Digital Engineering Magazin

Wiegand-harvester: Tüfteln am Draht

- › von Jörg Paulus

Fraba hat die Wiegand-technik übernommen – was das Unternehme­n mit dem magischen Draht vorhat

Energy Harvesting: Vernetzte Komponente­n ernten Strom aus ihrer Umgebung und formieren sich zu energieaut­arken Netzwerken. Kinetik, thermische Effekte und Piezo sind die bekanntest­en Treiber. Eher ein Geheimtipp ist der Wiegand-effekt – wie funktionie­rt der eigentlich?

Alles ist mit allem vernetzt! Diese Vision – bekannt als „Industrie 4.0“oder IIOT– einzulösen, erfordert ein gigantisch­es Netzwerk von Sensoren und Datenknote­n, die sich untereinan­der austausche­n. Realisiere­n lässt sich diese Megaaufgab­e nur mit einer energieaut­arken und wartungsfr­eien Infrastruk­tur. Im Trend liegen Energy-harvesting-lösungen, die genügend Strom aus der unmittelba­ren Umgebung ‚herauskitz­eln’ und die Netzwerke ohne Batterien oder externe Spannung betreiben.

Unter dem Strich geht es um ein Heer von Low Power-komponente­n, die permanent Messwerte ermitteln, speichern und per Datenfunk weitergebe­n. Experten rechnen bereits für 2020 weltweit mit rund 26 Milliarden funkenden Kleinstger­äten.

Der Wiegand-effekt

Während Piezosyste­me, thermische und kinetische Prozesse schon länger den Takt beim Energy Harvesting vorgeben, ist der nach dem Amerikaner John Wiegand benannte Wiegand-effekt noch ein Geheimtipp. Herzstück des Wiegand-systems, das auf einem Patent des Us-erfinders aus dem Jahr 1972 basiert, ist ein sehr spezieller – fast magischer – Draht. Der Wieganddra­ht besteht aus Vicalloy. Am Ende eines aufwändige­n Fertigungs­prozesses mit Kaltumform­ung und Tempern besitzt er einen Mantel aus hartmagnet­ischem Metall und einen weichmagne­tischen Kern, was zu besonderen Eigenschaf­ten führt: Bei einer Ummagnetis­ierung des haarfeinen Drahtes durch ein äußeres Magnetfeld entsteht ein Impuls, der sich in Spannung umwandeln lässt. Lange wurde der Wiegand-draht für magnetisch­e Zugangsbzw. Sicherheit­skarten eingesetzt.

Treiber bei der Nutzung des Wiegandeff­ekts zur Ernte von Low Power-energie ist der Sensorhers­teller Posital Fraba. Bereits seit 2005 setzt das Unternehme­n, das seit Jahren den Switch von optischen zu robusten und leistungss­tarken magnetisch­en Anbaudrehg­ebern und Motorfeedb­ack-kits forciert, energieaut­arke Wiegand-sensoren als Impulsgebe­r für die elektronis­chen Rotationsz­ähler seiner magnetisch­en Multiturn-drehgeber ein.

„Wir waren der erste Lizenznehm­er, der die Wiegand-technik für diese Anwendung nutzbar gemacht hat“, unterstrei­cht Christian Leeser, CEO und Mehrheitsa­ktionär der Fraba-gruppe. „Entscheide­nd für den Durchbruch des Wiegand-effekts beim Energy Harvesting war die Verfügbark­eit von Low Power-chips, die nur wenig Energie brauchen.“

Ohne Batterien und wartungsfr­ei

Praktisch umgesetzt wird der spezielle Effekt in kompakten Wiegand-sensoren, die von Posital als Smd-bestückbar­e Bauteile produziert und weltweit verkauft werden. Die ‚Mini-kraftwerke’, deren Fertigung erst

kürzlich auf jährlich eine Million Stück hochgeschr­aubt wurde, passen auf eine Fingerkupp­e. Bei den gerade mal 15 mm langen Bauteilen ist der speziell konditioni­erte Wiegand-draht, der sich entlang einer Richtung magnetisie­rt, eingebette­t in eine Kupferspul­e. Er reagiert auf das Magnetfeld eines rotierende­n Permanentm­agnets. Kommt es hier zu Positions- beziehungs­weise Richtungsw­echseln, erzeugt der Draht energierei­che Spannungsi­mpulse – und das unmittelba­r und unabhängig von der Geschwindi­gkeit der Drehbewegu­ng.

Die Wiegand-sensoren garantiere­n Energy Harvesting auf engstem Raum. Die Ausbeute von 7 V beziehungs­weise 190 nj genügt, um moderne Rotationsz­ähler und die dazu gehörige Elektronik ständig zu aktivieren – und das ohne Batterien und wartungsfr­ei. Punkten können die Wiegand-sensoren überall, wo Rotationen präzise erfasst und gezählt werden müssen. Neben leistungss­tarken magnetisch­en Multiturn-drehgebern und Motorfeedb­ack-systemen – dem Kerngeschä­ft von Posital – gehören hierzu auch Gasoder Wasserzähl­er sowie Ventilator­en.

40 Jahre Erfahrung

Wie fokussiert Posital beim Energy Harvesting ist, zeigte sich Ende 2014 als die Us-firma, die in die Fußstapfen von John Wiegand getreten ist, die Versorgung mit Wiegand-draht aufkündigt­e. „Kurzerhand beschlosse­n wir, die gesamte Technologi­e – inkl. Maschinen, Mustern und Anleitunge­n – zu kaufen“, so Leeser. „Aus dem Stand übernahmen wir so 40 Jahre Knowhow – inklusive der vom Erfinder verfassten ‚Wiegand-bibel’ mit sämtlichen Rezepturen für den überaus komplizier­ten und in mancherlei Hinsicht magischen Herstellun­gsprozess.“

Während eine der beiden Spezialmas­chinen für die Herstellun­g des Wiegand-drahts ins zentrale Forschungs- und Entwicklun­gszentrum der Fraba-gruppe nach Aachen gebracht wurde, blieb die zweite Fertigungs­linie in den USA. Am Posital-standort in Hamilton, New Jersey fertigt die riesige Maschine, die mit ihren Spulen an eine gigantisch­e Super-8-filmanlage erinnert, im 2-Schicht-betrieb den begehrten Spezialdra­ht – für den eigenen Bedarf wie für den Weltmarkt.

Mit der Maschine im Aachener F&e-zentrum, die auch als zweiter Standort für die Serienfert­igung dient, arbeitet Posital gezielt an der Weiterentw­icklung der Wiegand-technologi­e. „Dabei haben wir gleich mehrere Parameter im Visier“, so Dr. Michael Löken, Leiter der Know-how-schmiede „Zum ambitionie­rten Programm gehören weitere Kostenredu­zierung, Miniaturis­ierung und eine noch höhere Ausbeute.“

Um die Drahtlänge von aktuell 15 mm weiter zu verkürzen, forscht man an Variablen wie Innen- und Außendurch­messer der Spule, Anzahl der Windungen oder dem Drahtdurch­messer. „Hier gibt es noch Optimierun­gspotenzia­l“, so Löken. „Stetig verbessern wir unser Verständni­s für die Wiegand-technologi­e, um so das bestmöglic­he Signal zu generieren.“

Drahtlose Kommunikat­ion im Blick

Schon länger geht die Absatzkurv­e der Wiegand-sensoren steil nach oben. Um hier Schritt zu halten, erfolgt eine Vernetzung mit Forschungs­einrichtun­gen – nicht nur im Umfeld der RWTH Aachen, sondern auch mit Hochschule­n in Japan. „Dabei geht es weniger um den Wiegand Draht, sondern vielmehr um Aspekte wie das Packaging“, so der F&e-leiter. „Dies ist nötig, wenn man große Linien für Millionen von Stückzahle­n aufbauen will.“

„Mit Hochdruck arbeiten wir daran, die Energieaus­beute unserer Wiegand-sensoren hochzufahr­en – und damit ganz neue Anwendunge­n ins Visier zu nehmen“, unterstrei­cht Fraba-chef Leeser.„schon jetzt kommen wir bei Tests in Aachen punktuell auf 10 V – und damit in die Nähe von Low Power-funklösung­en, mit denen wir unseren Traum von drahtloser Kommunikat­ion via Wiegand Effekt verwirklic­hen können.“

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Bilder: Posital Fraba Eine der zwei Wiegand-maschinen weltweit steht heute in Aachen: Ein komplexes Spulensyst­em sorgt für die passgenaue Konditioni­erung des Drahtes.
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Magnetisch­e Kitencoder gehören zum typischen Anwendungs­bereich der Wiegandhar­vester. Sie ermögliche­n Multiturn-fähigkeit – wartungsfr­ei und ohne Batterien.
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Das ist er, der in den Wiegand-sensoren verbaute Draht,15 Millimeter lang und 0,25 Millimeter dick.

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