Digitalradio in Norwegen: Eine Bestandsaufnahme
Diesen Sommer erreichten uns Schlagzeilen aus Norwegen, die davon berichteten, dass der Radiokonsum gerade in letzter Zeit zusammengebrochen sei und die etablierten Sender massiv an Hörern verloren hätten. Als Schuldigen sah man die 2017 vollzogene UKW-Abschaltung.
Grundsätzlich stimmen diese Aussagen. Sie sind aber nur die halbe Wahrheit. Bei einem Lokalaugenschein vor Ort konnten wir uns davon überzeugen, wie glücklich die Norweger mit DAB Plus sind.
Hintergründe
Bei näherer Betrachtung der Negativmeldungen zum norwegischen Digitalradio, stellte sich schnell heraus, dass diese von bekannten DAB-Plus-Gegnern
stammten. Einmal wurden sie von schwedischen, ohnehin DAB-kritischen Medien geführt, weiter von einer populistischen, jüngst aus der Regierung geflogenen norwegischen Partei. Diese versucht nun mit allen Mitteln auf sich aufmerksam zu machen. Sie fordert sogar die Wiedereinschaltung der landesweiten Sender auf UKW. Was übrigens technisch gar nicht mehr so leicht möglich ist, da ein Großteil der nicht mehr benötigten UKW-Sendeanlagen bereits demontiert und nach Afrika
verkauft worden ist. Die angesprochene Partei hatte übrigens vor Jahren für das Auslaufen von UKW gestimmt.
Sommerloch
In den Vorwürfen war unter anderem zu lesen, dass die Reichweite von Radio diesen Sommer auf knapp unter 50 Prozent gesunken sei. Schuld daran sei alleine DAB Plus. Tatsächlich gibt es dieses Sommerloch schon seit vielen Jahren. Zahlreiche Untersuchungen belegten schon in
der Vergangenheit, dass die Nordmänner während des Sommers deutlich weniger Radio hören, als während des restlichen Jahres. Womit wir es hier nur mit einem Effekt zu tun haben.
Massive Reichweitenverluste?
Auf UKW wurden bis 2017 in Norwegen landesweit drei öffentlich-rechtliche Programme (NRK P1 bis P3), sowie die beiden Privatsender P4 und Radio Norge verbreitet. Einen flächendeckenden Sendernetzausbau genoss allerdings nur P1. Diese Kanäle haben seit ihrer UKW-Abschaltung massiv an Reichweite verloren. Und zwar um bis zu 17 Prozent! Um diese Zahl richtig einzuschätzen, muss man aber wissen, dass die liberale Gesetzgebung den norwegischen Rundfunkveranstaltern erlaubt, über Digitalradio so viele Programme zu verbreiten, wie sie wollen. Und davon machen sie auch reichlich Gebrauch! Neben P1 bis P3 verbreitet der öffentlich-rechtliche NRK per DAB Plus 12 zusätzliche Kanäle. Zu ihnen zählen etwa die beliebte Jugendwelle mP3, Sowie Spartenprogramme für Klassik, Jazz, Sport, Nachrichten, Wetter, Verkehr, Schlager, Volksmusik und so weiter. P4 hat sein Angebot um die Sender P5 bis P10 erweitert. Sie haben sich unter anderem auf Hits, Rock, Pop, Oldies und Country spezialisiert. Weitere Spartensender sind der Radio-Norge-Familie zuzuordnen, wie etwa der Oldiesender Vinyl, Radio Rock, Norsk Pop, und so weiter. Digitalradio wird in Norwegen über zwei Multiplexe verbreitet. Jener des NRK genießt einen höheren Verbreitungsgrad als es in der Vergangenheit NRK P1 hatte. Dieses Paket enthält, die Regionalversionen von P1 und P1+ nicht mitgerechnet, 15 verschiedene Stationen. Im Großteil des Landes ist zudem der landesweite private Multiplex mit weiteren 16 Programmen zu hören. Die Norweger haben vor allem an den neuen Sendern, die sie zuvor nicht über UKW hören konnten, Gefallen gefunden. Ihre Reichweite ist nun etwa gleichauf mit den alteingesessenen Sendern. NRK und die privaten Sendergruppen haben somit auch keine Zuhörer verloren. Sie haben sich nur auf deren Angebote aufgeteilt.
DAB Plus etabliert
Von einem Aufruhr wegen der nun fehlenden landesweiten Programme auf UKW haben wir jedenfalls nichts bemerkt. Die Norweger haben schon die Jahre zuvor bevorzugt Digitalradio gehört. Nicht nur wegen der größeren Sendervielfalt, sondern auch wegen ihres leichteren Empfangs. Nachdem der Großteil der Norweger DAB Plus bereits vor der UKW-Abschaltung nutzte, kann keine Rede davon sein, dass sie plötzlich mit Digitalradio unzufrieden sind. Schließlich sind der Sendernetzausbau und die Programmvielfalt vorbildlich für ganz Europa und beides hat sich während der letzten Zeit nicht verschlechtert. Selbst die Audioqualität der Programme bietet nicht den geringsten Anlass zur Kritik. Unter all diesen Aspekten wäre es unlogisch, ein Programm via Digitalradio plötzlich nicht mehr hören zu wollen, nur weil es inzwischen via UKW abgeschaltet worden ist.
DAB-Plus-Gegner
Freilich gibt es in Norwegen auch DABPlus-Gegner. Sie findet man vor allem in den rund 200 Lokalradiobetreibern, die noch bis 2022 auf UKW senden dürfen. Die haben natürlich kein Interesse daran, dass die Attraktivität von UKW inzwischen derart gesunken ist. Schließlich gibt es
vielerorts nur noch einen oder bestenfalls zwei Lokalfunker mehr oder weniger gut zu hören. Denn ihnen gemeinsam ist, dass sie durchweg nur leistungsschwache Sender betreiben. Dass sie um ihre Existenz fürchten, weil die Zuhörer bevorzugt DAB Plus einschalten, ist verständlich und nachvollziehbar.
Lokale DAB-Plus-Multiplexe
Zumindest in den großen Ballungsräumen im Süden des Landes, wie etwa Oslo, Bergen und Trondheim, sind sie längst auch über lokale Digitalradio-Multiplexe zu hören. Und zwar besser und mit größerer Reichweite als auf UKW.
Auch in anderen Regionen sind die Lokalen bereits dabei, sich auf DAB Plus vorzubereiten. Es sollte demnach nicht allzu lange dauern, bis im Lande weitere lokale Multiplexe an den Start gehen. Wobei der Fokus laut unseren Beobachtungen durchaus auch in nördlichen Regionen liegt. Auf lokaler Ebene gibt es jedenfalls noch einiges zu tun. Vor allem in den dünn besiedelten Regionen im Norden, wo es nur wenige Lokalfunker gibt. Damit auch hier Multiplexe wirtschaftlich tragfähig betrieben werden können, bietet sich die bereits im Süden gelebte Praxis an, neben dem ansässigen Lokalsender in den noch zu schaffenden lokalen Paketen auch überregionale Programme aufzunehmen, die nicht über den landesweiten privaten Multiplex senden. Solche Kanäle findet man sogar in den Lokalpaketen in und um Oslo.
UKW
Das Ende der UKW-Verbreitung der landesweiten norwegischen Radioprogramme heißt nicht das Ende von UKW insgesamt. Wie bereits erwähnt, dürfen norwegische Lokalradios bis 2023 auf UKW weiter senden. Durch den insgesamt leer gewordenen Bereich zwischen 87,5 und 108 MHz haben es die wenigen verbliebenen Stationen leichter, größere Reichweiten zu erzielen. Dennoch konnten wir in vielen Regionen keinen einzigen Sender mehr auf UKW ausmachen. Nicht einmal stark verrauscht. Zu ihnen zählten etwa die südlichen Lofoten-Inseln mit Reine und ihrem Hauptort Leknes und der exakt in der Mitte Norwegens gelegene größere Küstenort Brønnøysund. Dafür gehen uns andernorts, wo wir ebenfalls mit keinem UKW-Empfang gerechnet hatten, bis zu zwei Lokalsender ins Netz. So etwa in Ulsvåg, einem kleinen Nest rund 70 km südlich von Narvik, wo die beiden Lokalstationen Radio Bø und etwas schwächer, Radio Nord-Salten ins Netz gehen. Auch im, an der Nordspitze der Vesterålen gelegene Andenes, stehen mit Radio Bø und Radio Bardufoss zwei Lokalfunker zur Verfügung. Trondheim ist die drittgrößte Stadt des Landes und erfreut sich seit der Einführung von Privatfunk in den 1980ern über eine bunte Radiolandschaft. Sie hat sich ein wenig bis heute erhalten. Auf acht UKW-Frequenzen machen wir immerhin drei verschiedene Lokalsender, P5 Fosen, Radio Trøndelag und Nearadio, meist in Ortssenderqualität, aus. Die beiden letztgenannten Stationen sind auch noch im 140km weiter nördlich gelegenen Grong zu hören.
Überraschung Oslo
Die größte UKW-Überraschung brachte Norwegens Hauptstadt Oslo mit sich. In der Metropolregion leben ein Drittel der Landesbevölkerung und auf DAB Plus kommen neben den 31 landesweiten Stationen 14 weitere über einen Lokal-
multiplex. Entsprechend hoch waren die Erwartungen, ein volles UKW-Band vorzufinden. Voll war es dann auch – irgendwie. Allerdings war auf den meisten Frequenzen kaum brauchbarer Empfang möglich. Immerhin entdeckten wir auch acht Kanäle mit richtig fettem Signal. Allerdings waren davon nur drei norwegische Lokalsendern zuzurechnen. Auf ihnen bekamen wir zweimal The Beat und einmal Radio Metro. Auf den weiteren starken Frequenzen kamen die vier Programme des öffentlich-rechtlichen schwedischen Rundfunks SR P1 bis P4. Von 20 in Oslo aktiven UKW-Frequenzen stammen elf aus der schwedischen Nachbarschaft und nur neun aus Norwegen selbst. An weiteren Lokalstationen konnten wir nur noch Radio Randsfjord und Radio Kongsvinger ausmachen.Im dichtest besiedelten Ballungsraum hätten wir auf UKW deutlich mehr Lokalfunker erwartet. Rund um Oslo betreiben diese auch noch nach wie vor genügend Sendeanlagen. Allerdings durchweg an schlechten Standorten und sehr geringen Sendeleistungen, oft nur im niedrigen zweistelligen Wattbereich. Kommt eine Station mit 200 Watt, ist das schon richtig viel.
Aber dennoch viel zu wenig, um eine Millionenmetropole brauchbar zu versorgen. Hier wird es letztlich stark auf den Stadtteil ankommen, welche und wie viele UKW-Programme zu hören sind. Nur die vier schwedischen Programme sind allgegenwärtig.
UKW noch interessant?
Die wenigen Digitalradiogegner in Norwegen und jene aus Schweden wollen Glauben machen, dass UKW in Norwegen noch immer begeistert und sehnlich zurückgewünscht wird. Unser Eindruck ist da ein vollkommen anderer.
Wir konnten zumindest kein Radiogerät entdecken, das noch auf UKW eingestellt war. Auch dort nicht, wo es noch was auf UKW zu hören gegeben hätte. Das kann aber auch damit zusammenhängen, dass nicht alles gefällt, was noch analog aus dem Lautsprecher kommen könnte. Während laut unseren Beobachtungen einige Lokalsender eher so etwas wie einen stark spezialisierten Nischenfunk betreiben, machen andere wirklich gutes Programm, das es wert ist, sich anzuhören. Die Motivation, auf UKW zu schalten, wird auch davon getrieben sein, wie ansprechend das Programm des vor Ort verfügbaren Lokalfunkers ist. Das Ablaufdatum für UKW ist jedenfalls nahe. Das wissen auch die Lokalen. Nachdem im Lande ohnehin längst bevorzugt digital gehört wird, würde es uns nicht wundern, wenn zumindest ein Teil der Lokalen bereits vorzeitig UKW zugunsten DAB Plus verlässt.