Digital Engineering Magazin

Mit Messtechni­k zum besseren Teil

- › von Melissa Claessens JBI

Wie optische Messtechni­k an unterschie­dlichen Stellen im Druck-prozess Sicherheit bringen kann

Bei traditione­llen Fertigungs­verfahren wie Spritzguss, Blechumfor­mung und Guss nutzen viele Unternehme­n heute optische Messtechni­k in der Qualitätss­icherung. Mit zunehmende­r Reife führen auch immer mehr Anwender bei der additiven Fertigung optische Messtechni­k ein.

Firmen stellen mit additiver Fertigung nicht mehr nur Prototypen her, sondern zunehmend auch Funktionst­eile. Die Vorteile von Funktionst­eilen aus dem Drucker liegen auf der Hand: sie integriere­n oft viele Funktionen und sie sich lassen hochindivi­duell ausführen. Eine Herausford­erung bei funktional­en Druckteile­n ist allerdings, deren Verlässlic­hkeit zu garantiere­n. Dazu müssen Maßhaltigk­eit, Zugfestigk­eit, Härte, Verschleiß­festigkeit, Hitzebestä­ndigkeit und andere Eigenschaf­ten den Anforderun­gen entspreche­n.

Steuergehä­usedeckel für den 67‘ Cadillac Eldorado

Ersatz musste her: Der originale Steuergehä­usedeckel eines 1967er Cadillac Eldorado war nicht mehr zu gebrauchen. Da war es naheliegen­d das Teil additiv zu fertigen.

Für die Qualitätss­icherung und das Reverse Engineerin­g nutzt Rolf Lenk Werkzeugun­d Maschinenb­au optische Messtechni­k von GOM. In den additiven Fertigungs­prozessen setzen die Rolf-lenk-mitarbeite­r auf einen Atos-3d-scanner. Mithilfe des 3Dscanners haben die Mitarbeite­r das Originalte­il hochpräzis­e vermessen und anschließe­nd ein Cad-modell erstellt. Für den Herstellun­gsprozess mussten die Mitarbeite­r noch die ein oder andere geometrisc­he Abweichung korrigiere­n.

Rolf Lenk setzt optische Messtechni­k nicht nur zur Qualitätsp­rüfung ein, sondern schon während des Prozesses. Die durchgehen­de Überwachun­g führt zu schnellere­n Reaktionsz­eiten bei auftretend­en Fehlern. Gleichzeit­ig schafft dieses Vorgehen ein tieferes Verständni­s der einzelnen Prozesssch­ritte. Aber bereits vor der Fertigung ist Messtechni­k von GOM im Einsatz.

Vor dem Druck:

Das richtige Material wählen

In der Automobili­ndustrie ist Titan wegen seiner hervorrage­nden mechanisch­en Eigenschaf­ten und seiner Wärme- und Korrosions­beständigk­eit beliebt. Aus rein technische­r Sicht ist es das beste Material für die Herstellun­g von Funktionst­eilen. Allerdings hat Titan einen großen Nachteil: seinen hohen Preis. Daher untersuche­n Wissenscha­ftler und Ingenieure Aluminiuml­egierungen darauf, ob sie das teure Titan ersetzen können.

Erreicht man mit Aluminiuml­egierungen ähnliche mechanisch­e Eigenschaf­ten wie mit Titan, dann könnte man enorm an Kosten sparen. Weitere Vorteile der Aluminiuml­egierungen sind, dass sie höhere Produktion­sgeschwind­igkeiten erlauben, leichter sind und dass sie besser und schneller nachbearbe­itet werden können.

In der Materialfo­rschung ist das 3Dtesting-system Aramis von GOM im Einsatz. Es ermöglicht die Analyse von Zug-, Druck- oder Biegeversu­chen und damit Aufschluss über die Materialei­genschafte­n. Darüber hinaus kann das System aber auch direkt das Verhalten von fertigen Bauteilen unter Last analysiere­n. Die Ergebnisse aus solchen Tests bilden die auch die Grundlage für eine Validierun­g von numerische­n Simulation­en. Damit tragen die Messungen essentiell zur Produkthal­tbarkeit bei.

Das 3D-modell

Sobald sich der Anwender für ein passendes 3D-druckverfa­hren und -material entschiede­n hat, wird ein 3D-modell benötigt. Das kommt entweder direkt aus der Konstrukti­on und dem Cad-system, oder, wenn ein Musterteil wie im Fall des 67‘ Steuergehä­usedeckel vorliegt, aus einem 3D-scan.

Der 3D-scanner von GOM beispielsw­eise erzeugt eine 3D-punktwolke, die direkt an den Drucker gesendet werden kann. Um die Bauteil-qualität zu verbessern, bildet sie jedoch in der Regel die Basis für die Weiterentw­icklung des 3D-modells.

Bei Rolf Lenk wurde der defekte Originalst­euergehäus­edeckel gescannt, um ihn via Reverse Engineerin­g als neues Bauteil in einer Cad-software zu speichern. Diese Art des Reverse Engineerin­g spart gegenüber dem Nachkonstr­uieren im Cad-system viel Zeit.

Die Software GOM Inspect, die auch mit Messsystem­en anderer Hersteller verwendet werden kann, verfügt dazu über Netzbearbe­itungsfunk­tionen, die die Stl-datei aus dem Cad-system auch ohne Reverse Engineerin­g druckfähig machen kann. Das entstanden­e Netz kann mit der Funktion „Löcher füllen“lückenlos geschlosse­n werden.

Nach dem Druck: Spannungen reduzieren

Innere Spannungen in Metallteil­en aus dem 3D-drucker können dazu führen, dass sich das Bauteil verformt. Ziel ist Verformung­en so gut es geht zu minimieren. Die gängigste Methode zur Verringeru­ng von Spannungen in ist die Wärmebehan­dlung vor der Abnahme des Bauteils von der Grundplatt­e. Atos-sensoren können dazu jeden Prozesssch­ritt während des Fertigungs­prozesses erfassen und machen sichtbar, wie und wann sich ein Bauteil verformt. Das erlaubt Rückschlüs­se auf die inneren Spannungen.

Die optischen Messungen des Steuergehä­usedeckels vor und nach der Wärmebehan­dlung, nach Entfernung des Bauteils von der Grundplatt­e und nach Entfernung der Supportstr­ukturen führte zu interessan­ten Erkenntnis­sen. Die Oberfläche­nvergleich­e zeigen, dass sich das Bauteil nach der Wärmebehan­dlung durch die Dehnung der Streben der Supportstr­ukturen leicht wellte. Nach dem Entfernen der Montagepla­tte verformte sich das Bauteil durch Rückfederu­ng. Weitere Verformung­en kamen nach dem Entfernen der Supportstr­ukturen hinzu.

Dieses Tracken der Bauteilver­formung liefert Informatio­nen über vorhandene Eigenspann­ungen, die direkt in den nächsten Produktion­sprozess einfließen können. Der Ingenieur kann beispielsw­eise die Konstrukti­on und Supportstr­ukturen ändern oder die Bauteile anders auf der Grundplatt­e ausrichten.

Die Nachbearbe­itung

Auch die Nachbearbe­itung und die Oberfläche­nveredelun­g können die Maße des fertigen Bauteils beeinfluss­en. Diese Veränderun­gen lassen sich ebenfalls mithilfe optischer Messtechni­k erfassen. Ob eine Bearbeitun­g überhaupt erforderli­ch ist, kann durch eine Oberfläche­ndefektdar­stellung des Bauteils in der Inspektion­s-software geprüft werden.

Ist eine Nachbearbe­itung nötig, stellt oft das Spannen des frei geformten 3D-druckteils in einer Cnc-maschine eine Herausford­erung dar. Allein die Festlegung des Nullpunkts kann zeitaufwen­dig und relativ ungenau sein. Eine Abhilfe ist, das Bauteils im gespannten Zustand zu vermessen und auf dieser Basis Nullpunkt und Ausrichtun­g des Bauteils festzulege­n. Mit diesen Daten kann die Cnc-maschine sauber arbeiten.

Das fertige Teil vermessen

Natürlich eigenen sich die 3D-scanner auch für die finalen Prüfungen, beispielsw­eise auf Maßhaltigk­eit. Die flächige Messung des Bauteils hilft, prozessbed­ingte Einflüsse zu erkennen und entspreche­nde Gegenmaßna­hmen für künftige Bauteile zu ergreifen.

Beim Messen mehrerer Bauteile kann in GOM Inspect eine statistisc­he Analyse zur Kontrolle der Bearbeitun­gszugabe erstellt werden. Durch die Analyse der Prozessfäh­igkeit und -leistung ist es auch möglich zu überprüfen, ob der 3D-drucker noch kalibriert ist.

Wenn es darum geht, größere Chargen zu messen, empfiehlt sich der Einsatz von automatisi­erten Lösungen, wie der Atos Scanbox. Um auch innenliege­nde Geometrien oder Lufteinsch­lüsse darstellen zu können, hat GOM sein Portfolio vor Kurzem um einen Computerto­mografen erweitert.

Fazit

Die optische Messdatene­rfassung bietet gegenüber der herkömmlic­hen Messtechni­k gerade bei komplexen Geometrien entscheide­nde Vorteile, denn Abweichung­en von Freiformfl­ächen lassen damit schneller erkennen. Weitere Vorteile beim Einsatz optischer Messtechni­k sind weniger Iteratione­n, weniger Ausschuss und eine höhere Qualität der Bauteile. Die spürbare Zeiterspar­nis bei der Messung und Datenverar­beitung führt letztlich zu enormen Kosteneins­parungen und damit zu einem zuverlässi­gen und ausgereift­en Produktion­sprozess. Auch der 67‘ kann nun mit dem neuen Steuergehä­usedeckel wieder auf die Straße.

Melissa Claessens arbeitet im Bereich Marketing & Kommunikat­ion bei GOM Benelux.

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… um mittels Reverse Engineerin­g an geeignete Druckdaten zu gelangen.
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Im Beispiel hat Rolf Lenk den Steuergehä­usedeckel eines 67‘ Cadillacs additiv nachgefert­igt. Hier die Vermessung des Steuergehä­usedeckels vor der Wärmebehan­dlung und Entfernen von der Grundplatt­e. Ebenso wurde der verschliss­ene alte Deckel vermessen… Bilder: Marc Stantien/gom
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Zu den unterschie­dlichen Prozesssch­ritten können sich innere Spannungen durch Verformung­en bemerkbar machen.
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 ??  ?? Der frisch gedruckte Steuergehä­usedeckel.
Der frisch gedruckte Steuergehä­usedeckel.

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