Digitaler Zwilling für faktenbasierte Entscheidungen
Der Zulieferer Hilite nutzt den digitalen Zwilling für die Optimierung der Produktionsanlage
Die Anwendung von digitalen Modellen im Zusammenspiel mit der Simulation wird zukünftige Anlagen- und Maschinenplanungen immer mehr bestimmen. Nach ihrer Erstellung können die virtuellen Modelle alle verfügbaren Informationen der realen Anlage aufnehmen und so die Produktion virtuell nachbilden. Der Zulieferer Hilite nutzt den digitalen Zwilling, um Engpässe in der Produktionsanlage zu erkennen und Probleme zu analysieren.
Als Zulieferer für die Automobilindustrie mit 1.700 Mitarbeitern fertigt Hilite International verschiedene Baugruppen für Motorsteuerungen wie Nockenwellenversteller, Doppelkupplungsgetriebe, Ventilbausätze, Pleuel und andere Motorkomponenten. Bei diesen Produkten handelt es sich um komplexe Baugruppen. Deshalb sind alle Produktionsanlagen individuell gestaltet und mit nur wenigen Standardkomponenten ausgestattet, was die Inbetriebnahme besonders zeitaufwändig und fehlerträchtig macht.
Im Rahmen seiner Digitalisierungsinitiative suchte Hilite deshalb nach Möglichkeiten, Aufwand und Risiken bei der Inbetriebnahme deutlich zu reduzieren. Das Unternehmen beauftragte den Automatisierungsspezialisten Heitec aus Erlangen, einen digitalen Zwilling für eine vorhandene Anlage aufzubauen. Ziel war es, den aktuellen Stand auf dem Gebiet der virtuellen Inbetriebnahme einzuschätzen und die Anwendbarkeit der Technologie für das Retrofit von Anlagen im eigenen Unternehmen zu prüfen.
Als Lösung bot sich das Konzept der realen Inbetriebnahme am virtuellen Modell an. Das virtuelle Modell bildet dabei alle wesentlichen funktionalen Gegebenheiten der Anlage in Echtzeit nach. Mit ihm können auch alle gegenwärtigen und künftigen Betriebsabläufe in der entsprechenden Produktionsumgebung in Echtzeit getestet und mit der Original-automatisierungssoftware gesteuert werden.
Fehlerfreie Steuerung und schnellere Inbetriebnahme
Der Inbetriebsetzer macht vor dem Rechner genau das, was er auch bei der Inbetriebnahme an der realen Maschine machen würde. Das Ergebnis ist eine fehlerfreie Steuerung und ein verkürzter Zeitaufwand für die Inbetriebnahme. Da die Anlagen in der Automobilindustrie meist ein- bis zweimal im Produktlebenszyklus konzeptionell umgebaut werden müssen, lohnt sich die Entwicklung eines digitalen Zwillings schon bei der Erstinbetriebnahme. Im weiteren Retrofit kann dann auf die Daten zurückgegriffen werden.
Heitec hat mit HEIVM (Heitec Vitual Machine) eine Lösung entwickelt, die auf umfangreiche Bibliotheken mit knapp 4.000 verschiedenen virtuellen Komponenten, angefangen von Robotern und Förderbändern über Automatisierungssysteme bis hin zu Sensoren und Aktoren, zurückgreift. Die Kernkompetenz der echtzeitfähigen Heivm-lösung besteht hierbei in der projekt- und lösungsbasierten Umsetzung von spezifischen Kundentechnologien in den dafür vorgesehenen virtuellen Inbetriebnahmeprodukten, wie Siemens Mechatronic Concept Designer, ISG Virtous oder Machineering Industrial Physics. Außerdem verfügt die Lösung über Kommunikationsmodule, mit denen sich beispielsweise alle gängigen Emulationen der Robotiksteuerungen anschließen lassen.
Digitaler Zwilling simuliert Maschinenpark
In einer virtuellen Inbetriebnahme simuliert der digitale Zwilling zwar den Maschinenpark, nicht aber die Steuerungen. Diese werden in einer Hardware-in-the-loop
Simulation über die identischen Feldbusschnittstellen wie auch in Realität an die virtuellen Modelle angeschlossen. Durch die Emulation der Schnittstelle und Anlage in Echtzeit erkennt die Steuerung keinen Unterschied zwischen virtuellem und realem Modell. Daher kann der Automatisierer seine Programme in der gewohnten Steuerungsumgebung prüfen beziehungsweise verbessern.
Allerdings handelt es sich bei den digitalen Modellen um Simulationen, die über eine reduzierte physikalische Wiedergabe der Realität verfügen. Dies ist der Echtzeitanforderung geschuldet. Da eine Simulationsrate innerhalb von ein bis drei Millisekunden stattfinden muss, was dem üblichen Steuertakt entspricht, kann die zu simulierende Anlage im Sinne der Echtzeit aufgrund der aktuellen Rechnerarchitektur nur begrenzt abgebildet werden. Die Finite Elemente Methode (FEM) oder Computional Fluid Dynamics (Cfd)-simulation haben hingegen für einen Rechenschritt meist einen Rechenaufwand von wenigen Minuten bis hin zu mehreren Tagen. Heitec ist seit über zwölf Jahren im Bereich der virtuellen Inbetriebnahme tätig und hat sich hier die Expertise erarbeitet, um eine aus Steuerungssicht exakte Simulation der Anlage zu ermöglichen.
Parameter während der Simulation beeinflussen
Um die genannten Nachteile auszugleichen, den digitalen Zwilling exakt an die Realität anpassen zu können und zugleich die Bedienbarkeit hoch dynamisch zu halten, hat Heitec ein Konzept entwickelt, das es erlaubt, alle nötigen Parameter und Konfigurationen während der Laufzeit der Simulation zu beeinflussen. Um die Interaktion mit dem Anwender zu erhöhen, wurden alle benötigten Funktionalitäten in ein intuitiv bedienbares, webbasiertes Hmi-panel gelegt, welches sowohl lokal als auch dezentral aufgerufen und bedient werden kann. Somit hat der Kunde volle Eingriffsmöglichkeit in den Prozess wie auch in die Taktzeit, ohne die Simulation beenden und neu starten zu müssen.
Darüber hinaus wurden Bestandteile von HEIVM für eine höhere Performance so optimiert, dass die Lösung sowohl die Anforderungen des Sondermaschinen- und Anlagenbaus mit erhöhtem Materialeintrag als auch die Echtzeitkriterien für den digitalen Zwilling erfüllt. Anwender können sich während einer eintägigen Schulung in HEIVM einarbeiten. Hierbei wird unterschieden, ob der Teilnehmer nur die Simulation hochfahren oder selbstständig Änderungen an der Anlagenkonfiguration durchführen möchte.
Heitec als Lösungsanbieter für das virtuelle Prototyping
In der Automobilindustrie ist es üblich, im Zuge von eigenen Produktionserhöhungen auch von ihren OEMS und Zulieferern Leistungs-upgrades in der Größenordnung von mehr als dreißig Prozent zu fordern. Dies geschieht dann meist in einer besonders kritischen Phase im Produktlebenszyklus einer Anlage. Zum einen laufen die bestehenden Anlagen bereits im Zwei- beziehungsweise Dreischichtbetrieb und zum anderen steht für den Umbau der Anlagen nur ein fest definiertes Zeitfenster zur Verfügung. Ohne Leistungseinbußen können solche Modernisierungen deshalb nur in Ferienzeiten oder an Feiertagen oder an Wochenenden durchgeführt werden. Danach muss trotz aller Widrigkeiten bei dem Austausch von Komponenten und Systemen die Produktion wieder reibungslos und sicher laufen.
Da aber sowohl mechanische als auch elektronische Umbauten erfolgen und meist eine komplett neue Software aufgespielt werden muss, sind hier viele Faktoren im Spiel, die einen erfolgreichen
Wiederanlauf der Anlage behindern können. Hier spielen die digitalen Modelle ihre Stärken aus, denn mit ihnen kann ein Migrationskonzept erstellt werden, das die Produktionsbedingungen berücksichtigt und zeigt, wie die heutige Situation ist und wie die gewünschte Zielsituation sein soll.
Anfertigung von Prototypen in der Angebotsphase
Wenn OEMS und Zulieferer in die Weiterentwicklung von Fahrzeugen eingebunden sind, müssen sie unter Umständen schon in der Angebotsphase Prototypen und Produktchargen prototypisch anfertigen. Mit dem virtuellen Modell der Anlage können sie entsprechende Automatisierungs- und Materialflusskonzepte erstellen und diese sowohl in ihrer Funktionalität als auch in ihrem Zeitverhalten auf die Millisekunde genau testen und Prozessabläufe optimieren. Auf diese Weise kann am virtuellen Modell schon eine Vorabnahme zusammen mit dem Kunden stattfinden und weitere Änderungs- und Verbesserungswünsche in die Programmierung und Anlagenbedienung einfließen.
Änderungskonzepte in Elektronik und Mechanik sind sogar vor dem SOP (Start of Production) ohne nennenswerten Mehraufwand realisierbar. Durch das virtuelle Prototyping kann das Unternehmen enorme Kosten einsparen. Hilite konnte bei dem Pilotprojekt die virtuelle Inbetriebnahme als probates Mittel für die eigenen Anforderungen validieren. Sowohl die Leistungsfähigkeit der Heivm-lösung als auch die intuitive Bedienung und Live-konfiguration haben den Zulieferer überzeugt.