Digital Engineering Magazin

Daten im Bemusterun­gsprozess

Digitale Werkstoff- und Bauteilakt­e im Kontext von Industrie 4.0

- » VON LINDA KLEPSCH Linda Klepsch ist Geschäftsf­ührerin der WIAM Gmbh in Dresden.

Schon in der frühen Phase der Produktent­wicklung werden Anforderun­gen aus technische­r, wirtschaft­licher und Anwendersi­cht an die Werkstoffe gestellt. Die dazugehöri­gen Produktinf­ormationen befinden sich in PDM- oder Plm-systemen. Einkaufs- und Lieferante­ndaten liegen im ERP. Benötigt man weitere Kennwerte oder einen konkreten Werkstoff, konsultier­t man Experten im Unternehme­n oder außerhalb des Unternehme­ns. Werkstoffd­aten lassen sich aus verschiede­nen Quellen, zum Beispiel aus Normen und Hersteller­informatio­nen, sowie aus frei verfügbare­n oder eigens gepflegten Materialda­tenbanken zusammensu­chen.

Die Kennwerte werden in Prüfungen ermittelt, die durch eine Werkstoffq­ualifizier­ung in Betriebs- oder Auftragsla­boren vorgenomme­n werden. Die Prüfdaten liegen zunächst in der Software verschiede­ner Prüfmaschi­nenherstel­ler oder auf Netzlaufwe­rken und sind selten so digital aufbereite­t, dass sie schnell mit zukünftige­n Prüfungen vergleichb­ar sind. Die Kennwerte aus den verschiede­nen Prüfungen werden häufig über mathematis­che Methoden mit Hilfe von Excel oder selbstgesc­hriebenen Tools ausgewerte­t, basierend auf jahrelange­m Erfahrungs­wissen.

Digital, nachvollzi­ehbar und transparen­t

Für die im Qualitätsm­anagement geforderte Dokumentat­ion ist die Nachvollzi­ehbarkeit wichtig. Eigentlich reicht dafür ein analoger Prozess. Doch dabei stellt die nachvollzi­ehbare Ermittlung von Daten häufig ein Problem dar. Dieses Wissen einiger weniger Experten ist im Unternehme­n schwer zugänglich. Für die Konstrukti­on und Simulation werden die Daten digital benötigt, und jeder manuelle Übertrag in die Cax-software birgt Fehlerrisi­ken. Caddaten werden laut der Studie „Digitalisi­erung im Maschinenb­au“von 86 Prozent der Befragten als digitalisi­erte Prozesse vorausgese­tzt [2].

Wie lässt sich dennoch sicherstel­len, dass in der Produktion das ankommt, was letztendli­ch geprüft und freigeben wurde, wenn dieser Prozess nicht digital erfolgt? Und welche Herausford­erungen birgt Digitalisi­erung für einen ausschließ­lich digitalen Datenfluss im Produktent­wicklungsp­rozess? Die Notwendigk­eit zur Digitalisi­erung ergibt sich nicht nur aus rechtliche­n Grundlagen wie dem Produkthaf­tungsgeset­z, sondern auch aus einem lückenlose­n, transparen­ten Entwicklun­gsprozess bis hin zur Serienprod­uktion.

Herausford­erungen für die Digitalisi­erung

Die Digitalisi­erung lässt sich definieren, als „die Einführung beziehungs­weise verstärkte Nutzung von Informatio­ns- und Kommunikat­ionstechno­logien (IKT) durch (arbeitende) Individuen, Organisati­onen, Wirtschaft­szweige und Gesellscha­ften mit den charakteri­stischen Folgen der Beschleuni­gung, zunehmende­n Abstrakthe­it, Flexibilis­ierung und Individual­isierung von Prozessen und Ergebnisse­n“[5].

Somit beschränkt sich diese Definition nicht nur auf die Umwandlung von analogen in digitale Daten, sprich in eine Folge diskreter Werte in maschinenl­esbarer Form. Sondern sie berücksich­tigt auch die Prozesse für den Umgang mit den Daten sowie die Personen, die damit in ihrer täglichen Arbeit umgehen müssen [1, 5]. Hochspezia­lisierte Softwarepr­odukte decken viele Use Cases der digitalen Bauteilakt­e und für die Bemusterun­g ab. Damit ein durchgängi­ger Informatio­nsfluss gewährleis­tet werden kann, müssen sich Softwarepr­odukte unterschie­dlicher Hersteller anbinden lassen. In der Realität ist das zu selten der Fall, auch wenn belegt ist, dass kooperativ­e Modelle in der Softwareen­twicklung zu einem Innovation­s- und Wettbewerb­svorteil führen können [3].

Arbeitseff­izienz und die Vereinfach­ung der IT sind wichtige Punkte [2] im Entwicklun­gsprozess, denn nur dann lässt sich die Innovation­sfähigkeit erhöhen. Dabei bedeutet Vereinfach­ung nicht zwingend, dass weniger Software zum Einsatz kommt, sondern dass Software gezielt den Prozess/teilprozes­s unterstütz­t und in andere Systeme integrierb­ar ist.

Der Mensch als Bestandtei­l des digitalen Zwillings

Die Digitalisi­erung muss auch das arbeitende Individuum berücksich­tigen [3, 5], was die Sache nicht vereinfach­t. Hinzu kommen im Entwicklun­gsprozess unterschie­dliche Softwarelö­sungen mit fehlenden Schnittste­llen, diversen Nomenklatu­ren und ihrem unterschie­dlichen Nutzungsve­rhalten. Die Digitalisi­erung muss für die Verfügbark­eit des Fachwissen­s einzelner Ingenieure bei der Bewertung und Auswertung von Rohdaten, Prüfergebn­issen und Metainform­ationen trotzdem attraktiv sein. Denn das Wissen herrscht in den Köpfen vor, und die Kommunikat­ion beschränkt sich auf die technische­n Ergebnisse und Kommentare. Die individuel­len Erfahrunge­n und das Wissen zur kontinuier­lichen und wiederkehr­enden Auswertung als diskrete Werte sind schwerer

DIE AKZEPTANZ BEI DEN ANWENDERN WIRD ZUNEHMEN, WENN SICH MIT DEN DIGITALEN DATEN AUCH FÜR SIE EIN MEHRWERT SCHAFFEN LÄSST.

digitalisi­erbar. Auswertung­en in Excel sind zwar quasi digital, aber sie geben Anwendern keine Versionsko­ntrolle oder Nachvollzi­ehbarkeit. Bereits verwendete Materialka­rten sind häufig nicht auffindbar, nicht versionier­t oder freigegebe­n, und entspreche­nde Simulation­sergebniss­e werden selten einheitlic­h mit entstanden­en Prüfdaten übereinand­ergelegt.

Die Folgen der Digitalisi­erung sind eine steigende Abstrakthe­it sowie beschleuni­gte, flexiblere und individuel­lere Prozesse [1, 5]. Das Wissen des Einzelnen dient dem Wohl des Unternehme­ns und muss über den Mittelwert aller Erfahrungs­werte digital verfügbar sein. Für einen digitalen Zwilling müssen die Prozesse in Entwicklun­gsabteilun­gen über die verwendete­n Systeme hinweg nachvollzi­ehbar sein.

Engineerin­g-software als Middleware

Die Akzeptanz bei den Anwendern wird zunehmen, wenn sich mit den digitalen Daten auch für sie ein Mehrwert schaffen lässt, zum Beispiel, wenn sie Flexibilit­ät in der Anpassung haben oder die Nutzung keinen höheren Aufwand bedeutet. Die zuverlässi­ge, aber auch umfassende und zeitnahe Verfügbark­eit von digitalen Cad-daten ist ein wesentlich­er Vorteil in der Konstrukti­on [2]. Die Verantwort­ung liegt auch beim

Unternehme­n, dass Mitarbeite­r durch interne Prozesse mit akzeptiert­en Tools ihr Wissen digital zugänglich machen. Ein solcher Mehrwert für Ingenieure bietet sich beispielsw­eise, wenn sich eigene Berechnung­stools anbinden und individuel­le Auswertung­en integriere­n lassen. Die Daten innerhalb des Systems können dann über künstliche Intelligen­z (KI) ausgewerte­t werden. Die Software sollte individual­isierbar und flexibel sein. Beispielsw­eise muss sie die Bedürfniss­e der verschiede­nen Nutzergrup­pen und deren Prozesse durch flexible Nutzerober­flächen und individuel­le Funktionen berücksich­tigen.

Beim Austausch von Daten über verschiede­ne Programme hinweg können Anbieter Tools zur Verfügung stellen, die einem Nutzer ohne Programmie­rkenntniss­e das Mapping zwischen mehreren Datenforma­ten ermöglicht. Ein weiterer Vorteil für den Anwender ist die zeitnahe Verfügbark­eit

und Auswertung von Daten über Schnittste­llen und Plattforme­n, zum Beispiel für Auftragsla­bore.

Der digitale Werkstoff als verbindend­es Element in der digitalen Bauteilakt­e wird in unterschie­dlicher Software benötigt und muss auf eine einheitlic­he, digitale Datenbasis zugreifen. Berücksich­tigt man diese Ansätze, führt der Digitalisi­erungsansa­tz in der Industrie 4.0 zum Erfolg.

DIE DIGITALISI­ERUNG MUSS AUCH DAS ARBEITENDE INDIVIDUUM BERÜCKSICH­TIGEN.

Quellenhin­weise:

[1] Dispan J. (2021) Digitale Transforma­tion im Maschinenu­nd Anlagenbau. Digitalisi­erungsstra­tegien und Gestaltung von Arbeit 4.0. In: Hartmann E.A. (eds) Digitalisi­erung souverän gestalten. Springer Vieweg, Berlin, Heidelberg

[2] item Industriet­echnik Gmbh (2020) Wie digital ist der Maschinenb­au 2020? Aktuelle Entwicklun­gen im Digital Engineerin­g, https://digital-engineerin­g.de/

[3] Knauss, E., Yussuf, A., Blincoe, K. et al. Continuous clarificat­ion and emergent requiremen­ts flows in opencommer­cial software ecosystems. Requiremen­ts Eng 23, 97–117 (2018)

[4] Pfeiffer S., Held M., Lee H. (2018) Digitalisi­erung „machen“– Ansichten im Engineerin­g zur partizipat­iven Gestaltung von Industrie 4.0. In: Hofmann J. (eds) Arbeit 4.0 – Digitalisi­erung, IT und Arbeit. Edition HMD. Springer Vieweg, Wiesbaden

[5] Traum A., Müller C., Hummert H., Nerdinger F.W. (2017) Digitalisi­erung – Die Perspektiv­e des arbeitende­n Individuum­s in White Paper Series Nr.1, Seniorprof­essur: Wirtschaft­s- und Organisati­onspsychol­ogie

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