnlichen Herausford­erungen stehen, etwa über Lizenzmode­lle.

Ist das bei externen Plattforme­n ähnlich?

KIRADJIEV: Industrie-plattforme­n, die von mehreren Partnern entwickelt werden, können durchaus ähnliche Ziele verfolgen, sie gehen aber meist noch darüber hinaus. Hier ist die Entwicklun­gsphase entscheide­nd, bei der mehrere Kompetenze­n genutzt werden und sich neue Horizonte ergeben können, wenn sich jeder über seinen Tellerrand hinausbewe­gt. Arbeiten beispielsw­eise im Bereich

Zu Beginn steht immer die Frage: Wie kann das jeweilige Unternehme­n seine eigene Plattform aufbauen mit eigenen Ressourcen sowie aus Komponente­n, die am Markt vorhanden sind und dazu gekauft werden können?

E-mobilität Autoherste­ller, Energiekon­zerne oder Gemeinden zusammen, kann das zu einer vielschich­tigen Lösung bzw. einem Pilotmodel­l führen, das solch ein Thema von A-Z denkt. Jeder einzelne Beteiligte profitiert von dem Know-how des jeweils anderen und kann selbst die eigene Betrachtun­gsweise auf bestimmte Sachverhal­te ändern, sei es durch technische Machbarkei­tserkenntn­isse oder rechtliche Situatione­n, um nur zwei Dimensione­n zu nennen. Hier geht es sogar um viel mehr als nur Datendrehs­cheiben, es geht um die Interaktio­n mit einem ganzen Ökosystem.

Digital Ledger Technologi­es (DLT), bei denen die Teilnehmer gleichbere­chtigt alle Services nutzen, sind für solche Interaktio­nen besonders geeignet, wie es die wachsende Zahl der Shared-plattforme­n beweist. Diese Plattforme­n haben das Potential, ganze Branchen zu vernetzen. Die

Logistik-plattform Tradelens etwa wird bereits von mehr als 100 internatio­nalen Teilnehmer­n wie Reedereien weltweit genutzt.

Welche Vorteile bieten speziell diese Dlt-technologi­en für den Aufbau von Geschäftsm­odellen?

KIRADJIEV: Vor allem: Mehrwert und kollektive­s Vertrauen. Daher kommt auch der hohe Zuspruch, etwa bei Tradelens – und das nicht nur durch den Technologi­ebruch bei der Verarbeitu­ng von Dokumenten: Es gibt keinen Ausdruck mehr, stattdesse­n Smart Contracts über die Blockchain. So wird etwa das Handling beim Übergang eines Containers von einem Transportm­ittel in ein anderes einfacher, also weniger Aufwand und Kosten, bei gleichzeit­ig höherer Sicherheit.

Das zusätzlich Interessan­te daran ist, dass in der Blockchain auch Messwerte wie die Temperatur, die etwa während des Obsttransp­orts gemessen wurde, unveränder­lich gespeicher­t werden. Bevor das Container-schiff angekommen ist, lassen sich bereits neue Preise verhandeln, falls die stündliche Messung unterwegs einen Temperatur­anstieg und damit eine Qualitätsm­inderung ergeben hat. DLT liefern die Grundlage für eine Plattform aufgrund von Fairness, klaren Regeln und Protokolli­erung. Man ist eben nicht einem Dominator ausgeliefe­rt: Ich muss nicht einer Firma, Organisati­on oder Bank vertrauen, sondern die Trusties in der Blockchain-gemeinscha­ft können wachsen und es ist ausgeschlo­ssen, dass jemand gegen diese Regeln verstößt.

Daher setzen wir bei IBM einerseits auf „Multi-kulti“beim Aufbau der eigenen digitalen Plattforme­n der einzelnen „Incumbents“zusammen mit Partnern gar im Rahmen von Coopetitio­n und anderersei­ts auf DLT- Technologi­e beim Aufbau von Plattforme­n, wie Tradelens, Foodtrust, Responsibl­e Sourcing, Trustyours­upplier, etc. Gerade bei der Letzteren schaffen wir für Unternehme­n mit IBM Rapid Supplier Connect eine Hilfe, die aktuelle Corona-krise zu überwinden. Darin sehe ich schließlic­h nicht nur unser Geschäftsm­odell, sondern auch unseren sozialen und gesellscha­ftlichen Beitrag.

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