MUT ZUR NISCHE
Vieles können, aber nichts so richtig. Ein altes Sprichwort erfährt in der Welt der Unternehmens-it seine Renaissance. Studien legen nahe, dass Unternehmen bei der Neuanschaffung verstärkt in flexible, einfach einsetzbare und spezialisierte Softwarelösungen investieren. Umfassende, komplexe und kostspielige Allround-software rückt in den Hintergrund. Naht das Ende der Legacy-it?
Alle Jubeljahre die gleiche Schlagzeile: Die Zeit alteingesessener, bewährter doch überholter Legacy-it-systeme nähert sich dem Ende – und mit ihr die Zeit der All-purpose-software-lösungen. In die Lücke preschen kleine, flexible und spezialisierte Software-systeme.
Innerhalb der Startup-welt mag dies auf Zustimmung treffen. Mittelständler und Großunternehmen vertrauten bei ihren Softwareanwendungen jedoch – ungeachtet der Trend-reports – noch immer Anbietern von Allround-lösungen. Laut einer Studie von Deloitte modernisierte bis 2018 nur jedes fünfte Unternehmen mit einem It-etat von über 10 Millionen Euro „sehr umfangreich” alte Systeme.
Die Könige mit dem Titel „Allround-software” regieren also nach wie vor. Die Vorteile liegen auf der Hand. Ein Beispiel aus dem Beschaffungswesen: Lieferanten-datenbank, Bestellmaske, Warenwirtschaft, Rechnungswesen. Alles ließ und lässt sich über ein System abwickeln. Kein Wunder, dass die Business-software SAP ARIBA weltweit 4,4 Millionen Kunden auf seinem B2b-marktplatz verzeichnet. Ähnliches gilt für Vertrieb, Marketing, Buchhaltung.
Warum sollte es diesmal anders sein?
DIE TECHNOLOGISCHE VORMACHTSTELLUNG BRÖCKELT
Inzwischen besetzen Tech-startups nicht mehr nur die Lücken, welche die großen Player offengelassen haben. Sie fordern ihre technologische Vormachtstellung heraus. Zwischen 2015 und 2019 sammelten europäische Software-startups immer größere Unterstützung an Wagniskapital ein. 2015 finanzierten Risikokapitalgeber diese Unternehmen noch mit 2,23 Milliarden Us-dollar; 2019 sind es 7,5 Milliarden Us-dollar. Große Teile dieser Summen flossen in die Forschung und Entwicklung, etwa von Künstlicher Intelligenz. Bei schnell wachsenden Software-unternehmen lag der Anteil 2019 bei mehr als 20 Prozent ihres Gesamtumsatzes. Durch hoch-innovative, produktivitätssteigernde Produkte zeigen sie nun auch großen Unternehmen die Vorteile spezialisierter Software auf.
Im Beschaffungswesen etwa vereinten viele Allround-software-lösungen den Prozess Source-to-pay – also von der Lieferantendatenbank bis hin zur Bezahlung der Lieferung – in einem Produkt. Den Bereich Scout-to-source, das Recherchieren von Lieferanten und das Befüllen eben jener Datenbank, war weiterhin eine händische Aufgabe. Per Google Suche, Ausstellerlisten auf Messen, oder den Netzwerken der Einkäufer. Alleine in das Recherchieren passender Lieferanten für ein neues Produkt oder die allgemeine interne Datenbank und den für den Vertragsabschluss mit dem Zulieferer benötigten Informationen – Tüv-informationen, Produktionskapazitäten, Vertrauenswürdigkeit – investieren Einkäufer Monate. Ein wiederkehrendes Ärgernis. Schließlich muss die Datenbank stets auf dem aktuellen Stand sein.
Nun existieren alternative Software-produkte am Markt. Sie automatisieren diesen Prozess mittels KI. Moderne Datenbanken bauen ganze Schätze an Lieferantendaten aus aller Welt auf. Sie ziehen Informationen über Lieferanten aus allen Ecken des Planeten über das World Wide Web, von Drittanbietern wie Dun & Bradstreet oder anderen Plattformen. Anschließend durchforstet die KI basierend auf den Anforderungen der Einkäufer diese Datenbanken und stellt Longlists mit passenden Lieferanten zusammen. Und dies innerhalb von Tagen – nicht über Monate. Zusätzlich halten sie die firmeninternen Datenbanken aktuell und vermeiden somit großangelegte, manuelle, zeitintensive Rechercheprojekte.
MUT ZUR NISCHE
Gerade im Bereich der Analyse-software erzielen die technologisch hochwertigen Nischenprodukte eine immer höhere Marktdurchdringung. Ihr unternehmerischer Vorteil springt auch großen Firmen ins Auge: Eine Studie des Marktforschungsunternehmens Gartner betont, dass bis 2022 die Hälfte der Legacy-software-systeme ersetzt werden – durch Ki-basierte Cloud-lösungen. Gar 80 Prozent der Befragten betonen laut der Studie, dass sie ihre Software-budgets in kleine, flexible und spezialisierte Lösungen investieren, nicht in große Full-scale-produkte.
Der Vergleich mit den eingangs aufgeführten Zahlen zeigt: Der Umbruch findet dieses Mal tatsächlich statt.