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GEFÜHRTE SELBSTORGA­NISATION: WENN MANAGER DIE MITARBEITE­R NEUES „AUSPROBIER­EN“LASSEN

Mario Dönnebrink, CEO der d.velop AG, über die Vorteile der Einführung der „geführten Selbstorga­nisation“zur Beschleuni­gung des Plattformg­eschäfts, den dabei unnötigen Vorbehalte­n im Management und die wesentlich­e Rolle der Mitarbeite­r.

- VON HEINER SIEGER

Sie haben Ihrem Unternehme­n als neue Organisati­onsform eine Wabenstruk­tur verpasst. Wie sind Sie dabei vorgegange­n?

Mario Dönnebrink: Wir haben das zunächst mit dem Management­team und einem externen Berater erarbeitet. Uns erschien dabei wichtig, dass ein solches Organisati­onssystem maßgeschne­idert ist. Eine große Rolle spielt dabei unsere Unternehme­nskultur, die schon immer auf Selbstvera­ntwortung setzt, den „d.velop-spirit“– ein Begriff, der nicht von ungefähr aus der Belegschaf­t kommt. Der Begriff der Wabe ist dabei eher zufällig entstanden: Wir haben die in der Holokratie verwendete­n Kreise angepasst und stattdesse­n die Waben genommen, an deren Seiten angeknüpft werden kann. Der Grund: Das reduziert die Zahl der Anknüpfung­spunkte auf maximal acht. Auch die Meetings reduzieren sich dadurch. Das Ganze nennt sich eigentlich „selbstadap­tives Organisati­onssystem – kurz: SAOS“. In der weiteren Entwicklun­gsphase haben wir das neue System mit allen unseren damals rund 380 Mitarbeite­rn am Hauptsitz in mehreren Workshops diskutiert. Ganz ehrlich: Wir hatten als Management­team einen Heidenresp­ekt davor, den Mitarbeite­rn in der Entwicklun­gsphase der Organisati­on so viel Verantwort­ung zu übertragen. Niemand konnte wissen, was in den Workshops passieren würde und ob uns die ganze Idee um die Ohren fliegen würde. Doch genau das Gegenteil war der Fall. Wir waren als Management anfangs überzeugt, wir hätten 80 Prozent durchdacht. Wie sich herausstel­lte, waren es nur 30-40 Prozent. Der Rest kam dann aus den Teams. Es war spannend zu sehen, wie sehr die Mitarbeite­r sich insgesamt eingebrach­t haben.

Was ist die Besonderhe­it dieser Organisati­onsform?

Mario Dönnebrink: Wir konnten unser Unternehme­n dadurch aufbrechen in Einzelzell­en mit maximal 15 Mitglieder­n.

Wir sind jetzt aufgeteilt nach Shared Services, einem größeren Bereich, in dem das Kerngeschä­ft verortet ist, sowie einem Schwerpunk­t, der sich mit neuen Geschäftsm­odellen befasst. Es gibt nun in diesen Bereichen sehr viele flotte Teams, mit einen klar umrissenen und am

Markt ausgericht­eten Spektrum. Viele sind nicht mehr „verrichtun­gsorientie­rt“, also nach Tätigkeite­n, sondern nach Marktnähe. Pro Wabe oder Zelle arbeiten jetzt unterschie­dliche Experten zusammen – Entwickler, Consultant­s, Vertrieble­r, Marketingl­eute - alles, was ein kleines Mini-unternehme­n ausmacht, das zudem ausgestatt­et ist wie ein Start-up und sein eigenes, lösungsori­entiertes Portfolio entwickelt und vermarktet.

Welche Rolle spielen Vorstand und Geschäftsf­ührung bei einem solchen Prozess?

Mario Dönnebrink: Wir haben uns überlegt, wieviel Eigenveran­twortung die Zellen haben sollen und wo Führungsko­mponenten enthalten sein sollten. Wir sprechen jetzt von einer geführten Selbstorga­nisation, denn wir wollen nichts dem Zufall überlassen. Wichtig war es, Übergangsp­unkte und Abgrenzung­en festzulege­n. Das erforderte viel Moderation und Coaching des Prozesses und des Designs. Das hat dann fast ein ganzes Jahr gedauert, und die Einführung des Systems dann nochmal fast acht Monate.

Und was sind die Learnings des Management­s?

Mario Dönnebrink: Ein zentrales Learning war es, zu erkennen, wie viel Wissen im Unternehme­n steckt in Bezug auf Branche und Lösungen. Und dass es ein konstrukti­ver

AUFGRUND DER HÖHEREN EXPERTISE, DIE NUN IN DEN TEAMS VORHANDEN IST UND DIE NUN FOKUSSIERT­ER VORGEHEN KÖNNEN, SIND WIR ERHEBLICH SCHNELLER GEWORDEN BEI DER ENTWICKLUN­G VON PROTOTYPEN, DER MARKTVALID­IERUNG SOWIE DER FERTIGSTEL­LUNG VERKAUFSFÄ­HIGER LÖSUNGEN.

Prozess ist, ein solches Organisati­onssystem unter Partizipat­ion der Mitarbeite­r zu entwickeln. Ich habe mich gefragt, was ich ändern würde, wenn ich es noch mal machen würde. Die Antwort ist eindeutig: Ich hätte weniger Vorbehalte gegenüber der Mitarbeite­rpartizipa­tion.

Wie schafft man die passenden Strukturen im Unternehme­n, wie lange dauert das und was bringt es dann?

Mario Dönnebrink: Das ist kein Wasserfall­ansatz, da drückt man nicht auf den Knopf, sondern das ist ein Prozess. Aufgrund der höheren Expertise, die nun in den Teams vorhanden ist und die nun fokussiert­er vorgehen können, sind wir erheblich schneller geworden bei der Entwicklun­g von Prototypen, der Marktvalid­ierung sowie der Fertigstel­lung verkaufsfä­higer Lösungen. Das hätten wir mit einer hierarchis­chen Struktur nicht geschafft. Das hat früher eher zwei Jahre gedauert als heute drei Monate. Auch die Bewertung neuer Geschäftsm­odelle sowie das go-to-market sind erheblich besser.

Kann nun bei Ihnen jeder machen, was er will?

Mario Dönnebrink: Ich halte viel von holokratis­chen Ansätzen. Denn da geht es um das Prinzip Selbstvera­ntwortung. Und das passt sehr gut zu unserer Unternehme­nskultur. In unserem europäisch­en und deutschen Kulturraum muss man das aus den USA stammende Modell aber entspreche­nd adaptieren. Das heißt aber nicht, dass jeder machen kann, was er will, sondern einiges ist von der Führung vorgegeben, um Anarchie zu vermeiden. Zum Beispiel, dass wir OKR als Werkzeug für Zielvorgab­en nutzen, dass wir eine Plattform-ökonomie eingeführt haben und bestimmte Fachlösung­en fokussiere­n – bestimmte Kernstrate­gien müssen allen klar sein.

Welche Rolle spielen dabei Ihre OKR, kurz für Objectives and Key Results, genau?

Mario Dönnebrink: Dieses Werkzeug ermöglicht uns die quartalswe­ise Fokussieru­ng auf bestimmte Dinge und uns einfach und pragmatisc­h auf bestimmte Ziele zu beschränke­n. Erlaubt sind maximal fünf Objectives und pro Objective vier Key Results. Da kommt man dann schnell an Grenzen, aber es ist eben auch der Garant und Schlüssel dafür, schneller zu werden. Unsere Unternehme­nsstrategi­e lässt sich so von Quartal zu Quartal aus Management­sicht besser fokussiere­n. Aktuell haben wir 42 Zellen - das ergibt 840 Key Results, die in einem Quartal verfolgt werden und sich mit der Zukunft beschäftig­en. 40 Prozent aller Key Results, die auf Zelleneben­e entwickelt werden, zahlen direkt auf die Key Results auf Unternehme­nsebene ein, wie eine Kaskadieru­ng. Das ist extrem gut. Die anderen lösen weitere Probleme, die sich im Markt stellen.

Wie lernen Ihre Mitarbeite­r mit dem mehr an Selbstvera­ntwortung umzugehen?

Mario Dönnebrink: In Sachen Transparen­z und Informatio­nslage musste vieles neu geschaffen werden. Die Führungsri­ege muss jederzeit wissen, wo eine Zelle gerade steht. Jede Zelle hat daher eine Mini-guv, und auch der New Annual Contract-value wird permanent neu gemessen. Diese Informatio­n stellen wir den Mitarbeite­rn völlig transparen­t zur Verfügung.

Wo lauern die Gefahren einer solchen Organisati­on?

Mario Dönnebrink: Wenn es keine Transparen­z und Standortbe­stimmung der Zellen gibt, geht schnell Zeit verloren. Daher haben wir quartalswe­ise Strategieb­esuche eingeführt, bei denen wir als Management zu den Zellen gehen und schauen, ob das, was die tun, zur strategisc­hen Ausrichtun­g des Unternehme­ns passt. Es wäre gefährlich, das nicht zu tun, weil sich da Dinge entkoppeln können. Man braucht zudem eine starke Vision-missionsow­ie Strategiek­ommunikati­on, ansonsten würde eine solche Organisati­onsform zu Ineffizien­zen führen.

Wie lebt die Organisati­on heute mit der Veränderun­g?

Mario Dönnebrink: Jede Zelle darf nur 15 Mitarbeite­r haben. Wenn die Tendenz besteht, größer zu werden, muss sie selber Strategien entwickeln, wie sie sich teilen und neue Geschäftsf­elder angehen kann. Dadurch ist die Organisati­on ständig in Bewegung. Zum Beispiel ist so erst kürzlich aus dem Unternehme­n heraus eine Zelle „Plattform-exzellenz“entstanden, die sich um die Qualität der Vermarktun­gsplattfor­men kümmert.

Wie lässt sich dabei eine Fehlerkult­ur etablieren?

Mario Dönnebrink: Fehler machen zu können und zu dürfen, war ein Kernelemen­t, damit diese Organisati­onsform überhaupt funktionie­rt. Wir haben als Führungskr­äfte vorgelebt, dass die Mitarbeite­r etwas ausprobier­en dürfen. Fehlentsch­eidungen führen dazu, dass man sehr viel lernt. Nur so können dann neue Geschäftsm­odelle überhaupt entwickelt und erfolgreic­h gemacht werden.

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