Mit Messtechnik zum besseren Teil
Wie optische Messtechnik an unterschiedlichen Stellen im Druck-prozess Sicherheit bringen kann
Bei traditionellen Fertigungsverfahren wie Spritzguss, Blechumformung und Guss nutzen viele Unternehmen heute optische Messtechnik in der Qualitätssicherung. Mit zunehmender Reife führen auch immer mehr Anwender bei der additiven Fertigung optische Messtechnik ein.
Firmen stellen mit additiver Fertigung nicht mehr nur Prototypen her, sondern zunehmend auch Funktionsteile. Die Vorteile von Funktionsteilen aus dem Drucker liegen auf der Hand: sie integrieren oft viele Funktionen und sie sich lassen hochindividuell ausführen. Eine Herausforderung bei funktionalen Druckteilen ist allerdings, deren Verlässlichkeit zu garantieren. Dazu müssen Maßhaltigkeit, Zugfestigkeit, Härte, Verschleißfestigkeit, Hitzebeständigkeit und andere Eigenschaften den Anforderungen entsprechen.
Steuergehäusedeckel für den 67‘ Cadillac Eldorado
Ersatz musste her: Der originale Steuergehäusedeckel eines 1967er Cadillac Eldorado war nicht mehr zu gebrauchen. Da war es naheliegend das Teil additiv zu fertigen.
Für die Qualitätssicherung und das Reverse Engineering nutzt Rolf Lenk Werkzeugund Maschinenbau optische Messtechnik von GOM. In den additiven Fertigungsprozessen setzen die Rolf-lenk-mitarbeiter auf einen Atos-3d-scanner. Mithilfe des 3Dscanners haben die Mitarbeiter das Originalteil hochpräzise vermessen und anschließend ein Cad-modell erstellt. Für den Herstellungsprozess mussten die Mitarbeiter noch die ein oder andere geometrische Abweichung korrigieren.
Rolf Lenk setzt optische Messtechnik nicht nur zur Qualitätsprüfung ein, sondern schon während des Prozesses. Die durchgehende Überwachung führt zu schnelleren Reaktionszeiten bei auftretenden Fehlern. Gleichzeitig schafft dieses Vorgehen ein tieferes Verständnis der einzelnen Prozessschritte. Aber bereits vor der Fertigung ist Messtechnik von GOM im Einsatz.
Vor dem Druck:
Das richtige Material wählen
In der Automobilindustrie ist Titan wegen seiner hervorragenden mechanischen Eigenschaften und seiner Wärme- und Korrosionsbeständigkeit beliebt. Aus rein technischer Sicht ist es das beste Material für die Herstellung von Funktionsteilen. Allerdings hat Titan einen großen Nachteil: seinen hohen Preis. Daher untersuchen Wissenschaftler und Ingenieure Aluminiumlegierungen darauf, ob sie das teure Titan ersetzen können.
Erreicht man mit Aluminiumlegierungen ähnliche mechanische Eigenschaften wie mit Titan, dann könnte man enorm an Kosten sparen. Weitere Vorteile der Aluminiumlegierungen sind, dass sie höhere Produktionsgeschwindigkeiten erlauben, leichter sind und dass sie besser und schneller nachbearbeitet werden können.
In der Materialforschung ist das 3Dtesting-system Aramis von GOM im Einsatz. Es ermöglicht die Analyse von Zug-, Druck- oder Biegeversuchen und damit Aufschluss über die Materialeigenschaften. Darüber hinaus kann das System aber auch direkt das Verhalten von fertigen Bauteilen unter Last analysieren. Die Ergebnisse aus solchen Tests bilden die auch die Grundlage für eine Validierung von numerischen Simulationen. Damit tragen die Messungen essentiell zur Produkthaltbarkeit bei.
Das 3D-modell
Sobald sich der Anwender für ein passendes 3D-druckverfahren und -material entschieden hat, wird ein 3D-modell benötigt. Das kommt entweder direkt aus der Konstruktion und dem Cad-system, oder, wenn ein Musterteil wie im Fall des 67‘ Steuergehäusedeckel vorliegt, aus einem 3D-scan.
Der 3D-scanner von GOM beispielsweise erzeugt eine 3D-punktwolke, die direkt an den Drucker gesendet werden kann. Um die Bauteil-qualität zu verbessern, bildet sie jedoch in der Regel die Basis für die Weiterentwicklung des 3D-modells.
Bei Rolf Lenk wurde der defekte Originalsteuergehäusedeckel gescannt, um ihn via Reverse Engineering als neues Bauteil in einer Cad-software zu speichern. Diese Art des Reverse Engineering spart gegenüber dem Nachkonstruieren im Cad-system viel Zeit.
Die Software GOM Inspect, die auch mit Messsystemen anderer Hersteller verwendet werden kann, verfügt dazu über Netzbearbeitungsfunktionen, die die Stl-datei aus dem Cad-system auch ohne Reverse Engineering druckfähig machen kann. Das entstandene Netz kann mit der Funktion „Löcher füllen“lückenlos geschlossen werden.
Nach dem Druck: Spannungen reduzieren
Innere Spannungen in Metallteilen aus dem 3D-drucker können dazu führen, dass sich das Bauteil verformt. Ziel ist Verformungen so gut es geht zu minimieren. Die gängigste Methode zur Verringerung von Spannungen in ist die Wärmebehandlung vor der Abnahme des Bauteils von der Grundplatte. Atos-sensoren können dazu jeden Prozessschritt während des Fertigungsprozesses erfassen und machen sichtbar, wie und wann sich ein Bauteil verformt. Das erlaubt Rückschlüsse auf die inneren Spannungen.
Die optischen Messungen des Steuergehäusedeckels vor und nach der Wärmebehandlung, nach Entfernung des Bauteils von der Grundplatte und nach Entfernung der Supportstrukturen führte zu interessanten Erkenntnissen. Die Oberflächenvergleiche zeigen, dass sich das Bauteil nach der Wärmebehandlung durch die Dehnung der Streben der Supportstrukturen leicht wellte. Nach dem Entfernen der Montageplatte verformte sich das Bauteil durch Rückfederung. Weitere Verformungen kamen nach dem Entfernen der Supportstrukturen hinzu.
Dieses Tracken der Bauteilverformung liefert Informationen über vorhandene Eigenspannungen, die direkt in den nächsten Produktionsprozess einfließen können. Der Ingenieur kann beispielsweise die Konstruktion und Supportstrukturen ändern oder die Bauteile anders auf der Grundplatte ausrichten.
Die Nachbearbeitung
Auch die Nachbearbeitung und die Oberflächenveredelung können die Maße des fertigen Bauteils beeinflussen. Diese Veränderungen lassen sich ebenfalls mithilfe optischer Messtechnik erfassen. Ob eine Bearbeitung überhaupt erforderlich ist, kann durch eine Oberflächendefektdarstellung des Bauteils in der Inspektions-software geprüft werden.
Ist eine Nachbearbeitung nötig, stellt oft das Spannen des frei geformten 3D-druckteils in einer Cnc-maschine eine Herausforderung dar. Allein die Festlegung des Nullpunkts kann zeitaufwendig und relativ ungenau sein. Eine Abhilfe ist, das Bauteils im gespannten Zustand zu vermessen und auf dieser Basis Nullpunkt und Ausrichtung des Bauteils festzulegen. Mit diesen Daten kann die Cnc-maschine sauber arbeiten.
Das fertige Teil vermessen
Natürlich eigenen sich die 3D-scanner auch für die finalen Prüfungen, beispielsweise auf Maßhaltigkeit. Die flächige Messung des Bauteils hilft, prozessbedingte Einflüsse zu erkennen und entsprechende Gegenmaßnahmen für künftige Bauteile zu ergreifen.
Beim Messen mehrerer Bauteile kann in GOM Inspect eine statistische Analyse zur Kontrolle der Bearbeitungszugabe erstellt werden. Durch die Analyse der Prozessfähigkeit und -leistung ist es auch möglich zu überprüfen, ob der 3D-drucker noch kalibriert ist.
Wenn es darum geht, größere Chargen zu messen, empfiehlt sich der Einsatz von automatisierten Lösungen, wie der Atos Scanbox. Um auch innenliegende Geometrien oder Lufteinschlüsse darstellen zu können, hat GOM sein Portfolio vor Kurzem um einen Computertomografen erweitert.
Fazit
Die optische Messdatenerfassung bietet gegenüber der herkömmlichen Messtechnik gerade bei komplexen Geometrien entscheidende Vorteile, denn Abweichungen von Freiformflächen lassen damit schneller erkennen. Weitere Vorteile beim Einsatz optischer Messtechnik sind weniger Iterationen, weniger Ausschuss und eine höhere Qualität der Bauteile. Die spürbare Zeitersparnis bei der Messung und Datenverarbeitung führt letztlich zu enormen Kosteneinsparungen und damit zu einem zuverlässigen und ausgereiften Produktionsprozess. Auch der 67‘ kann nun mit dem neuen Steuergehäusedeckel wieder auf die Straße.
Melissa Claessens arbeitet im Bereich Marketing & Kommunikation bei GOM Benelux.