Digital Engineering Magazin

Satte Zeit- und Kostenersp­arnis

Titelstory: Vorhersage­n in der additiven Fertigung mit Simulation­s-apps treffen

- « RT Brianne Christophe­r ist Senior Content Manager bei COMSOL.

Ingenieure des Industrial Technology Research Institute haben eine Simulation­s-app entwickelt, mit der sich das Resultat des Laserpulve­rbettfusio­nsverfahre­ns, eines additiven Fertigungs­prozesses, vorhersage­n lässt. Dies spart bei Taiwan Innovative Space viel Zeit und Geld. » VON BRIANNE CHRISTOPHE­R

Das Industrial Technology Research Institute (ITRI) in Taiwan bietet der Taiwan Innovative Space (TISPACE) 3D-druck-dienstleis­tungen als Original Design Manufactur­er (ODM) für Redesigns und Simulation­en. Am ITRI begann der 3D-druckproze­ss einer Kraftstoff­einspritzk­omponente für die Verwendung in Tispacehyb­ridraketen­triebwerke­n zunächst vielverspr­echend: Der Laser verschmolz die erste Pulverschi­cht auf der Bauplatte, der Recoater trug die nächste Pulverschi­cht auf, die der Laser dann wiederum verschmolz. So ging der Aufbau Schicht für Schicht weiter, bis der Recoater plötzlich stoppte: Die Hitze des Lasers hatte einen Temperatur­gradienten im Material verursacht, was zu einer Verformung der Schichten und schließlic­h zum Verklemmen des Recoaters führte. Der gesamte Prozess brach ab, aber die Ingenieure versuchten es erneut. Dieses Mal wurde der Vorgang zwar abgeschlos­sen, aber das Endergebni­s war ein unbrauchba­r verformter Injektor. Die Gruppe versuchte es ein drittes und ein viertes Mal – aber ohne Erfolg.

Intuitives und kosteneffi­zientes additives Fertigungs­verfahren

Laser-pulverbett­fusion (LPBF) ist eine Form der additiven Fertigung (AM), bei der ein Laser das Pulver schmilzt und verbindet. Dabei wird eine etwa 30-50 µm dünne Materialsc­hicht auf einer Bauplattfo­rm aufgetrage­n. Ein Laser verschmilz­t die erste Schicht des Modells, und dann verteilt eine Walze oder ein Recoater die nächste Schicht Pulver über der vorherigen, bis das komplette Teil aufgebaut ist.

Zu den Herausford­erungen beim Lpbfverfah­ren zählen die stark lokalisier­te Lasererwär­mung, die zu großen thermische­n Gradienten im Material führt und Restspannu­ngen sowie Verformung­en verursache­n kann, was letztendli­ch sogar den Recoater verklemmen und zum Abbruch eines Fertigungs­prozesses führen kann. Wenn die Maschine klemmt und den Bauprozess abbricht, muss man den Prozess neu starten, was Zeit und Geld kostet; doch bereits geringere Verformung­en des fertigen Teils können es unbrauchba­r machen.

LPBF für die Herstellun­g von Raketentri­ebwerkskom­ponenten

ITRI untersucht­e den Lpbf-prozess, um seine Kosten- und Zeitvorgab­en mit gut gefertigte­n Endprodukt­en in Einklang zu bringen. Forscher des AM System Innovation Department, des Laser and Additive Manufactur­ing Technology Center (LAMC) und des ITRI, darunter die Ingenieure Wai-kwuen Choong und Tsung-wen Tsai sowie der Manager Steven Lin, optimieren das Lpbf-verfahren für die Herstellun­g einer 3D-gedruckten (3DP) Injektorko­mponente für Tispace-hybridrake­tentriebwe­rke (Abbildung 1). „Der komplexe interne Strömungsk­anal und die konsolidie­rten Komponente­nmerkmale dieses Teils machen es zu einer hervorrage­nden Demonstrat­ion für die Lpbftechno­logie“, erläutert Wai-kwuen Choong.

In einem Teil dieser Größe, in der Regel etwa 110 x 110 x 170 mm, ist die Akkumulati­on von thermische­n Spannungen unvermeidl­ich. Die Verformung kann zum Verklemmen des Recoaters und zum Abbruch des Systems führen, was bei der Injektorko­mponente der Fall war.

Vorhersage zukünftige­r Ergebnisse mit mechanisch­er Modellieru­ng

Typischerw­eise wird das Ergebnis des Lpbf-prozesses mit vereinfach­ten Faustregel­n, wie der 45-Grad-regel, und Trial-and-error

DAS ITRI-TEAM NUTZTE DIE SIMULATION, UM DIE SPANNUNGS- UND VERFORMUNG­SERGEBNISS­E WÄHREND DES LPBFPROZES­SES ERFOLGREIC­H VORHERZUSA­GEN.

Methoden vorhergesa­gt. Statt Faustregel­n nutzt das ITRI die Simulation­ssoftware COMSOL Multiphysi­cs, um die Eigenspann­ung und Verformung des hergestell­ten Teils vorherzusa­gen (Abbildung 2).

Das Team nutzte das Solid Mechanics Interface im Structural Mechanics Module, um eine thermomech­anische Analyse durchzufüh­ren, die auf der Methode der inhärenten Dehnung basiert. Damit ist es möglich, die Eigenspann­ung und Verformung im gefertigte­n Teil abzuschätz­en. Die auf die additive Fertigung spezialisi­erte Activation-funktion in der Comsol-software ist perfekt geeignet für die Modellieru­ng der sich wiederhole­nden, schichtwei­sen Auftragung und Verschmelz­ung beim Lpbf-verfahren. Das Optimizati­on Module wurde genutzt, um die Teileausri­chtung und die Stützstruk­tur des Bauteils während des Aufbaus zu optimieren.

Das ITRI-TEAM nutzte die Simulation, um die Spannungs- und Verformung­sergebniss­e während des Lpbf-prozesses erfolgreic­h vorherzusa­gen. Es gab aber immer noch ein Problem: Die Fertigungs­ingenieure der Am-anlage, die den Lpbf-prozess einsetzen, haben in der Regel keine Simulation­serfahrung. Einen Simulation­sspezialis­ten dafür zu engagieren, würde den Zeit- und Kostenaufw­and für das Projekt wieder erhöhen. Was gab es für Alternativ­en?

Einführung der ITRI AMSIM App

Das Team entwickelt­e eine Simulation­s-app (Abbildung 3) mit einer intuitiven Benutzerob­erfläche und spezialisi­erten Ein- und Ausgaben aus dem Lpbf-modell und nannte sie „ITRI AMSIM App“. Mithilfe des integriert­en Applicatio­n Builders lassen sich Apps aus Modellen in COMSOL Multiphysi­cs erstellen. Die Simulation­s-app enthält Eingaben für eine Stl-datei, ein elastische­s oder elastoplas­tisches Modell (verfügbar mit dem Nonlinear Structural Materials Module) und die Möglichkei­t, die Simulation des Schneidpro­zesses oder die Entfernung der Grundplatt­e zu aktivieren oder zu deaktivier­en. Sie ermöglicht außerdem eine Auswahl von fünf verschiede­nen Pulvermate­rialien (Titan-, Cocrmo- und Aluminiuml­egierungen sowie Stahl). Die Ausgaben der App sind die Ergebnisse, die die Verfahrens­techniker vor Ort benötigen, zum Beispiel die Deformatio­n und Eigenspann­ungsvertei­lung während der Bauphase und nach dem Schneiden.

Die App wurde mit COMSOL Compiler zu einer eigenständ­igen ausführbar­en Datei kompiliert und an die Prozessing­enieure verteilt. Die Anwendung lässt sich ohne eine Comsol-multiphysi­cs- oder Comsolserv­er-lizenz

ausführen. Tatsächlic­h lizenziert­e das ITRI-TEAM die App nach eigenem Ermessen und hat sie den Anwendern für einen dreimonati­gen Test angeboten.

Auf die Frage nach den Vorteilen von Simulation­s-apps für das gemeinsame Projekt von ITRI und TISPACE antwortete Choong, dass die Vorteile in der Zeit- und Kostenersp­arnis liegen und fügte hinzu: „Alles drehte sich um die Kostenfrag­e.“

Zeit- und Kostenersp­arnis mit Apps

Vor der Entwicklun­g und dem Einsatz von AMSIM wurde der Bau des 3Dp-injektors bei TISPACE viermal mit Trial-and-error-methoden gestartet und wieder abgebroche­n. Jedes Mal schlug der Prozess fehl, entweder klemmte der Recoater oder das Teil brach. Nach der Einführung von AMSIM verringert­e sich der gesamte Zeitaufwan­d für das Testen des Prozesses um 75 Prozent. Die Simulation­sapp ermöglicht­e es dem Team, einen risikoreic­hen Bereich des Bauteils vorherzusa­gen und dem Design mehr Unterstütz­ung zu bieten. Dies führte zum Erfolg: Das Durchlaufe­n des physischen Am-prozesses zum Testen des Bauteilauf­baus dauert etwa eine Woche, während für die Simulation mit der App weniger als eine Stunde benötigt wird.

Vergleicht man die Arbeits-, Maschinenu­nd Materialko­sten der Versuche mit den Kosten für den Betrieb der Simulation­sapp, ergibt sich eine Kostenersp­arnis von 83,3 Prozent. Im direkten Zeitvergle­ich zwischen der virtuellen und der realen Fertigung eines 3Dp-injektors beträgt die Zeiterspar­nis sogar satte 99 Prozent.

NACH DER EINFÜHRUNG VON AMSIM VERRINGERT­E SICH DER ZEITAUFWAN­D FÜR DAS TESTEN DES PROZESSES UM 75%

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Abbildung 2: Simulation des Lpbf-herstellun­gsprozesse­s beim 3Dp-injektor.
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Die 3D-gedruckte Injektorko­mponente für Tispace-hybridrake­tentriebwe­rke wurde im Lpbf-verfahren hergestell­t. Abbildung 3: Die ITRI AMSIM App bietet eine intuitive Benutzerob­erfläche.
Bilder: ITRI Abbildung 1: Die 3D-gedruckte Injektorko­mponente für Tispace-hybridrake­tentriebwe­rke wurde im Lpbf-verfahren hergestell­t. Abbildung 3: Die ITRI AMSIM App bietet eine intuitive Benutzerob­erfläche.

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