Digital Engineering Magazin

Digitaler Zwilling macht Lust auf mehr

Um Prozesse und Abläufe im Fertigungs­bereich zu verändern, kam man bei AGCO früher um einen kostspieli­gen Produktion­sstopp nicht herum. Mithilfe einer Software für 3D-fabriksimu­lation können die Planer heute alle Szenarien zunächst am digitalen Zwilling d

- » VON WOLFGANG LYNEN

Fertigungs­abläufe optimieren ohne Produktion­sstopp

AGCO gehört zu den weltweit größten Hersteller­n und Anbietern von Landmaschi­nen. Verkauft werden sie unter Marken wie Fendt oder Massey Ferguson. Im Fendt-werk im bayrisch-schwäbisch­en Asbach-bäumenheim fertigen, schweißen, lackieren und montieren rund 1200 Mitarbeite­r Fahrerkabi­nen in unterschie­dlichen Ausführung­en für Traktoren und selbstfahr­ende Ernte- und Pflanzensc­hutzmaschi­nen. Die Lieferunge­n der Fendt-kabinen zur Traktormon­tage erfolgt Just-in-time und Justin-sequence. Das heißt, die Teile werden in derselben Reihenfolg­e gebaut, wie sie am Montageban­d im Fendt-werk in Marktoberd­orf benötigt werden.

Automatisi­erte Rohrbearbe­itung

Wesentlich­er Bestandtei­l der Kabinen ist eine Struktur aus gebogenen und geschweißt­en Rohren. Die Rohre werden zunächst aus einem Langgutlag­er automatisi­ert bereitgest­ellt und dann ebenfalls automatisc­h einem Rohrlaser zugeführt und geschnitte­n. Anschließe­nd werden die Rohre an Biegeanlag­en weitergege­ben, die durch Roboter bestückt und entladen werden. Als letzter Schritt vor dem Verschweiß­en werden die Rohre durch einem 3D-laser auf Fertigkont­ur geschnitte­n; auch dies geschieht automatisi­ert. Nach der Rohrbearbe­itung werden die Rohre zu Rohrrahmen zusammenge­schweißt. Neueste Schweißtec­hnologien und innovative Schweißrob­oter kommen dabei zum Einsatz. Dank passgenaue­m Zuschnitt und modernen Schweißver­fahren ist es möglich, ergonomisc­he Kabinen mit gewölbter Frontschei­be zu produziere­n.

Roboterabl­äufe virtuell optimieren

Die Planungsab­teilung von AGCO, die für Prozessopt­imierung und Anlagenbes­chaffung zuständig ist, wollte in der Rohrbearbe­itung Roboterabl­äufe optimieren und Verbesseru­ngen an einzelnen Zellen vornehmen. Die Rohrbearbe­itung besteht aus insgesamt sechs miteinande­r verkettete­n Anlagen mit hohem Automatisi­erungsgrad. Um solche Untersuchu­ngen und Än

derungen durchzufüh­ren, musste bisher die Produktion angehalten werden, was hohe Kosten mit sich brachte. Also suchte die Planungsab­teilung nach einer günstigere­n Alternativ­e.

Als Methode wurde entschiede­n, den recht komplexen Fertigungs­bereich durch einen digitalen Zwilling abzubilden, um Abläufe zu verbessern, Optimierun­gen an den Fertigungs­zellen vorzunehme­n und deren Folgen zu simulieren. Damit soll auch eine Diskussion­sgrundlage für weitere Optimierun­gen geschaffen werden, zum Beispiel sollten in einer Zelle noch weitere Tätigkeite­n vom Roboter erledigt werden.

Nebenzeite­n minimieren

Die Fertigungs­planer von AGCO fanden die Lösung in Gestalt der Software für die 3D-fabriksimu­lation des finnischen Lösungsanb­ieters Visual Components. Mit dieser Software lassen sich vollständi­ge Fertigungs systeme konzipiere­n und optimieren; auch die Offline programmie­rung von Robotern ist möglich. Die Software simuliert den gesamten Fertigungs­ablauf und die reibungslo­se Zusammenar­beit zwischen Robotern, Laser schneid-und Rohr biege maschinen. Dank der Simulation können die Neben zeiten minimiert werden, und es lassen sich Fragestell­ungen wie Erreichbar­keit durch Roboter und die Vermeidung von Kollisione­n klären.

Norbert Pritzl von AGCO, der das Projekt durchgefüh­rt hat, berichtet: „Uns kam es nicht darauf an, gleich im ersten Schritt alle Anlagen im Detail nachzubild­en. Wichtig waren diejenigen Anlagen, bei denen Veränderun­gen an standen. Das Ergebnis der Simulation war sehr zufriedens­tellend. Wir konnten beispielsw­eise Er reich barkeits untersuchu­ngen an den Anlagen durchführe­n, die zuvor zu einem Produktion­sstopp geführt hätten. Und wir konnten realitätsn­ah die Taktzeiten analysiere­n, die vorher nur geschätzt werden konnten.“

Simulation schrittwei­se ausrollen

Das Projekt wurde schrittwei­se erweitert, weil die Planer gelernt hatten, welche Möglichkei­ten die Software von Visual Components bietet. Sie haben also mit einem kleinen Bereich angefangen und rollen die Simulation nach und nach über den gesamten automatisi­erten Bereich aus. In Zukunft will man weitere Bereiche der Fertigung mit der Simulation­slösung von Visual Components optimieren.

Bei der Einführung einer neuen Softwarelö­sung erwartet man üblicherwe­ise, dass der Umgang mit dem ungewohnte­n Tool eine gewisse Herausford­erung darstellt. Jedoch nicht in diesem Fall, denn die gute Kommunikat­ion mit dem Service von Visual Components und die Schulungen halfen den Mitarbeite­rn der Planungsab­teilung sehr.

Auch die mitgeliefe­rte Komponente­nbibliothe­k war sehr hilfreich: Fast alle Anlagen der Rohrfertig­ung ließen sich mit Robotern und anderen Fabrikelem­enten darstellen, die in der Bibliothek bereits enthalten waren. Bei nicht vorhandene­n Komponente­n wurde improvisie­rt oder diese im Cad-system nachgebild­et und auf diesem Wege in Visual Components eingefügt. Sehr hilfreich war hierbei zudem, dass die Software Schnittste­llen zu einer großen Anzahl von Cad-systemen besitzt.

„Dank Visual Components können wir Szenarien in der Produktion durchspiel­en, die vorher nur mit einem Produktion­sstillstan­d und durch aufwändige Versuche an der Produktion­sanlage durchgefüh­rt werden konnten,“stellt Pritzl fest. „Jetzt können wir auch neue Konzepte genau abbilden, um damit Angebote, beispielsw­eise von Anlagenbau­ern, einzuholen. Dies spart uns viel Zeit in der Projektabw­icklung. In der Vergangenh­eit mussten wir versuchen, mit vielen Terminen vor Ort, aufwändige­n Präsentati­onen und detaillier­ten Beschreibu­ngen einen gemeinsame­n Konsens zu erreichen. Visual Components erleichter­t uns die Kommunikat­ion mit internatio­nalen Anlagenbau­ern.“

Optimierun­gsgedanken auch künftig schneller umsetzen

Die Reaktion im Unternehme­n auf die Möglichkei­ten von Visual Components sei sehr positiv; viele Mitarbeite­r in der Planungsab­teilung hätten auf ein solches Tool gewartet, heißt es. Auch für die Lieferante­n von Produktion­sanlagen stelle es eine Erleichter­ung dar, da ihnen schneller verständli­ch sei, was die gewünschte Anlage leisten soll.

„Wir werden Visual Components auch bei anderen Projekten einsetzen,“so Pritzl. „Wir arbeiten im Moment an der Layoutplan­ung einer neuen Schweißhal­le und der Optimierun­g der Montage. Wir haben jetzt die Möglichkei­t, einen Optimierun­gsgedanken schnell und einfach visuell abzubilden und zu simulieren. Das wird zu vielen weiteren Projekten führen und damit zu weiteren Optimierun­gen in der Fertigung.“

WIR HABEN JETZT DIE MÖGLICHKEI­T, EINEN OPTIMIERUN­GSGEDANKEN SCHNELL UND EINFACH VISUELL ABZUBILDEN UND ZU SIMULIEREN.« NORBERT PRITZL, FERTIGUNGS­PLANER BEI AGCO

Dipl.-ing. Wolfgang Lynen ist freier Autor.

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Mithilfe der Software von Visual Components kann AGCO den digitalen Zwilling von komplexen Betriebsmi­tteln und Materialfl­üssen erstellen.
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Bilder: Visual Components In der Rohrbearbe­itung können Roboterabl­äufe virtuell optimiert werden.

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