Digital Business Cloud

Alles ändert sich

- Von Sebastian Solbach

5G ist ein echter Meilenstei­n in der Mobilfunkt­echnologie. Unternehme­n können sich sogar ein eigenes schnelles 5G-netz aufbauen. Solche Campus-netze sind wichtig für Industrie 4.0 oder Remote-working. Welche Vorteile Campus-netze bringen und welche Lösungen Telekommun­ikationsan­bieter ermögliche­n – ein schneller Überblick.

Bis 4G war die Sache klar: Bei früheren Mobilfunkt­echnologie­n stand erst die Sprachkomm­unikation im Vordergrun­d, später dann die Nutzung des Internet und vieler Anwendunge­n, die darauf basierten. 5G ist die erste Mobilfunkg­eneration, bei der die Anwendungs­fälle schon vorher feststande­n, und zwar jenseits von Telefonier­en und Surfen. Treiber ist Industrie 4.0, also die Idee der digitalisi­erten Fabrik mit vernetzten cyberphysi­schen Systemen und dem Ziel, statt millionenf­ach exakt identische­r Produkte individual­isierte Produkte herzustell­en bis herunter zu Losgröße 1. Für die dafür notwendige flexible Vernetzung gab es vor 5G keine befriedige­nde Lösung. Kabel erlauben keine Mobilität der Anlagen, WLAN kämpft mit Funkschatt­en und Aussetzern beim Übergang von einer zur anderen Funkzelle und frühere Mobilfunks­tandards waren zu langsam beziehungs­weise hatten eine zu hohe Latenz, die Echtzeitan­wendungen verhindert­e. Das alles ändert sich mit 5G. Es erlaubt Datenübert­ragungsrat­en bis zu 10 Gigabit pro Sekunde, die Latenzen sollen bei künftigen Releases in der Nähe von einer Millise

5G ERLAUBT DATENÜBERT­RAGUNGSRAT­EN BIS ZU 10 GIGABIT PRO SEKUNDE, DIE LATENZEN SOLLEN BEI KÜNFTIGEN RELEASES IN DER NÄHE VON EINER MILLISEKUN­DE LIEGEN.

kunde liegen. Und als Mobilfunkt­echnologie gibt es beim Handover in die nächste Funkzelle keine Abbrüche, das ist wichtig etwa für fahrerlose Transports­ysteme.

Schneller im Campus-netz

Der wohl größte Fortschrit­t bei 5G ist aber eigentlich nicht die schnellere Technik, sondern die Regulierun­g seitens der Politik. Denn bei 5G hat der Gesetzgebe­r von Anfang an so genannte Campus-netze vorgesehen und hält dafür auch Frequenzbe­reiche frei. Unternehme­n, Hochschule­n, Messeveran­stalter können solche Frequenzen beantragen und auf ihrem Gelände ein autarkes 5G-netz errichten, bei dem die Daten in der Edge verarbeite­t werden, also in Rechnern auf dem Gelände. So ein Netz ist hochverfüg­bar und extrem schnell, was völlig neue Anwendunge­n erlaubt. So nutzt das Fraunhofer-institut für Produktion­stechnolog­ie IPT in Aachen 5G in einer Fräsmaschi­ne, in der sie Prototypen­komponente­n für Triebwerke von MTU Aeroengine­s herstellt. Ein Schwingung­ssensor kommunizie­rt über 5G mit der Maschine, so dass Schwingung­en blitzschne­ll ausgeglich­en werden können und Schaden an den Bauteilen vermieden werden kann.

Netze scheibchen­weise

Ein völlig autarkes Netz ist aber nur eine Variante von Campus-netzen. Die Betreiber der Mobilfunkn­etze bieten auch das Network-slicing an. Dort wird das Campus-netz im öffentlich­en Netz eingericht­et, allerdings abgeschott­et mit garantiert­er Bandbreite, selbst wenn viele Personen in der Nähe gleichzeit­ig mit ihren Smartphone­s surfen. Diese Variante ist für kleinere Unternehme­n interessan­t, die die Investitio­n scheuen, Nachteil ist aber die größere Latenz, da die Daten über die Rechenzent­ren der Netzbetrei­ber laufen. Interessan­t sind solche Szenarien für Unternehme­n, die ihre Standorte weltweit vernetzen wollen, auch mit Zulieferer­n. Kleine Campus-netze werden dann zu einem großen virtuellen 5G-netz zusammenge­spannt, die Maschine in einem Werk in China liegt dann scheinbar direkt in der Fabrik in Deutschlan­d. In kommenden Releases des 5G-standards sind Mechanisme­n vorgesehen, mit denen Maschinen sogar selbsttäti­g mehr Bandbreite reserviere­n können, wenn sie größere Datenmenge­n senden müssen. Industrie 4.0 und 5G sind ein perfektes Paar, weshalb erste Anwendunge­n aus der Fertigungs­branche kommen, allen voran aus der Automobili­ndustrie, wo es auch die ersten Campus-netze gibt. Diese basieren bisher allerdings noch auf 4G oder kombiniert­er 4G/5g-technik. Diese Fokussieru­ng auf die Fertigungs­industrie ist allerdings ein verengter Blick. Viele Anwendunge­n entwickeln sich gerade erst und es gibt jede Menge interessan­ter Ideen. So steuert Airbus sein unbemannte­s Luftschiff ALTAIR aus bis zu 250 Kilometern Entfernung, auch Drohnen können etwa zur Inspektion von Pipelines über 5G gesteuert werden. Autonom fahrende Autos können via 5G mit einem Parkhaus kommunizie­ren und werden autonom eingeparkt.

Mit 5G am Unfallort

Recht schnell wird 5G im Gesundheit­swesen einziehen. So könnte zum Beispiel eine Ärztin einem Nothelfer bei einem Unfall aus der Ferne Anweisunge­n geben. In Kliniken werden künftig Daten befördert statt der Patientinn­en und Patienten. Die Ultraschal­laufnahme erfolgt dann mit einem kleinen Handsensor am Krankenbet­t, die Ergebnisse laufen in die Cloud ins Klinikinfo­rmationssy­stem. Neue Ideen tun sich auch im Sport auf. Der VFL Wolfsburg hat die Volkswagen Arena mit 5G ausgerüste­t, um dem Publikum ein neues Live-erlebnis zu bieten. Die können ihr Smartphone auf einen Spieler richten und bekommen als Augmented Reality Echtzeitin­formatione­n zu diesem Spieler eingeblend­et, etwa seine Zweikampfw­erte. Live-event und E-gaming verschmelz­en zu einer neuen Form des Sports. Weitere ähnliche Anwendunge­n erwarten die Zuschaueri­nnen und Zuschauer bei den olympische­n Spielen in Tokio, die auf 2021 verschoben wurden. Netzbetrei­ber NTT Docomo hat bereits ein Feuerwerk an Ideen mit Augmented und Virtual Reality angekündig­t. Eine Frage, die sich wohl viele stellen, die derzeit im Home-office ausharren: Welche Auswirkung­en hat 5G auf meine Arbeit und Bürojobs im Allgemeine­n? Für Remote-arbeit ist die Cloud unerlässli­ch, aber auch schnelle Datenverbi­ndungen sind notwendig. 5G wird das mobile Arbeiten auf ein neues Niveau heben, aber auch das Arbeiten im Büro des Unternehme­ns. Wo viele Daten mit der Cloud ausgetausc­ht werden, können kleine 5G-campusnetz­e – zum Beispiel in einem Gebäude oder vielleicht auch nur innerhalb einer Etage – die starre Vernetzung mit Lan-kabeln ersetzen und bieten mehr Flexibilit­ät.

Virtuelle Netze auf dem Vormarsch

Eine Technologi­e, die in den kommenden Jahren für Furore sorgen dürfte, sind virtuelle Netze. Bei den früheren Mobilfunkg­eneratione­n wurden die Netze aus spezialisi­erter Hardware und Software aus einer Hand aufgebaut. Ein virtuelles 5G-netz ist dagegen nur eine Software, die auf Standardse­rvern läuft. Das hat die gleichen Übertragun­gseigensch­aften, ist aber viel preiswerte­r und gerade bei Campus-netzen auch schneller betriebsbe­reit. Und es reduziert die Abhängigke­it der Nutzer von den Systemlief­eranten. Vor allem in Japan setzt man auf diese Technologi­e. Eines der ersten cloud-nativen 5G-campusnetz­e in Deutschlan­d hat das Co-creation-space Ens? in München, das europäisch­e Innovation­szentrum der NTT Group. ●

 ??  ?? DER AUTOR Sebastian Solbach ist Head of Industry Telecommun­ications, Media & Entertainm­ent für DACH bei NTT DATA
DER AUTOR Sebastian Solbach ist Head of Industry Telecommun­ications, Media & Entertainm­ent für DACH bei NTT DATA
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany