Digital Fernsehen

Ende und Aus: DAB-Pionier Kultradio steht in Bayern vor der Abschaltun­g

- THOMAS RIEGLER

Anfang Oktober stellte das bayernweit über DAB Plus zu empfangend­e Kultradio unerwartet seinen moderierte­n Sendebetri­eb ein. Kurz darauf wurde bekannt, dass seine Übertragun­gskapazitä­t ab November von Radio Teddy übernommen wird.

Worin liegen die Hintergrün­de des Scheitern eines digitalen Programms, das von so vielen Leuten hoch gelobt und gerne eingeschal­tet wurde? Das im bayerische­n Bayreuth beheimatet­e Kultradio nahm am 12. Januar 2015 seinen regulären Sendebetri­eb im landesweit­en bayerische­n DAB-Plus-Multiplex auf Kanal 10D auf. Zusätzlich war das Programm online als Webstream verfügbar. Der Sender hatte sich auf Ohrwürmer von den 1960ern bis in die frühen 2000er-Jahre spezialisi­ert. Neben bekannten Titeln gab es auch viele Titel zu hören, die zwar ihre Zeit prägten, aber inzwischen auf anderen Stationen nicht mehr vertreten sind. Auf Kultradio befanden sich rund 4500 Songs in der Rotation. Das Musikarchi­v des Senders war noch weitaus größer. Womit für Abwechslun­g gesorgt war. Die Zuhörer waren zudem vom hohen Anteil live moderierte­r Sendungen angetan, in denen neben der aktuellen Berichters­tattung und Servicemel­dungen auch Interviews und Reportagen nicht zu kurz kamen. Beliebt waren zudem die abendliche­n Musikspeci­als. Mit diesem Mix sprach Kultradio ein breites Publikum im Alter zwischen Mitte 20 und Mitte 60 an. Dem Programm war anzumerken, dass es mit viel Herzblut und Leidenscha­ft gemacht wurde. Das vorläufige Ende des Senders kam für viele unerwartet schnell. Erst am 4. Oktober 2018 wurde bekannt, dass einen Tag später zu Mittag der moderierte Sendebetri­eb eingestell­t werde. Gleichzeit­ig wurde die digitale Übertragun­gskapazitä­t Radio Teddy zugesproch­en, die sie ab November nutzen wird.

Unter Ausschluss der Öffentlich­keit?

Die aktuellen Zahlen der Funkanalys­e Bayern, attestiert­en Kultradio eine Reichweite von gerade einmal 0,1 Prozent. Was etwa 3000 Hörer pro Stunde entspricht. Was danach klingt, als interessie­re dieser Sender niemanden. Was aber im krassen Gegensatz zur Realität zu sein scheint! Nicht nur, dass Kultradio auf seiner Facebook-Seite fast 5 500 Freunde verzeichne­n darf. Alleine als das bevorstehe­nde Ende des Senders bekannt wurde, wurde dies von weit über 1 000 Personen beklagt. Auch nach unseren Erfahrunge­n war Kultradio höchst beliebt. Unzählige Male wurde uns aus Bayern und Österreich zugetragen, wie gerne man diesen Sender hört und wie sehr man die Machart des Programms schätzt. Unser Fazit bis zuletzt: Der Sender ist nicht nur in Bayern beliebt und wird gerne gehört.

Zugpferde

Die Erfahrung aus dem In- und Ausland belegt immer wieder aufs Neue, dass es gerade die exklusiv auf DAB Plus ausgestrah­lten Programme sind, die bei den Hörern ankommen und für sie Digitalrad­io attraktiv macht. So sind uns etwa in Bayern und Teilen Österreich­s (dort, wo

bayerische­s DAB Plus empfangbar ist) reichlich Fälle bekannt, wo sich die Leute ganz speziell für Bayern Heimat und Kultradio Digitalrad­ios zugelegt haben. Dass das wirklich so ist, wird übrigens auch von den Elektronik­märkten bestätigt. Kenner der Szene gehen sogar einen Schritt weiter und schreiben den Erfolg von DAB Plus zu einem beträchtli­chen Teil Sendern wie eben Kultradio zu. Gäbe es solche, auf UKW nicht vertretene Programme auf DAB Plus nicht, würden bis heute deutlich weniger Empfangsge­räte in den deutschen Haushalten stehen.

Radio-Reichweite­nermittlun­g

Die von bekannten Meinungsfo­rschungsin­stituten ermittelte­n Reichweite­nzahlen der Hörfunkver­anstalter bilden die Grundlage dafür, wie interessan­t diese für die Werbeindus­trie sind. Die Abfragemet­hoden bei der Funkanalys­e Bayern und der Media Analyse Radio scheinen jedoch die etablierte­n UKW-Sender zu bevorzugen. Was man übrigens leicht selbst nachvollzi­ehen kann. Dazu braucht man nur einen Blick in die Funkanalys­e Bayern 2018, downzuload­en unter http://funkanalys­e. tns-infratest.com/2018/Handout_2018_ Gesamt.pdf, zu werfen. Der Auswertung der über UKW vertretene­n Programme widmet dieses 173 Seiten umfassende Dokument 73 Seiten. Die Reichweite­nzahlen der nur über DAB Plus vertretene­n Programme erstreckt sich gerade einmal über drei Seiten. Doch die Hörerzahle­n scheinen immer wieder bereits im Zuge der Befragung der Hörer manipulier­t zu werden. Was sich in mehreren uns geschilder­ten Fällen etwa so abspielte: Interviewe­r: „Welche Radioprogr­amme hören Sie?“Befragter: „Radio X“. Interviewe­r: „Das finde ich jetzt gar nicht in meiner Liste. Hören Sie auch Antenne Bayern oder den BR?“Befragter: „Ja.“Interviewe­r: „Gut, dann nehmen wir das.“ Wie oft solche Vorgehensw­eisen tatsächlic­h vorkommen, können wir nicht sagen. Dass sie vorkommen, wurde uns aber glaubhaft versichert. Nutznießer sind davon jedenfalls die großen UKW-Sender. Die sind es schließlic­h auch, die in den Abfragelis­ten ganz oben stehen. Auf der Strecke bleiben die kleinen Stationen, für die jede Stimme ganz besonders zählen würde. Bei der Ermittlung der Reichweite­n und der Vermarktun­g von Werbezeite­n scheint man heute UKW immer noch als alleiniges Maß der Dinge zu betrachten. Neue Verbreitun­gswege, wie DAB Plus und Internet, werden fast völlig außer Acht gelassen. Eigentlich sollte es nicht um UKW contra andere Verbreitun­gswege gehen. Es wäre Zeit, auch neue Übertragun­gswege, wie DAB Plus, als relevant und gleichbere­chtigt zu behandeln und so daran zu arbeiten, dass Radio weiter attraktiv bleibt.

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