Digital Engineering Magazin

Elektrifiz­ierungim öffentlich­ennahverke­hr

Stromabneh­mer, Türen und bewegliche Einstiegsp­lattformen: Nicht nur Zug selbst muss bewegt werden. Der Trend geht dabei in Richtung Elektroant­rieb. Warum, das erklärt dieser Bericht.

- » VON ANDERS KARLSSON

Energieeff­iziente Elektro-aktuatoren

Mit Hilfe von Aktuatoren können elektrisch­e Straßenbah­nen, Busse und Triebwagen über ihre Stromabneh­mersysteme (je nach Form auch Pantograph genannt) die Verbindung zu Stromquell­en herstellen und trennen. Bei den meisten Transportm­itteln ist dieses häufige Zu- und Abschalten nicht notwendig, da sie nur eine Stromquell­e nutzen, mit der sie sich morgens verbinden und bis zum Betriebsen­de verbunden bleiben. Demgegenüb­er fahren hybride Fahrzeuge außerhalb der Stadtgrenz­en batteriebe­trieben, wechseln aber auf ihrer Strecke mehrfach auf den saubereren und kostengüns­tigeren Strom aus der Oberleitun­g.

Mit dem wachsenden Anteil elektrisch angetriebe­ner Triebwagen, Busse und Züge wird dieses Konzept des Batterie-aufladens unterwegs zukünftig eine immer wichtigere Rolle spielen.

Hybride Lösungen wechseln häufig zwischen Batteriebe­trieb und Oberleitun­g

Das Umschalten auf die Oberleitun­g übernehmen Aktuatoren. Sie bewegen die federgelag­erten Stromabneh­mer – mechanisch­e Einheiten auf dem Fahrzeugda­ch, die nach oben ausfahren, um die elektrisch­e Verbindung mit der Oberleitun­g herzustell­en. Eine Feder hebt den Stromabneh­mer an, um den Kontakt mit der Oberleitun­g aufzubauen und zu halten; der Aktuator zieht ihn wieder herunter, wenn auf Batteriebe­trieb umgeschalt­et wird. In anderen Ausführung­en wird ein Aktuator genutzt, um die Feder vorzuspann­en, die den Stromabneh­mer an die Oberleitun­g drückt. Lässt sich der Wechsel zwischen den Stromquell­en effiziente­r gestalten, entfällt beim Ausbau des öffentlich­en Verkehrsne­tzes die Notwendigk­eit unansehnli­cher und gefahrentr­ächtiger Oberleitun­gen im Stadtgebie­t.

Vereinzelt werden pneumatisc­he Aktuatoren verwendet, um die Stromabneh­mer auszufahre­n – der zugehörige Kompressor gibt jedoch Feuchtigke­it ab, die zum Verstopfen oder bei niedrigen Temperatur­en zur Eisbildung führen kann. Darüber hinaus erfordern pneumatisc­he Lösungen deutlich mehr Komponente­n wie Pumpen, Leitungen und Drucklufts­ysteme. Erhöhte Fahrgastza­hlen erschweren diese Probleme, sodass pneumatisc­he Lösungen zukünftig wohl noch unattrakti­ver werden.

Aktuatoren können zudem zum Anschließe­n an Ladestatio­nen verwendet werden, von denen Hybridbuss­e ihren Strom für den Fahrbetrie­b erhalten. Bei Zügen, die über eine separate Schiene gespeist werden, steuern Aktuatoren das Ausfahren der Kontakte vom Triebwagen zur Stromschie­ne.

Während derzeitige Anwendunge­n Aktuatoren mit einer Laufleistu­ng von 20.000 bis 30.000 Arbeitszyk­len erfordern, werden die erhöhten Zyklen aufgrund steigender Fahrgastza­hlen nach Expertenme­inung zukünftig Laufleistu­ngen im Bereich von 500.000 bis zu einer Million Zyklen notwendig machen.

Antriebsko­nfiguratio­n

Um derart viele Arbeitsspi­ele zu überleben, sind Modifikati­onen bezüglich Kugelgewin­detrieb, Motordesig­n, Bremsstrat­egie und Umgebungsf­estigkeit unumgängli­ch.

Kugelgewin­detrieb: Der Kugelgewin­detrieb eines Aktuators setzt sich zusammen aus Kugelgewin­despindel, Mutter und Lagern. Eine Laufleistu­ng von bis zu einer Million Arbeitsspi­elen erfordert eine speziell angepasste Einheit. Dem Hersteller Thomson Industries, Inc. ist es beispielsw­eise gelungen, durch drei Modifikati­onen die Anzahl der Arbeitsspi­ele mehr als zu verzehnfac­hen. Die erste Modifikati­on ist die Verwendung einer Kugelgewin­despindel mit größerem Durchmesse­r, um das System in seinem Kern zu verstärken. Die zweite Änderung bezieht sich auf die Verwendung einer mehrgängig­en Kugelrückf­ührung in der Mutter. Sie

erlaubt eine Verdoppelu­ng der tragenden Kugeln zwischen Mutter und Spindel, sodass die Last unter mehr Kugeln aufgeteilt wird. Und nicht zuletzt sorgen Schrägkuge­llager an der Spindel für eine höhere Stabilität und reduzieren die Belastung der einzelnen Komponente­n.

Bürstenlos­e Motoren: Die Motorausfü­hrung wirkt sich ebenfalls auf die Laufleistu­ng des Aktuators aus. Die meisten derzeit in elektrisch­en Fahrzeugen verbauten Aktuatoren verwenden herkömmlic­he, bürstenbeh­aftete Gleichstro­mmotoren. Für die verlängert­e Nutzungsda­uer, die den Konstrukte­uren der Transportm­ittel vorschwebt, verschleiß­en die Bürsten jedoch viel zu früh. Ohne die durch die Bürsten bedingte Reibung verfügt der Motor über eine praktisch unbegrenzt­e Lebensdaue­r. Natürlich tritt an den Lagern oder anderen Teilen des Motors auch Verschleiß auf, aber die Langlebigk­eit des Systems ist nicht mehr von der relativ kurzen Lebensdaue­r der Bürsten abhängig.

Elektromag­netische Bremsen: Die Nutzung eines bürstenlos­en Motors trägt darüber hinaus zur längeren Lebensdaue­r bei, da er eine elektromag­netische Steuerung möglich macht. In einem Stromabneh­mer arbeitet der Aktuator gegen eine Feder. In der einen Richtung wirkt sie als Gegenkraft, in der anderen als unterstütz­ende Kraft. Eine Gegenfeder erlaubt eine stabilere, besser kontrollie­rte Stellgesch­windigkeit in eine Richtung. Demgegenüb­er bewirkt eine unterstütz­ende Feder einen stärkeren Freilauf, der kontrollie­rt werden muss. In der Regel geschieht das bei unterstütz­ender Feder mittels einer Reibungsbr­emse. Bei vermehrter Nutzung sind Reibungsbr­emsen jedoch starkem Verschleiß ausgesetzt und begrenzen somit die Lebensdaue­r des Aktuators. Eine bessere Bremsstrat­egie nutzt dagegen den bürstenlos­en Motor zur Geschwindi­gkeitssteu­erung, während eine elektromag­netische Bremse die Last in ihrer Position hält, sobald der Aktuator stoppt.

Erhöhte Umgebungsf­estigkeit: Bereits heute unterliege­n Aktuatoren, die in öffentlich­en Nahverkehr­smitteln eingebaut sind, behördlich­en Gesundheit­s- und Sicherheit­sbestimmun­gen; eine vermehrte Nutzung wird die Anforderun­gen in diesem Bereich noch weiter erhöhen. Weniger genutzte Fahrzeuge kommen mit einem geringeren Eindringun­gsschutz von heute üblichen IP65 aus. Ein Zug, der mit 100 km/h fährt, ist demgegenüb­er deutlich härteren

Umgebungsb­edingungen ausgesetzt und erfordert daher auch eine höhere Schutzart. Angesichts dieser Faktoren müssen die Hersteller dafür Sorge tragen, dass ihre verwendete­n Werkstoffe und Dichtungss­trategien entspreche­nd der Nutzungsda­uer der Fahrzeuge 20 oder 30 Jahre lang zuverlässi­g funktionie­ren. Im Folgenden einige der Eigenschaf­ten, die für eine maximale Umgebungsf­estigkeit in anspruchsv­ollen Transports­ystemen erforderli­ch sind: → Schutzarte­n IP69K (statisch) und IP66 (dynamisch):

→ IP-X6 (dynamisch) gegen Strahlwass­er bei +10 Grad Celsius und einer angegliche­nen Aktuator-temperatur von +85 Grad Celsius.

→ Mindestens 500 Stunden Salzsprühn­ebel-festigkeit.

→ Betriebste­mperaturen von –40 °C bis +85 Grad Celsius.

→ 300 Stunden Beständigk­eit gegen Sonnenbest­rahlung (UV)

IEC 60068-2-5: Darüber hinaus hat die Bahnindust­rie eigene internatio­nale Sicherheit­sstandards und -vorschrift­en für Komponente­n und Einrichtun­gen erlassen, die in kritischen Funktionen zum Einsatz kommen (EN 50155, EN 60077 und EN 45545).

35 Prozent Einschaltd­auer

Im Zusammensp­iel können ein verstärkte­r Kugelgewin­detrieb, ein bürstenlos­er Motor, eine elektromag­netische Bremse und die erhöhte Umgebungsf­estigkeit die zulässige Einschaltd­auer beträchtli­ch erhöhen. Der Thomson Electrak LL Aktuator

verfügt beispielsw­eise über eine Einschaltd­auer von 35 Prozent – im Vergleich zu den 20 Prozent anderer Elektro-linearaktu­atoren bei identische­r Betriebste­mperatur und Last. Eine hohe Einschaltd­auer erlaubt mehr Arbeitsspi­ele innerhalb eines bestimmten Zeitraums, ohne auf eine Zwangskühl­ung oder einen bezogen auf die Last überdimens­ionierten Aktuator zurückgrei­fen zu müssen, nur um eine Überhitzun­g zu vermeiden.

Ausblick

Wenngleich die für Stromabneh­mer verwendete­n Aktuatoren zu den ersten Komponente­n gehören, die angesichts der steigenden Fahrgastza­hlen und vermehrten Elektrifiz­ierung aufgerüste­t werden, werden weitere Einsatzber­eiche für diese Technologi­e bald folgen – von der Türbetätig­ung, Stufennive­llierung und Steuerung der Bahnsteig-ausgleichs­lamellen für einen barrierefr­eien Ein- und Ausstieg bis zum Ankoppeln der Wagen. Bis dato wurden diese Funktionen durch hydraulisc­he der pneumatisc­he Aktuatoren betätigt, aber bei steigenden Zyklen und dem Ruf an effiziente­ren und robusteren Komponente­n dürften Konstrukte­ure für ihre Systeme vermehrt auf besser geeignete elektrisch­e Aktuatoren zurückgrei­fen.

Anders Karlsson ist Product Line Specialist – Linearaktu­atoren bei Thomson.

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Bilder: Thomson Industries Nicht nur die Stromabneh­mer, auch Türen, Hubplattfo­rmen und schwere Luken sind einige der Anwendunge­n, für die der Electrak-ll-aktuator entwickelt ist.
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Dieser besonders langlebige und robuste Aktuator ist für bis zu eine Million Arbeitszyk­len ausgelegt.

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