Apple TV+ im Test: Ein Fehlstart ohne Alternative?
Seit einigen Wochen ist sie da, Apples Antwort auf Netflix, Amazon und Co. Der neue Streaming-Dienst hört dabei auf den Namen Apple TV+ und will dabei mit Qualität statt Quantität punkten – oder muss es viel mehr, denn besonders viel hat das Angebot zum Start nicht zu bieten. Aber hatte Apple überhaupt eine Wahl?
Streaming hat es zwar noch nicht geschafft, dem linearen Fernsehen den oftmals prophezeihten Todesstoß zu verpassen, doch die Ankunft von Netflix und Co. hat zweifelsfrei für eine Zeitenwende in unserem TV-Verhalten gesorgt. Nun steht eine neue Zeit des Aufbruchs bevor, denn gleich drei neue Angebote drängen auf den Markt – und die werden ihn aller vorraussicht nach wieder nachhaltig verändern. Den Anfang machte am 12. November Apple TV+, hinter dem – wie der Name schon sagt – der iPhone-Hersteller aus Cupertino steckt. Es ist dabei keineswegs verwunderlich, dass Apple auf den Streaming-Schnellzug aufspringen will. Mit Apple TV agiert der Konzern bereits seit Jahren im TV-Geschäft, Apple TV+ soll nun die exklusiven Inhalte für dieses Metier liefern, um langfristig zahlende Abo-Kunden an sich zu binden und so vom großen Streaming-Trend
zu profitieren. Doch der Auftakt ist für Apple alles andere als der erhoffte Knaller.
Apples Masterplan
„Willkommen bei Apple TV. Jetzt kannst du neue Sendungen und Filme der weltweit größten Kreativen ansehen.“Mit diesen Worten begrüßt der neue Dienst seine User nach dem Einloggen. Sie machen auch direkt deutlich, wohin Apple TV+ will: Die „weltweit größten Kreativen“liefern die Inhalte für eine Premium-Plattform, die nicht auf Masse, sondern auf Qualität setzt. Daran ist nichts auszusetzen, im Gegenteil. Der Trend geht ohnehin fort von einer Plattform, auf der sich möglichst viele Inhalte bündeln, hin zu Angeboten, die nur noch bestimmte Bereiche abdecken – vorzugsweise die, die aus dem eigenen Haus kommen und damit exklusiv angeboten werden können.
Apple weiß, dass reine Abspielplattformen von eingekauften Inhalten keine Zukunft mehr haben. Das hat sich oft genug bewiesen. Dass Netflix sich zum Platzhirsch aufschwingen konnte, lag immerhin auch nicht am breiten Angebot, sondern an selbstproduzierten Serien wie „House Of Cards“, die damals in aller Munde war und damit natürlich auch Kunden lockte, die auch endlich mitreden können wollten. Der iPhone-Konzern geht dabei noch einen Schritt weiter: Statt die Eigenproduktionen von einem allgemeinen Grundrauschen an zugekauften Filmen und Serien begleiten zu lassen, bis diese sich von allein tragen, setzt Apple ausschließlich auf unique Content. Keine Störsignale von außen, gefunkt wird ausschließlich aus dem eigenen Haus. Ein durchaus lobenswertes Ziel, immerhin vermeidet Apple so auch Abhängikeiten, doch die Rechnung geht nicht auf.
Was gibt es zu sehen?
Loggt man sich bei Apple TV+ ein, bekommt man direkt die zur Verfügung stehenden Inhalte angezeigt. Das große Aushängeschilt „The Morning Show“und die Drama-Serie „See – Reich der Blinden“sind natürlich ganz oben platziert, immerhin wird hier auch am stärksten die Werbetrommel für den neuen Dienst gerührt. Scrollt man dann weiter nach unten, werden auch alle anderen Formate aufgelistet. Das Entscheidende dabei ist aber: Man scrollt nur wenige Male weiter, bis man bereits das Ende der Seite erreicht. Und das Ende der Seite ist in diesem Fall auch das Ende der Auswahl. Denn Apple TV+ bietet zum Start nur eine Hand voll Inhalte an. Genauer gesagt reihen sich gerade einmal zwölf Titel auf dem Bildschirm untereinander, zwei davon waren zum Launch noch gar nicht verfügbar. Die Serie „Servant“war erst am 28. November verfügbar (also etwa zwei Wochen nach dem Start) und „Truth be told“folgte erst am 6. Dezember. Das erweckt zwar den Anschein, dass Nachschub nicht mehr fern ist, kann aber über die Tatsache nicht hinwegtäuschen, dass das Angebot aktuell äußerst mager ist.
Die kleine Auswahl deckt dabei bereits mehrere Bereiche ab: Bei sechs der zwölf Titel handelt es sich um Serien, was zeigt, wo der Schwerpunkt von Apple TV+ liegen soll. Anders könnte es aber auch kaum sein, kann man mit Filmen doch bei weitem nicht so viele Abonnenten an sich binden wie mit Serien, die man über Jahre fortsetzen kann. Zu finden gibt es da ein bisschen Drama mit der scheinbar heilen Welt des Frühstücksfernsehens („The Morning Show“), eine düstere Zukunfts-Vision („See“), dem Streben der Menschheit ins All („For all mankind“), Kostüm-Comedy im 19. Jahrhundert („Dickinson“), Horror („Servant“) und etwas True-Crime („Truth be told“). Hinzu kommen die Filme „Hala“und „Die Elefantenmutter“(Dokumentarfilm) sowie die Kinder-Sendungen „4 Freunde und die Geisterhand“, „Helpsters“und „Snoopy im All“. Abgerundet wird das Start-Ensemble von „Oprah’s Book Club“, einer Talkshow mit US-Talk-Legende Oprah Winfrey, in der sie ausgewählte Bücher vorstellt und mit den Autoren bespricht.
Ernüchternde Zahlen
Schaut man sich diese Zusammenstellung an wird schnell klar, dass Apple versucht, mit seinem kleinen Angebot möglichst viele Sparten abzudecken. Quasi ein Schnupper-Angebot für alle Optionen. Doch das ist leider wörtlicher gemeint, als man anfangs vielleicht denkt. Denn im Gegensatz zur Konkurrenz setzt Apple nicht auf das Konzept, seine Inhalte Staffelweise zu veröffentlichen. Klickt man zum Beispiel auf „Oprah’s Book Club“stellt man mit Ernüchterung fest, dass es erstmal nur eine einzige Folge zu sehen gibt. Diesem Prinzip bleibt Apple an den meisten Stellen treu: Von „The Morning Show“und „See“gibt es zwar immerhin drei Episoden zum Start, für den Rest der Season ist dann aber Geduld gefragt. Denn die nächsten Folgen werden erst im wöchentlichen Rhythmus immer freitags freigegeben – ganz wie im linearen Fernsehen. Das gilt aber offenbar vor allem für die Produktionen, von denen sich Apple Zugkraft erhofft. „Dickinson“ist zum Beispiel mit der gesamten ersten Season verfügbar, „Snoopy im All“zählt immerhin zwölf Episoden.
Der Gedanke dahinter ist klar: Apple will die Zuschauer bei der Stange halten. Und das ist auch nötig. Denn zählt man mal alles zusammen, was zum Start verfügbar war, kommt man auf lediglich 44 „Episoden“– inklusive der Filme und sämtlicher Kinder-Inhalte. Mit den beiden Neuzugängen kommt Apple TV+ vielleicht auf 50, je nachdem, welche Strategie hinter den Formaten steckt. Ein geübter Bingewatcher schafft das in einer guten Woche. Und dann ist Ebbe auf Apple TV+. Warum sollte man den Dienst dann weiter abonnieren, wenn nicht jede Woche neuer Input käme? Sich gegen Bingewatching zu entscheiden war schlichte Überlebensstrategie.
Unvollendet
Auch fernab der Inhalte wirkt die Plattform irgendwie unfertig. Es gibt kein Menü, keine Suche, keine Favoritenlisten. Vermutlich noch nicht, denn was sollte man schon suchen bei nur zehn Formaten zur Wahl? Es mag schlicht Pragmatismus von Apple gewesen sein, diese Funktionen auszusparen, als routinierter Streaming-Nutzer fällt einem ihr Fehlen aber durchaus negativ auf. Denn die große Frage wird sein, wann diese Funktionen kommen werden. Wie viele Inhalte müssen da sein, bis man sie endlich in seiner Liste ablegen kann? Das bleibt noch ein Rätsel. Nur an einer Schraube kann man momentan drehen: Über ein Symbol in der rechten oberen Bildschirmecke gelangt man zu den „Account-Einstellungen“. Doch abgesehen von den persönlichen Daten und den Zahlungsmodalitäten kann man hier lediglich den Jugendschutz regeln. Dieser kann jeweils für TV-Sendungen und Filme separat eingestellt werden. Zur Verfügung
stehen die Auswahlmöglichkeiten 0 Jahre, 6 Jahre, 12 Jahre, 16 Jahre, 18 Jahre und keine Jugendfreigabe.
Bei den Sprachen zeigt sich allerdings ein weiterer Punkt, der noch nicht ganz ausgereift scheint: Ganz gleich, welche Sendung man anwählt oder nach einer Pause fortsetzt, die Sprache ist stets auf Englisch eingestellt, auch wenn man zuvor bereits eine andere Option eingestellt hat. Prinzipiell würde man sogar erwarten, dass Deutsch als Voreinstellung gewählt wird, wenn man sich auf der deutschen Apple-Seite einloggt. Doch selbst wenn hier Englisch allgemeiner Standard ist, wäre es wünschenswert, wenn sich der Dienst merkt, was man manuell eingestellt hat. Das gilt vor allem bei bereits begonnenen Episoden: In unserem Test ließen wir eine Folge von „The Morning Show“laufen, brachen den Stream mittendrin ab und loggten uns wieder aus. Beim späteren Fortsetzen der Episode hatte sich der Dienst zwar die Stelle gemerkt, an der wir die Wiedergabe unterbrochen haben, doch die Sprache war wieder auf Englisch zurückgesetzt. Hier musste nun erneut erst manuell auf Deutsch umgestellt werden, so wie man es schon zu Beginn tun musste. Hier sollte Apple unbedingt nachbessern. Immerhin ist es durchaus ärgerlich, wenn man vor jeder Nutzung erst die Spracheinstellungen wieder neu auswählen muss.
Mit Liebe zum Detail
Dagegen fast schon mit Liebe zum Detail wurden die Info-Seiten für die einzelnen Formate gestaltet. Neben einer Kurzbeschreibung, den Hauptsarstellern, Genre, Jahr und Alterfreigabe bekommt man auch die vorhandenen Video- und Tonformate sowie die Zusatzdienste auf den ersten Blick angezeigt. Auch die Frage, ob Inhalte in 4K verfügbar sind, wird hier beantwortet. Scrollt man nach unten werden die verfügbaren Episoden, Trailer sowie die Besetzung und Crew aufgelistet – letztere mit Fotos, um sie schneller wiederzuerkennen und den Rollen zuordnen zu können. Letztlich folgen neben den allgemeinen Informationen noch die verfügbaren Sprachen und Untertitel sowie die Bedienungshilfen wie erweiterte
Untertitel oder Audiobeschreibung, die für das Format bereitstehen. Ein besonderer Punkt ist zudem die Angabe von Common Sense, einer gemeinnützigen Organisation, die die Medienkompetenz von Familien und Kindern stärken will und mit der Apple zusammenarbeitet. In einer Box gibt Common Sense noch einmal eine Altersempfehlung für die jeweilige Episode inklusive kurzer Begründung, wieso ein Inhalt trotz FSK 12 vielleicht doch erst ab 15 Jahren angeschaut werden sollte. Vor allem für Eltern ist das ein nützliches Tool, um einzuschätzen, ob bestimmte Formate wirklich schon für ihren Nachwuchs geeignet sind. Eine persönliche Prüfung ersetzt das zwar nicht, kann eine Orientierung aber erleichtern.
Stimmt der Preis?
Die entscheidende Frage für potenzielle Abonnenten ist am Ende immer die, ob Preis und Leistung zusammenpassen. Mit nur 4,99 Euro im Monat ist Apple der Konkurrenz zweifelsfrei überlegen, denn kein anderer Dienst verlangt so wenig für sein Angebot. Allerdings hat auch kein anderer Dienst so wenig Inhalte zu bieten wie Apple TV+. Auch die Aussicht auf wöchentlich ein paar neue Episoden bieten eigentlich kaum Anreiz, Apple dauerhaft treu zu bleiben – auch nicht für 4,99 Euro. Kein Wunder also, dass Apple den Zugang zu seinem Dienst zum Geschenk für all diejenigen macht, die ein nagelneues Hardware-Produkt kaufen. Wer also zum Beispiel das neueste iPhone in den Warenkorb packt, bekommt Apple TV+ ein Jahr lang kostenlos dazu. Für Apple bietet sich so natürlich die Möglichkeit, sich bereits einen gewissen Nutzerstamm
aufzubauen, ehe es dann wirklich darum geht, Geld dafür auszugeben. Und wenn Apple weiter wie angekündigt monatlich neue Formate einstellt, sieht das Portfolio in einem Jahr schon ganz anders aus.
Ebenfalls ein kluger Schachzug von Apple ist die Integration seines neuen Dienstes auf den Fire-TV-Produkten von Amazon. Damit kommt Apple TV+ weltweit auf einen Schlag in Millionen Haushalte, ohne dass zuvor neue Hardware angeschafft werden müsste. Der iPhone-Konzern löst sich damit von der Strategie, sich vor allem in der eigenen, recht abgeschotteten Produktwelt zu bewegen. So ist der Streaming-Dienst zwar natürlich auch über hauseigene Wege wie den Apple TV verfügbar, erreicht über die Amazon-Produkte aber deutlich mehr potenzielle Kunden.
Warum jetzt?
Betrachtet man all das, was Apple TV+ derzeit zu bieten hat, stellt sich unweigerlich die Frage, wieso sich die Kreativen in Cupertino mit dem Launch nicht noch ein wenig mehr Zeit gelassen haben, bis eben mehr Inhalte verfügbar sind und sich damit auch alle gängigen Funktionen eines Streaming-Dienstes lohnen. Die Antwort dürfte wohl lauten, dass Apple schlicht keine andere Wahl hatte. Mit Netflix, Hulu, Amazon und Co. war der Markt bereits gut besetzt, als Apple sich dazu entschloss, auf diesen Zug aufzuspringen, um auch ein Stück vom großen Kuchen abhaben zu wollen. Doch die Idee hatte Apple eben nicht allein. Mit Disney+ ist fast zeitgleich ein neuer Konkurrent gestartet, der zwar ein paar Euro mehr kostet, dafür aber ein Vielfaches an Inhalten zu bieten hat – und zwar Spitzentitel wie die Marvel-Helden, „Star Wars“und natürlich sämtliche Disney-Filme. Mit HBO Max kommt im nächsten Frühjahr ein weiterer Anbieter dazu, der mit „Game Of Thrones“die populärste Serie der letzten Jahre im Portfolio hat. Wie sollte sich Apple da überhaupt noch ein Stück vom Streaming-Kuchen sichern, wenn all diese Größen bereits auf dem Parkett sind? Die einzige Alternative war es da, schneller zu sein und zu versuchen, den kleinen Vorsprung zu nutzen. Ob Apple das aber wirklich gelingt und ob er überhaupt einen Effekt hat, wird sich zeigen müssen. Momentan gibt es aber noch einige Baustellen, die Apple schließen muss.