Erstes Privatradio in Deutschland: Die Geschichte von Radio Bavaria International
Laut offizieller Geschichtsschreibung startete das deutsche Privatradio mit 1.1.1984 im Kabelpilotprojekt in Ludwigshafen. Der tatsächliche Start des deutschen Privatradios erfolgte jedoch bereits 1979.
Im Jahr 1975 wurde vom italienischen Verfassungsgericht das Rundfunkmonopol im Lande für verfassungswidrig erklärt. So entstand ein gesetzfreier Raum, der es jedem ermöglichte, eine
eigene Radio- oder TV-Station zu eröffnen. Wovon auch sehr schnell sehr viele Gebrauch machten. Zur selben Zeit war Radio in Deutschland, so wie auch in den meisten anderen europäischen Ländern,
fest in öffentlich-rechtlicher Hand. Die ortsübliche ARD-Rundfunkanstalt bot drei Programme. Je eines für die Allgemeinheit, ein weiteres für an Kunst und Kultur interessierte und eine Servicewelle, die sich an ein jüngeres Publikum wendete. Je nach Wohnort konnte man zudem noch einige Programme aus benachbarten Bundesländern oder etwa aus Österreich mehr oder weniger gut hören. All diese Stationen hatten eines gemeinsam. Sie waren vor allem seriös und altbacken und nicht gerade das, was sich nicht nur junge Menschen vom Radio erwarteten.
Die meisten nahmen diesen Umstand zähneknirschend hin. Doch es gab auch einige wenige, die daran etwas ändern wollten. Sie waren Radiofreaks und Idealisten und beseelt von dem Gedanken, etwas verändern zu wollen.
Signal aus Südtirol
1978 entdeckten zwei funkbegeisterte Freunde, dass in München in den oberen Stockwerken eines Hochhauses das Signal des südtiroler Privatsenders Radio Eisack auf 102,8 MHz zu empfangen war. Zwar schwach, aber unter Zuhilfenahme einer 14-Element-UKW-Antenne, dauerhaft und auch ziemlich gut. Radio Eisack sendete von der rund 1890 Meter hoch gelegenen Zirog Alm, rund 3,5 Kilometer von der Grenze am Brenner von südtiroler Boden aus, mit rund 300 Watt in Richtung Innsbruck. Einer der beiden war Jürgen von Wedel. Er war bereits während seiner Studienzeit auf UKW radioaktiv. Der zweite, Jo Lüders, konnte bereits Erfahrungen im Radiomachen bei Radio Nordsee sammeln. Außerdem produzierte er nebenbei Rundfunksendungen auf Band, die über verschiedene italienische Privatsender, Stichwort Urlaubsradio, ausgestrahlt wurden.
Idee und Realisierung
Wenn es das Signal von Radio Eisack schon zufällig bis ins rund 130 Kilometer
entfernte München schafft, so müsse es doch auch möglich sein, ganz gezielt von Südtirol aus Radio für das südliche Bayern zu machen. Damit war für von Wedel und Lüders eines klar, sie wollten selbst Privatradio machen.
Zunächst galt es für die beiden, einen Berg in Südtirol zu finden, von dem sich München aus erreichen ließ. Dazu besorgten sie sich zwei Zwei-MeterAmateurfunkgeräte, einen 75-Watt-Sendeverstärker, eine zusammenlegbare Zwei-Meter-Antenne und einen Teleskopmast. Mit diesem Testequipment fuhren die beiden alle nur halbwegs begehbaren Berge in Südtirol an und erkundeten so, von wo sich die bayerische Landeshauptstadt am besten erreichen ließ. Einer war auf den Gipfeln unterwegs, der zweite lauschte daheim, ob er ein Signal aus Südtirol von seinem Kollegen hören könnte. Beide verständigten sich per Amateurfunk. Wozu das AmateurfunkreWährenddessen lais auf der Zugspitze wertvolle Dienste leistete. Handys gab es damals noch nicht. So konnte, auch mit Hilfe mehrerer Amateurfunker, einigermaßen die beste Position ausgetestet werden.
Erste Tests
Zum Aufbau des Radiosenders standen den beiden nur geringe finanzielle Mittel zur Verfügung. Damit mussten Jürgen von Wedel und Jo Lüders die preiswerteste und dennoch funktionierende Möglichkeit wählen. Sie bot sich ihnen auf dem Zirog. Nachdem hochwertige Sendeantennen zu teuer gewesen wären, baute sie von Wedel selbst auf Basis einer zirkularen 2-mal-9-Elemente-Amateurfunkantenne. Dieser konstruierte er nach reichlichem Studium diverser Antennenbücher ihren Anforderungen entsprechend um.
Innerhalb einer Woche baute von Wedel zunächst eine zerlegbare Testantenne.
besorgte Lüders einen 25-Watt-Sender einer befreundeten Radiostation aus Florenz. Für Tests wurde die Anlage auf der Terrasse des Gasthauses auf der Zirog-Alm aufgebaut. Als Signalquelle diente ein Kassettenrekorder mit Autoreverse. Dann ging es mit dem Auto nach Innsbruck. Die Freude über das verblüffend gute Signal des 25-WattSenders in der tiroler Landeshauptstadt war groß. Diese erste Testsendung mit einer selbst gebauten Sendeantenne erfolgte am 31. März 1979.
Es wird ernst
Nun wurde der endgültige Standort für die Sendeanlage ausgemacht. Auf einem benachbarten Berg wurde ein Skilift abgebaut. Von ihm konnten die Radiopioniere einen rund zehn Meter hohen Liftmast zum Schrottpreis erwerben. Dieser wurde in Eigenregie mit Auslegern versehen, an denen die acht Eigenbau-Zirkularantennen montiert wurden. Parallel wurde bei einer kleinen Elektronikfirma in Florenz ein Sender in Auftrag gegeben, der in Handarbeit gefertigt wurde. Auch das erste Studioequipment, darunter ein 8-Track-Player, bekam man aus Florenz. Und zwar von der befreundeten Station Radio one. Bislang waren von Wedel und Lüders erst im Besitz zweier Plattenspieler, eines Kassettendecks und eines Mischpults. Parallel wurde das erste Studio eingerichtet. Es war nicht mehr als ein Gästezimmer im Hotel Olympia,
direkt am Brenner. Auf südtiroler Seite, versteht sich. Da dieses, um guten Klang zu erhalten, abgedämmt werden musste, es aber ständig am Geld mangelte, wurden zur Dämmung Glasfasermatten genutzt. Mit dem Nebeneffekt, dass es immer ziemlich juckte, wenn man im Studio saß.
Auf Sendung
Am Dach des Hotels wurde eine kleine UKW-Sendeantenne montiert, über die die Signalzuführung zum Sender auf der Zirog-Alm mit einem 25-Watt-Sender auf 93,7 MHz erfolgte. Nachdem am 16. Mai 1979 die Gesellschaft Radio Bavaria International in Bozen gegründet worden ist, wurde einen Tag später, also am 17. Mai 1979, der reguläre Sendebetrieb aufgenommen. Da die Sendeanlage auf der Zirog-Alm zu dem Zeitpunkt noch nicht fertig war, arbeitete Radio Bavaria International zunächst nur über die kleine Studioantenne am Brenner und war zunächst nur bis Gossensaß bei Sterzing zu hören. Nachdem zumindest der große Antennenmast stand, wurde an ihm zunächst eine 5-Element-Antenne befestigt, die von einem weiteren 25-Watt-Sender gespeist wurde. Mit dieser Konstellation wurde nicht nur die Signalzuführung auf den Berg eingerichtet, sondern man erreichte damit auf 103,5 MHz auch schon teilweise Innsbruck.
Bis November 1979 wurden alle acht Sendeantennen montiert und miteinander verschaltet. Auch der 500-WattHauptsender, der in einer kleinen Blechhütte neben dem Sendemast untergebracht wurde, konnte in Betrieb genommen werden. Der bisherige 25-Watt-Sender diente ihm als Vorstufe. Die effektive Strahlungsleistung ERP der Eigenbauanlage dürfte etwa bei 1 kW gelegen haben, so Jürgen von Wedel. Gesendet wurde in Mono. Was weiter zur guten Empfangbarkeit beitrug.
Mit dieser Ausstattung konnte in ganz Innsbruck bis Wattens mit hervorragendem Signal versorgt werden. In Richtung Norden konnte man Radio Bavaria International unter anderem am Starnberger See, Puchheim und Umgebung und bis westlich vor München empfangen. Mit Dachantenne und Verstärker war der Sender auch in der Stadt zu hören. An Mobilempfang im Autoradio war jedoch in der bayerischen Landeshauptstadt noch nicht zu rechnen.
Zum Sendestart konnte RBI auf rund 300 Schallplatten zurückgreifen. Dank der guten Verbindungen von Jo Lüders zu Plattenfirmen wurde der Sender stets kostenlos mit den neuesten Titeln versorgt. Ein Teil davon kam sogar direkt aus Kanada. So wuchs die Anzahl an Platten recht schnell. Sie sorgte auch für
eine Abwechslung im Programm, die weit über dem lag, was uns die diversen Sender heute zumuten.
Höhepunkte und Reaktionen
Anfangs wurde Radio Bavaria International vom Bayerischen Rundfunk nicht als Konkurrenz wahrgenommen. Das änderte sich aber schnell, nachdem der „Störer“aus Südtirol immer bekannter und beliebter wurde. Der BR versuchte, neue Frequenzen zu koordinieren, mit denen der Empfang in Bayern unmöglich gemacht werden sollte. Ein Vorgehen, das stets mindestens drei Monate dauerte. RBI konnte indes binnen 24 Stunden auf eine neue, wieder freie Frequenz ausweichen. Zu den Höhepunkten im Programm zählten die RBI Top 50. Sie wurden in Innsbrucker Discotheken live aufgenommen und anschließend zweimal während der kommenden Tage ausgestrahlt. Was sich für beide Seiten werbetechnisch und umsatzmäßig sehr gut rentierte.
Die weiteren Jahre
Radio Bavaria International wurde von Jürgen von Wedel und Jo Lüders alleine deshalb ins Leben gerufen, weil ihnen Radiomachen an sich am Herzen lag.
Womit RBI kein Sender war, der nur zum Geldverdienen da sein sollte.
Mit der Zeit wurde das Studio nach Sterzing verlegt. Da von hier aus der Senderstandort nicht direkt erreicht werden konnte, sendete man vom Studio auf 103,3MHz zur gegenüberliegenden Talseite der Zirog-Alm und von dort rüber zum großen Sender. Im Laufe des Jahres 1981 wurde auf Stereobetrieb gewechselt. 1983 wurde die Hauptfrequenz auf 103,2MHz geändert.
Mitte 1981 erschlossen die Männer von Radio Bavaria International auf der Zirog-Alm einen neuen Antennenstandort. Dieser befand sich am oberen Ende des Enzian-Schlepplifts und lag etwa 200 Meter höher als der ursprüngliche Antennenstandort. Von ihm wurden zwei der acht Sendeantennen demontiert und am neuen Mast angebracht. Von hier oben war das Signal mit nur zwei zirkularen Antennen sogar besser als weiter unten mit acht. Da Radio Bavaria International nicht genug Geld für zwei Personen abwarf, kehrte Jürgen von Wedel Mitte 1981 zurück nach München zum Studieren. 1982 kehrte er noch einmal für ein Jahr zu seinem Sender zurück. Da Jürgen von der Wedel Radio Bavaria International
nach wie vor äußerst wichtig war, hatte er sich den Titel schützen lassen. Joe Lüders hatte seinen Anteil verkauft. 1983 wurde der RBI-Sender von den neuen Besitzern auf den 3369 Meter hohen Schwarzenstein verlegt. Gemeinsam mit einer Leistungserhöhung auf 25kW und einem Wechsel auf 104,7MHz, war das Mono-Signal ab 1. Juli nun bis Thüringen zu hören. Jedoch nur für etwa drei Wochen. Denn ein Blitzschlag in die höchste Sendeanlage Europas legte diese lahm. Am 1. August 1983 meldete sie sich zurück, allerdings unter dem neuen Namen M1.
Was hat RBI bewegt?
Jürgen von Wedel und Jo Lüders waren die ersten, die Privatradio für Deutschland veranstalteten. Ihnen folgten weitere, die ebenfalls von Südtirol nach Bayern funkten. Damit ärgerten sie nicht nur den BR, sondern waren auch Wegbereiter für das duale deutsche Rundfunksystem. Ohne Radio Bavaria International und weitere Anbieter wäre dieses wohl erst einige Zeit später gekommen.
Für diesen Artikel haben uns Jürgen von Wedel, sowie Thomas Kircher (www. fmkompakt.de), umfangreiche Infos und Fotomaterial zur Verfügung gestellt. Dafür unseren aufrichtigen Dank.