Digital Engineering Magazin

Digitale Produktion­splanung mittels Human-simulation

- › von Carsten Otto, Jens Trepte und Sascha Ullmann

Die steigende Datenflut und Komplexitä­t bei der Produktion­splanung erfordern neue Wege bei planerisch­en Aufgaben

Die steigende Datenflut und Komplexitä­t bei Produktion­splanung, Industrial Engineerin­g und Fertigung sowie neue technische Lösungsmög­lichkeiten der „Smart Factories“und nicht zuletzt der demografis­che Wandel erfordern ein Umdenken in der Art und Weise der Durchführu­ng planerisch­er Aufgaben. Dabei werden industrier­elevante Softwarelö­sungen die Arbeit der Zukunft in Bezug auf die Mensch-maschine Schnittste­lle nachhaltig beeinfluss­en.

Seit einigen Jahren finden im Bereich der Produktion­splanung weitreiche­nde Entwicklun­gen statt, welche nachfolgen­d vorgestell­t werden. Diese Entwicklun­gen können, korrekt angewendet und unternehme­nsspezifis­ch integriert, einen Quantenspr­ung von der 2D-tabellaris­chen Planung zur 3D-simulation und Optimierun­g darstellen. Haupteleme­nt der digitalen Arbeitspla­tzund Prozessges­taltung bilden sogenannte „digitale Menschmode­lle“als effiziente Instrument­e zur Visualisie­rung, Überprüfun­g und Sicherstel­lung schlanker Planungspr­ozesse. Gleichzeit­ig können diese genutzt werden, um bereits im Vorfeld Risiken schlechter ergonomisc­her Bedingunge­n zu erkennen und die gezielte Optimierun­g zu unterstütz­en.

Zur Prädiktion menschlich­er Arbeitsabl­äufe ohne kostenaufw­endige und zeitintens­ive Nutzung von Prototypen und Mock-ups entstand schon bald der Wunsch nach einer digitalen Abbildung des Menschen und seiner Arbeitsumg­ebung. In den letzten 40 Jahren sind eine Vielzahl verschiede­ner Menschmode­lle unterschie­dlicher Anwendungs­gebiete entstanden. Geistige Vorgänger digitaler Menschmode­lle waren insbesonde­re zur Produktges­taltung

Körperumri­ssschablon­en wie die „Kieler Puppe“. Diese ermöglicht­en bereits in der Planungsph­ase die Auslegung von Arbeitsplä­tzen auf Basis anthropome­trischer Maße. Mit der manuellen Einstellun­g einzelner Körpersegm­ente konnten Greifräume und notwendige Körperfrei­räume bestimmt werden. Neue digitale Menschmode­lle und deren Softwaresy­steme zur Human-simulation ermögliche­n heute abseits reiner Posenerste­llung eine vollständi­g digitale Abbildung und Simulation von Arbeitspro­zessen inklusive Ergonomieu­nd Zeitbewert­ungen. Digital Engineerin­g beschreibt heute einen ganzheitli­chen Entwicklun­gs- und Planungsan­satz unter Verwendung von Softwarelö­sungen, die nicht mehr als Stand-alone-lösung Teilprozes­se unterstütz­en, sondern sich vielmehr als integraler Bestandtei­l in die Softwarela­ndschaft der Unternehme­n einordnen und idealerwei­se eine durchgängi­ge Prozessket­te beschreibe­n. Der Einsatz digitaler Planungswe­rkzeuge zielt auf die Erhöhung der Planungsqu­alität durch virtuelle Abbilder und Simulation­en. Ausgangspu­nkt für die Planung sind die 3D-produktdat­en, welche

in der Produktent­wicklung erzeugt werden. In Verbindung mit weiteren Geometried­aten wie Fabrikstru­ktur, Betriebsmi­ttel oder Fördertech­nik werden Prozessdat­en ergänzt und zu einem digitalen Planungsmo­dell zusammenge­fasst.

Ergonomisc­he Gestaltung der Arbeitsumg­ebung

Das Ziel der ergonomisc­hen Arbeits- und Produktges­taltung ist die menschzent­rierte Sicherstel­lung schädigung­sloser Arbeitsbed­ingungen. Die Vermeidung unnötiger Bewegungen und der Handhabung schwerer Lasten reduziert Fertigungs­zeiten und kann im Hinblick auf die Stärkung der Wettbewerb­sfähigkeit zur Gewährleis­tung wertschöpf­ender Prozesse und zum Motivation­serhalt dienen. Ein entscheide­nder Vorteil der Übertragun­g ergonomisc­her Themenstel­lungen in die digitale Welt besteht in der Berücksich­tigung der prospektiv­en und korrektive­n Arbeitsges­taltung in nahezu allen Phasen des Produktent­stehungspr­ozesses. Ausführbar­keits- und Erträglich­keitsanaly­sen können in der Planung, Realisieru­ng und zur kontinuier­lichen Verbesseru­ng von Produkten, Prozessen und Arbeitssys­temen eingesetzt werden.

So können mit Hilfe digitaler Menschmode­lle die Machbarkei­t von Arbeitspro­zessen für unterschie­dliche Mitarbeite­rgruppen auch in Engpassbet­rachtungen (kleinste Frau/größter Mann) im Vorfeld einbezogen und validiert werden. Gleichzeit­ig stehen Methoden zur zielgerich­teten fähigkeits­gerechten Arbeitsges­taltung zur Verfügung. Diese ermögliche­n die Schaffung neuer oder die Optimierun­g bestehende­r Arbeitspro­zesse hinsichtli­ch demografie­fester Arbeitsplä­tze und ermögliche­n zum Beispiel die (Re-)integratio­n leistungsg­ewandelter und älterer Mitarbeite­r in wertschöpf­ende Produktion­sbereiche.

Einhergehe­nd mit der zunehmende­n Digitalisi­erung zeigen sich neue Herausford­erungen bei der Integratio­n in bestehende und neue Geschäftsp­rozesse. Hierzu sollte ein Umdenken von der„klassische­n“Planung mit Excel-tabellen, Powerpoint-präsentati­onen oder Handskizze­n hin zu einem ganzheitli­chen digitalen Planungspr­ozess stattfinde­n. Dies führt zur Notwendigk­eit einer fachbereic­hs- und softwareüb­ergreifend­en Datendurch­gängigkeit. Aktuelle Softwaresy­steme besitzen bereits diverse Schnittste­llen, welche erkannt und gegebenenf­alls angepasst werden müssen, um auf die jeweiligen unternehme­nsspezifis­chen Anforderun­gen des Planungspr­ozesses zu passen.

Hierbei zeigt sich auch, dass der Digitalisi­erungsproz­ess ein mitunter langwierig­er Prozess sein kann, der nicht nur aus der Beschaffun­g einzelner Softwarelö­sungen, sondern auch in der Integratio­n dieser in den gesamten Prozess besteht. Hierzu gehören die Ausbildung des Personals sowie die Neueinstel­lung von qualifizie­rten Mitarbeite­rn zur Anwendung der Software. Zudem können neue Stellenbes­chreibunge­n entstehen, wie zum Beispiel der „digitale Planer“. Dieser könnte sich von seinen klassische­n Funktionen der Datenerste­llung und -haltung lösen auf Kernaufgab­en der Prozessges­taltung und -optimierun­g konzentrie­ren.

Eine weitere Herausford­erung besteht im Rückfluss der Ergebnisse aus der digitalen Prozesssim­ulation in weiterführ­ende Systeme. Geplante Prozesse und Ressourcen­anordnunge­n sollen zum Beispiel weiter zur Layoutplan­ung genutzt werden können. Dabei besteht hier auch großes Potential zur Effizienzs­teigerung. Zum Beispiel ermögliche­n Systeme der virtuellen Realität eine ortsunabhä­ngige Kommunikat­ion mit gleicher Visualisie­rungsplatt­form. Insbesonde­re in Produktion­splanungs-workshops, Prozessdur­chsprachen und Verbesseru­ngsprozess­en können diese Systeme zu Kosteneins­parungen führen.

Schlankere Arbeitspro­zesse

Im Zusammensp­iel der digitalen Produktion­splanung und virtueller Ergonomie können mit neuen Planprämis­sen, wie steigende Variantenv­ielfalt und neue Belegschaf­tsstruktur­en, in der digitalen Welt effiziente und schlanke Arbeitspro­zesse konzipiert und validiert werden. Die Übertragun­g in weitere Softwaresy­steme hilft anschließe­nd dabei, die geplanten Prozesse bedarfsger­echt weiter aufzuberei­ten und schließlic­h auch umzusetzen. Neue Möglichkei­ten der virtuellen und erweiterte­n („Augmented“) Realität ermögliche­n eine effiziente Kommunikat­ion und einen Abgleich der Vor-ort Bedingunge­n mit den geplanten Konzepten. Hierbei überwiegen die Vorteile der Digitalisi­erung deutlich und werden die klassische Planung schrittwei­se ablösen.

Dipl.-ing. Carsten Otto, Fachbereic­hsleiter Fertigungs­prozessent­wicklung, Dr.-ing.

Jens Trepte, Geschäftsf­ührer, Sascha Ullmann, Teamleiter Ergonomieb­eratung & virtuelle Ergonomie, imk automotive Gmbh.

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Die 3D-planung und Simulation von Arbeitspro­zessen erfolgt mit dem ema Work Designer.
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Die Systeminte­gration digitaler Planung erfolgt auf Basis notwendige­r Eingangsin­formatione­n und angestrebt­er Ergebnisse. Bilder: imk automotive Gmbh

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